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Privat eher bürgerlich. Die ehemalige Studentenaktivistin und Witwe des verstorbenen Rudi Dutschke, die in Berlin lebt, hat ein Buch geschrieben und kritisiert darin auch die legendäre „Kommune 1“.

© Gregor Fischer/dpa

Brandenburg: Rudis Erbe

Der Luckenwalder Rudi Dutschke steht für „1968“. Ein Besuch bei seiner Witwe Gretchen

Berlin - Gretchen Klotz war 21 Jahre alt, als sie 1964 mit dem Kohledampfer aus den USA über Antwerpen nach Deutschland kam, um die Sprache Kants zu lernen. Im Café am Steinplatz in Berlin traf sie einen jungen Mann mit schwarzen Haaren und kurzer Lederhose, der einen Stapel polnischer Bücher bei sich hatte. Ob er aus Polen komme, fragte ihn die Amerikanerin. Er sagte: „Nein, aber ich lerne Polnisch, damit ich die Bücher im Original lesen kann. Ich heiße Rudi, Rudi Dutschke.“

Es war, so sagt es Gretchen Dutschke mehr als 50 Jahre später, Liebe auf den ersten Blick. Der Rest ist deutsche Geschichte. Die beiden heirateten 1966. Rudi Dutschke wurde zum Wortführer der linken Studentenbewegung, bis ihn ein Attentäter im April 1968 lebensgefährlich verletzte. Er starb Heiligabend 1979 im dänischen Exil an den Spätfolgen. Kein Name steht in Deutschland so für „1968“ wie Rudi Dutschke, der bewundert wie angefeindet wurde.

50 Jahre später ist seine Witwe eine gefragte Frau. Nach einer viel beachteten Biografie über Rudi Dutschke („Wir hatten ein barbarisches, schönes Leben“) hat sie ein neues, lesenswertes Buch geschrieben, über die 60er Jahre und was sie für heute bedeuten. Es wird einen Fernsehfilm geben, auch auf der Leipziger Buchmesse Mitte März ist sie unterwegs. Gretchen Dutschke ist eine Zeitzeugin, die anschaulich erzählt und schreibt: „Während draußen also schon die Weltrevolution wartete, regierte drinnen, im Reich der Gardinen, noch Mutti – oder versuchte es zumindest.“ Das Lebensgefühl der Studenten damals. Gretchen Dutschke, heute 75, ist seit 2009 wieder in Deutschland, nach Stationen in den USA und Vietnam. Sie lebt in einem Berliner Frauen-Wohnprojekt. Das Lachen, die Augen und der graue Pagenkopf sind wie ein Echo der alten Schwarz-Weiß-Fotos.

Eine Lesung macht sie passenderweise in einem Club namens „Gretchen“ im links-alternativen Kreuzberg. Das Publikum raunt bei einer Passage leise: Gretchen Dutschke findet, dass Deutschland heute „stolz“ auf sich sein kann und das, was die 68er erreicht haben. „Stolz“ – das sieht sie auch als „Provokation“ gegen Rechte, die aus ihrer Sicht versuchen, das Erbe der 68er anzugreifen. Auch Kinderläden und die Frauenbewegung verbindet sie mit den guten Seiten nach 1968. Aber die linken Männer früher: naja. Die waren ihren viel kritisierten reaktionären Vätern in einer Hinsicht doch ähnlicher, als ihnen lieb war, wie Gretchen Dutschke schreibt. „Sie waren weitgehend eben auch Machos, die Frauen nur in bestimmten Augenblicken wirklich ernst nahmen.“

Die Kommune 1, das legendäre Berliner Wohnexperiment, sieht Gretchen Dutschke kritisch. „Die ganze Kommune-Geschichte, das kam erstmal von mir.“ Sie habe ihrem Mann von der Idee des gemeinsamen Lebens erzählt. Er habe das gut gefunden. Später sei dann der „Haupt-Chauvi“ Dieter Kunzelmann von München nach Berlin gekommen, einer der prominenten Kommunarden. „Da war ich schon unglücklich, weil ich mir vorstellen konnte, wie das laufen würde.“

Im Buch ist von „Psychoterror“ die Rede. Das Verhältnis zwischen Männern und Frauen sei schlecht gewesen, sagt Gretchen Dutschke. „Die Frauen sollten Freiheit geben, aber das bedeutete auch, dass die Frauen nicht mehr Nein sagen konnten, auch wenn sie es wollten.“ Gretchen und Rudi Dutschke waren als verheiratetes Paar vergleichsweise bürgerlich. Er hörte lieber Arbeiterlieder als Rock. Seine Rhetorik war nicht immer einfach zu verstehen. Überlebt hat der „lange Marsch durch die Institutionen“, der von Dutschke geprägt wurde. Dieses Erbe sieht Gretchen Dutschke auch bei den Kindern. Hosea-Che (50) leitet eine Gesundheitsbehörde in Dänemark, Polly-Nicole (48) ein Pflegeheim, Rudi-Marek (38) war mal in Berlin bei den Grünen aktiv.

Bedrückend muss die Zeit 1968 gewesen sein, als die Drohungen gegen Rudi Dutschke so heftig wurden, dass die Familie ständig einen neuen Unterschlupf finden musste. Dann der 11. April: Rudi Dutschke war am Kurfürstendamm mit dem Rad unterwegs und wollte in einer Apotheke Nasentropfen für den kleinen Sohn Hosea holen. Der Attentäter soll noch „Du dreckiges Kommunistenschwein!“ gerufen haben, bevor er Dutschke niederschoss. Dutschke überlebte nur knapp, musste mühsam alles wieder lernen. Zuletzt lebte das Paar in Aarhus an der dänischen Ostsee.

An Weihnachten 1979 hatte Gretchen die Gans in den Ofen geschoben und ging zum Bad, um nach ihrem Mann zu sehen. „Ich öffnete die Tür zum Bad und sah, dass er leblos in der Wanne lag. Ich schrie, und im selben Augenblick zog ich ihn aus dem Wasser. Hosea versuchte, ihn wiederzubeleben. Vergeblich. Er war tot, ertrunken nach einem der inzwischen seltener gewordenen epileptischen Anfälle, Folge des Attentats gut zehn Jahre zuvor.“

Rudi Dutschke, der seine Jugend in Luckenwalde (Teltow-Fläming) verbrachte, wurde nur 39 Jahre alt. „Zehn Jahre später hätte er den Fall der Berliner Mauer erlebt“, schreibt seine Witwe. Vor kurzem war sie nach langem einmal wieder in der alten brandenburgischen Heimat ihres Mannes. Dort lebt eine Schwägerin im Haus der Dutschke-Familie. (dpa)

Caroline Bock

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