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Umgangshilfe. Die Polizeigewerkschaft informiert über Reichsbürger.

© J. Lübke/dpa

Reichsbürger in Brandenburg: Verfassungsfeinde auf der Richterbank

Kommunen befürchten, dass sich Reichsbürger und Rechtsextremisten für die Schöffenwahl bewerben

Potsdam – Sie behaupten, die Bundesrepublik habe nie existiert, rufen eigene Reichsregierungen aus, zweifeln amtliche Bescheide an und verschicken „Urteile“ eines selbsternannten „Reichsgerichts“: Die sogenannten Reichsbürger ignorieren das deutsche Recht. Einige von ihnen sind Rechtsextremisten, wie die Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung die Szene einordnet. In jedem Fall sind die Staatsleugner nicht geeignet, Recht zu sprechen und umzusetzen. Brandenburger Kommunen befürchten nun, dass Mitglieder der kruden, auch in der Mark größer werdenen Reichsbürgerbewegung sowie Rechtsextremisten versuchen könnten, über die bundesweite Schöffenwahl auf die Richterbank zu gelangen und so Prozesse zu torpedieren.

In Nordrhein-Westfalen sind Bestrebungen bekannt geworden, wonach Reichsbürger versuchen, sich auf die Wahllisten setzen zu lassen. In Brandenburg hat die rechtsextreme NPD ihre Mitglieder offen dazu aufgerufen, sich für das Laienrichteramt zu bewerben. „Der Rechtsstaat braucht uns – werdet Schöffen!“, schreibt der Landesverband auf seiner Homepage und instrumentalisiert dafür die Gewaltvorfälle der vergangenen Wochen in der Lausitz: Angesichts steigender Kriminalitätszahlen vor allem jugendlicher Migranten in Cottbus sei es erforderlich, dass die Schöffen ihre Entscheidungen „streng nach geltender Rechtslage, nicht aber aus Beweggründen politischer Korrektheit treffen“. Die Stimme des Volkes müsse in die Gerichte getragen werden, schreibt NPD-Landesvize Ronny Zasowk, der sich selbst als Schöffe beworben habe.

Theoretisch ist Einschleusung von Reichsbürgern möglich

Dem Brandeburger Justizministerium liegen bisher keine Erkenntnisse darüber vor, dass Reichsbürger versuchen, sich für das Schöffenamt zu bewerben, teilt Ministeriumssprecher Uwe Krink auf PNN-Anfrage mit. Theoretisch wäre es jedoch möglich, dass Reichsbürger versuchen, sich einzuschleusen. „Das durch Bundesgesetze geregelte Wahlverfahren sieht keine Vorprüfung der politischen Einstellung vor“, erläutert Krink. Wenn eine Person wegen einer vorsätzlichen Straftat – zum Beispiel wegen Volksverhetzung – zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verurteilt ist, dann sei sie unfähig für das Schöffenamt. Das werde durch Einholung eines Bundeszentralregisterauszugs geprüft – nach der Wahl. „Außerdem wäre eine verfassungsfeindliche Tätigkeit ein Grund für eine Amtsenthebung“, so Krink. So habe etwa das Oberlandesgericht Dresden entschieden, dass ein sogenannter Reichsbürger, der die freiheitlich-demokratische Grundordnung ablehnt, dadurch seine Amtspflichten als Schöffe gröblich verletzt. Er wurde deshalb des Amtes enthoben.

Einen ähnlichen Fall gab es vergangenen Juni auch in Nordrhein-Westfalen: Das Oberlandesgericht Hamm enthob einen Reichsbürger seines Amtes, weil er die Verfassung ablehnt.

Aus Sicht von Hasso Lieber, Gründer der bundesweiten Schöffen-Vereinigung, ist ein weniger kompliziertes Schöffenwahlverfahren überfällig. Das aktuelle mit seiner zweistufigen Wahl, bei dem die Kommunen doppelt so viele Bewerber vorschlagen und ein Ausschuss mit Vertretern aus der Gesellschaft dann beliebig auswählen müsse, habe negative Auswirkungen, sagte er dem Deutschlandfunk. „Genau auf diese Weise kommen querulantische Reichsbürger in das Schöffenamt“, sagte Lieber. Zunächst wählt jede Gemeinde ihre Vorschlagsliste. Die Vorschlagsliste muss immer mindestens doppelt so viele Bewerber enthalten wie vom Präsidenten des Landgerichts für die Gemeinde als zu stellende Schöffenzahl vorgegeben wurde. Diese Vorschlagliste geht an das Amtsgericht. Aus der Zahl der Vorschläge wählt dann der dort gebildete Schöffenwahlausschuss aus.

588 Personen werden in Brandenburg der Szene zugerechnet

Bettina Cain, Landesvorsitzende des Bundes ehrenamtlicher Richterinnen und Richter, schätzt die Gefahr, dass sich Reichsbürger in die Gerichte einschleichen, als eher gering ein. „Das passt doch gar nicht zusammen“, meint sie. „Reichsbürger lehnen unser Rechtssystem ab – welches Interesse sollten sie also haben, als Schöffe Recht zu sprechen?“ Da Reichsbürger oft mit dem Staat im Clinch liegen, seien sie zudem teils auch ohne Vorprüfung der politischen Einstellung von einem Schöffenamt ausgeschlossen: Nicht nur eine Vorstrafe verhindert eine Bewerbung, sondern auch eine Insolvenz. Die Hauptverantwortung, betont Cain, liege aber bei den Kommunen, die die Vorschlagslisten aufstellen. „Die Gemeindevertreter sollten die Leute, die auf die Liste gesetzt werden, schon kennen.“

Zumindest sind die Brandenburger Kommunen inzwischen im Umgang mit Reichsbürgern sensibilisiert, wie Polizeipräsident Hans-Jürgen Mörke bei der Vorstellung der Statistik zu politisch motivierter Kriminalität vor zehn Tagen erläuterte. Aktuell werden in Brandenburg 588 Personen der Szene zugerechnet. Das ist eine starke Zunahme innerhalb kurzer Zeit: Vergangenen August war die Polizei noch von 440 Reichsbürgern in Brandenburg ausgegangen. Das bedeutet laut Mörke nicht unbedingt, dass die Szene wächst, sondern dass inzwischen mehr Vorfälle in Amtsstuben von Verwaltungsmitarbeitern den Reichsbürgern zugerechnet und entsprechend gemeldet werden. Insgesamt 70 Straftaten von Reichsbürgern wurden im Vorjahr in Brandenburg aktenkundig, darunter waren zehn Gewaltdelikte. Bei 25 Reichsbürgern mussten Waffenscheine eingezogen werden.

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Hintergrund: Schöffen üben das Richteramt mit gleichem Recht und gleicher Verantwortung aus wie Berufsrichter. Sie sollen gewährleisten, dass Urteile nicht nur im Namen des Volkes, sondern auch durch das Volk gesprochen werden. In diesem Jahr werden wieder durch die Gemeindevertretungen und Stadtverordnetenversammlungen die Vorschlagslisten für die Schöffen an den Amts- und Landgerichten aufgestellt. Die Vorschlaglisten für Jugendschöffen werden durch die Jugendhilfeausschüsse gewählt. Die Amtszeit beginnt am 1. Januar 2019 und endet nach fünf Jahren. Schöffen müssen mit Beginn der Amtszeit mindestens 25 und dürfen nicht älter als 69 Jahre alt sein. 

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