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In dem Film "Systemsprenger" spielt Helena Zengel das Heimkind Benni.

© promo

Schamanismus für "Systemsprenger": Massive Kritik an Brandenburger Kinderheimen

In Brandenburg stehen erneut Kinder- und Jugendheime wegen ihrer Erziehungsmethoden in der Kritik. Künftig sollen Jugendliche bei einer Ombudsstelle Hilfe finden.

Potsdam - Als sie ein Kleinkind war, wurde Benni eine Windel ins Gesicht gedrückt. Ein Trauma. Seither darf niemand das Gesicht der Neunjährigen berühren, sonst rastet sie aus. Das Mädchen gilt als aggressiv, unberechenbar, nicht zu bändigen, wechselt von einem Heim zum nächsten, weil die eigenen Eltern mit ihr überfordert sind. "Systemsprenger" wie Benni in dem derzeit viel diskutierten, gleichnamigen Kinofilm, wohnen auch im Regenbogenhaus in Kriele (Havelland) des freien Trägers Regenbogen gUG. 

Sieben Plätzen für Mädchen und Jungen im Alter von vier bis zwölf Jahren gibt es in dem 2015 eröffneten Heim. Nun haben Betroffene anonym in einem ZDF-Bericht schwere Vorwürfe gegen die Einrichtung erhoben: Die teils nach Missbrauch und Vernachlässigung schwersttraumatisierten Kinder seien durch das in der Nähe befindliche Gesundheitshaus "Metatron" mit fragwürdigen schamanischen Methoden behandelt worden – und nicht nur das. Wenn Kinder wie Benni, die wie im Film gezeigt große Problem mit körperlicher Nähe haben, ausrasteten, hätten sich Erzieher mit ihrem ganzen Gewicht auf diese gelegt, um sie zu "beruhigen". 

Jugendministerin kündigte Verbesserungen an

Am Donnerstag hat Jugendministerin Britta Ernst (SPD) im Landtag zu den Vorwürfen Stellung genommen und langfristig Verbesserungen bei der Jugendhilfe in Brandenburg angekündigt – denn das Heim in Kriele ist nicht das einzige im Land, das derzeit in der Kritik steht. Auch gegen Mitarbeiter des Jugendheims "Neustart" in Jänschwalde (Spree-Neiße), das 30 Plätze für Kinder- und Jugendliche im Alter von zwölf bis achtzehn Jahren bietet, werden schwere Vorwürfe erhoben. Ehemalige Bewohner, die sich an die Medien wandten, sprechen von gewalttätigen Übergriffen und Freiheitsentzug in dem Haus des Arbeiter-Samariter-Bundes. Laut einem Bericht der Berliner "taz" sollen die Jugendlichen in ihren Zimmern isoliert gewesen sein – in Räumen mit Milchglasfolie an den Fenstern und Betten, aus denen tagsüber die Matratzen genommen wurden. 

"Wir nehmen die Vorwürfe sehr ernst", betonte die Ministerin am Donnerstag. Beide Einrichtungen seien überprüft worden. Bei den Vor-Ort-Terminen – in Kriele am 5. Dezember und in Jänschwalde bereits am 23. August – hätten sich aber keine Anhaltspunkte für eine akute Kindswohlgefährdung ergeben. Dennoch sei in beiden Fällen die Staatsanwaltschaft informiert worden. Die Prüfung der Vorfälle sei noch nicht abgeschlossen. Von dem Träger in Kriele sei eine schriftliche Stellungnahme angefordert worden, die aber noch nicht vorliege.

Am Rande der Landtagssitzung bestritt die Chefin des nach einem Engel in der jüdischen und islamischen Mythologie benannten Gesundheitshauses "Metatron", Bärbel Prenzel-Hermansen, die Vorwürfe vehement. "Da stimmt nichts, null", sagte die Heilpraktikerin. "Wir haben nichts zu verbergen." Schamanismus „in der alten Weise“ lehne sie ab, sagte sie ohne zu erklären, was sie darunter versteht. Bäume umarmen, Bilder malen, die Natur erleben – das sei ihr Konzept.

In ihrer Antwort auf eine dringliche Anfrage der Linskfraktionschefin Kathrin Dannenberg sagt Ernst im Landtag, sie sehe schamanische Methoden "sehr skeptisch". Wie diese einzuordnen seien, sei Bestandteil der weiteren Überprüfung der Einrichtung. Fakt ist: 2015 war dem Haus die Betriebserlaubnis erteilt worden – nach dem sogar Sektenexperten hinzugezogen worden waren. "Wir können aus den Akten sehen, dass schon bei der Erteilung der Betriebserlaubnis solche Vorwürfe bekannt waren", sagte Ernst. Es habe dann klare Vorgaben für die Einrichtung gegeben.

Konsequenzen aus Haasenburg-Affäre gezogen

Für das Haus "Neustart" in Jänschwalde wiederum wurde das Aufnahmeverfahren ausgesetzt, eine Überarbeitung des Konzepts angeordnet. Zudem darf das "Chip-System", mit dem Jugendliche bei gutem Verhalten etwa mit einer Schminkerlaubnis belohnt werden, nicht mehr angewandt werden. Untersagt wurde auch das "Anklopf-Verfahren" für den Gang der Kinder und Jugendlichen zur Toilette. Die Bewohner durften den Schilderungen zufolge nur in die Waschräume, wenn sie vorher an ihre verschlossene Zimmertür klopften.  Die Vorwürfe erinnern stark an den Skandal um die Brandenburger Haasenburg-Jugendheime 2013. Damals hatten ehemalige Bewohner von Schikanierungen und Misshandlungen in den Jugendhilfeeinrichtungen berichtet. 

Aus der Haasenburg-Affäre seien bereits "deutliche Konsequenzen" gezogen worden, sagte Ernst. Die Heimaufsicht im Ministerium sei um drei Fachkräfte auf sieben aufgestockt worden, bei der Aufsicht gelten nun zwingend das Vier-Augen-Prinzip. Seit Herbst 2018 haben die Jugendlichen mit dem "Kinder- und Jugendhilfe Landesrat" ein eigenes Gremium. Zudem gebe es seit 2017 nun eine verbindliche Vorschrift, unter welchen Umständen die Betriebserlaubnis für Heime erteilt wird. Bei der Eröffnung des Regenbogenhauses im Havelland war sie demnach noch nicht in Kraft.

Britta Ernst (SPD).
Britta Ernst (SPD).

© dpa

Weitere Verbesserung in der Jugendhilfe nötig

Und noch weitere Defizite gibt es: Das Ministerium ist zwar für die Erteilung und Überprüfung der Betriebserlaubnis der Einrichtungen zuständig. Wie es dem Kind vor Ort geht, muss das Jugendamt prüfen, das den Minderjährigen in die Einrichtung geschickt hat. Und das muss nicht in Brandenburg liegen. Im Zuge des Haasenburg-Skandals wurde deutlich, dass andere Bundesländer wie Hamburg schwierige Jugendliche ganz gerne in die Brandenburger Abgeschiedenheit schicken. Wie viele Jugendliche aus anderen Bundesländern derzeit in Brandenburger Heimen untergebracht sind, wisse man nicht, so das Ministerium. 

Weitere Verbesserungen in der Jugendhilfe seien nötig, so Ernst. Im Koalitionsvertrag zwischen SPD, CDU und Grünen sei das schon berücksichtigt. So soll unter anderem eine für Jugendliche leicht erreichbare, neutrale Ombudsstelle eingerichtet werden, die bei Konflikten mit dem Jugendamt vermittelt.

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