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Nahrungskette. Der Kormoran muss sich vorm Seeadler hüten.

© imago

Brandenburg: Rundherum nur die Laute der Natur

Die Peene ist einer der letzten unverbauten Flüsse Deutschlands, eingebettet in eine geschützte Moorlandschaft. Mit dem Boot kann man diese Region am besten kennenlernen. Und dabei feststellen, wie nachhaltiger Tourismus funktioniert

Wenn die Dämmerung hereinbricht, tauchen sie auf: Biber. Aber wie kann man ihr Treiben und Nagen in aller Ruhe beobachten? Frank Götz-Schlingmann empfiehlt die Tour mit einem Solarboot. „Es kommt vor, dass die Leute eine gute Stunde lang wie gebannt dahocken und nicht sprechen“, erzählt er zufrieden. Der Mann ist Koordinator beim Netzwerk HOP Transnationale Odermündung, das nachhaltige, innovative Tourismuskonzepte austüftelt. Das Solarboot passt prima dazu. „Das Schöne an dem Ding ist ja: Man hört keine Motorgeräusche“, sagt Götz-Schlingmann und stellt klar: „Rundherum sind dann nur die Laute aus der Natur.“

Im Boot – acht Personen passen hinein – lernen die Besucher dann auch, wie man sich richtig verhält. „Wenn ein Biber mit Nachwuchs unterwegs ist, hält man Abstand“, erklärt Götz-Schlingmann. Und wenn das Tier mit seinem Schwanz aufs Wasser schlage, wisse man, dass es sich gestört fühlt. Dann heißt es: noch mehr Abstand halten. 800 Biber soll es in dem Revier vom Kummerower See bis zur Peenemündung bei Anklam geben. Wird’s denen nicht irgendwann zu eng? „Vom Biber kann man lernen, was nachhaltig ist“, sagt der Experte. Wenn das Revier zu klein werde, wanderten die Jungtiere eben weiter, „teilweise bis zum Achterwasser von Usedom“.

Tourismus und Naturschutz, geht das zusammen? Im Peenetal klappt das hervorragend. Vielleicht, weil hier Menschen im Tourismus arbeiten, die lieben, was sie vermarkten: die Natur. So wie das Ehepaar Antje und Carsten Enke. Er stammt aus Sachsen-Anhalt, sie aus Thüringen. Als Kinder hatten sie oft mit ihren Eltern Ferien in Mecklenburg-Vorpommern verbracht, und womöglich haben ihnen diese Urlaube die Sehnsucht eingepflanzt. „Leben und arbeiten unter diesem hohen Himmel und mit all dem Wasser“, das hatte sich Antje Enke gewünscht.

Der Zufall half nach. Das Gelände eines alten Bootsbauplatzes in Anklam, direkt am Fluss, wurde versteigert. Das Paar schlug zu – und gründete vor 17 Jahren ihr Unternehmen „Abenteuer Flusslandschaft“. Mit fünf Booten haben sie begonnen, heute können ihre Kunden aus einer großen Flotte von Kajaks, Kanus, Solar- und Hausbooten wählen.

Urlauber kommen inzwischen sogar aus der Schweiz und aus Österreich. „Manche wollen einfach mal einen Seeadler sehen, andere hofften, in der stillen Gegend runterzukommen’, erzählt die Unternehmerin. Beides gelingt offenbar. „Eine Woche im Peenetal ist so erholsam wie drei Wochen an irgendeinem anderen Ort“ – diese Aussage hat Enke schon öfter gehört.

Das Schöne an der Peene: Auch Anfänger kommen mit ihr leicht zurecht. Rund 90 Flusskilometer sind es vom Kummerower See im Westen bis zur Mündung. „Es gibt keine Wehre, keine Schleuse, kein Gefälle“, sagt Enke. Das Peenetal ist einzigartig. 30 der europaweit geschützten Vogelarten etwa brüten im Peenetal, darunter das Tüpfelsumpfhuhn oder das Blaukehlchen. Und sonst? Enke erzählt von der Herausforderung, ein touristisches Produkt zu kreieren, „wenn da nichts ist außer Natur“. Denn Urlauber wollen einkehren und müssen übernachten. Wie aber rechnet sich ein Hotel in einer Gegend, die vor allem Sommergäste lockt?

Im Gutshof Liepen im gleichnamigen Ort haben sie ein schlüssiges Konzept entwickelt. Zum Hotel gehört schließlich auch eine Saunalandschaft nebst großem Schwimmbad. Das kurbelt die Nachfrage im Winter an – zudem kommen auch Einheimische. Spätestens ab Mai kann sich Hotelchef Stefan Wollert die Hände reiben: Sein Haus läuft. Nur wenige Meter entfernt kann der Gast ins Paddelboot besteigen. „Von der Natur her ist das der Hammer“, sagt Wollert. „Wir hatten mal einen Schmetterlingsforscher zu Gast. Der konnte sich kaum noch einkriegen, weil er den Großen Feuerfalter gesehen hatte.“ Wollert angelt lieber. 37 Fischarten schwimmen in dem Gewässer herum, darunter Zander, Hecht und Rapfen.

Anklam, oft apostrophiert als Tor zur Insel Usedom, ist in der Schönheitskur. Einst hatte die Peene die Stadt reich gemacht. Die Bürger wohnten in herrlichen Giebelhäusern, viele Bauten präsentierten sich in Barock oder Backsteingotik. Dann kam der 2. Weltkrieg. 1942/43 bombardierten die Amerikaner die Stadt – wegen einer Flugzeugfabrik. 80 Prozent der Bausubstanz wurden zerstört. Die Nikolaikirche, Wahrzeichen der Stadt, wurde am 29. April 1945, dem letzten Kriegstag, durch deutschen Granatenbeschuss zur Ruine. Zur DDR-Zeit überließ man das trostlose Gebäude einfach sich selbst. Nach der Wende gründeten Anklamer Bürger einen Förderkreis, Sicherungs- und Sanierungsarbeiten begannen. Ein spannendes Nutzungskonzept wurde entwickelt. In ein paar Jahren soll hier das „Ikareum“ eröffnen. Das passt perfekt zur „Otto-Lilienthal-Stadt“. Der Flugpionier wurde in Anklam geboren und in der Nikolaikirche getauft. Im ausgezeichneten Museum kann man seine kuriosen Flugapparate umrunden und in Filmen bestaunen, wie er damit abgehoben ist.

Schon wegen des tollen Museums und der Nikolaikirche, in der hunderte Drachen unter der Decke schweben, ist Anklam einen Besuch wert. Doch die meisten Urlauber fahren vorbei – mit dem Ziel Usedom. Das ändert sich gerade ein bisschen. „Manche Leute fliehen im Sommer aus Usedom, weil es dort zu trubelig ist“, sagt Günther Hoffmann. Er arbeitet als Naturführer im Peenetal und ist überzeugt: „Ruhesuchende finden uns.“

Auch er ist ein „Zugezogener“. Seit 20 Jahren wohnt er in Bugewitz, direkt am Naturschutzgebiet Anklamer Stadtbruch, „Deutschlands größtem Hochmoorwald“. Das ganze Jahr über bietet Hoffmann Seeadlerwanderungen an. Mittlerweile gibt es 14 bewohnte Horste hier – ein kleines Wunder.

Auch in Bugewitz, wo es nach dem Ende der LPGs 70 Prozent Arbeitslosigkeit gab, können Urlauber inzwischen übernachten. „Die Natur ist das Ziel der Reise, aber sie soll keine billige Kulisse sein“, sagt Götz-Schlingmann. Die Touristen sollten auch in die Dörfer fahren, mit Einheimischen im Wirtshaus sitzen oder am Imbissstand ein Fischbrötchen essen. Alles müsse irgendwie zusammenpassen.

Über nachhaltigen Tourismus wird viel diskutiert. Im Peenetal leben sie ihn.

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