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Wo liegt der Fehler? CDU-Landes-Chef Michael Schierack hätte Vize-Ministerpräsident werden können.

© dpa

Regierungsbildung in Brandenburg: Möglichkeiten eines Bündnisses

Ein Telefonat, zwei Versionen. Fest steht auch am Tag danach in Brandenburg: Eine rot-schwarze Koalition wird es kaum geben. Die CDU versucht, den Schaden zu begrenzen. An einem Ort zumindest freuen sie sich über das Potsdamer Debakel.

Wer weiß, ob er das übersteht – als Politiker. Michael Schierack, Spitzenkandidat der Brandenburger CDU und ihr Landeschef, hat es nicht geschafft, seine Partei in die Regierung zu führen. Aus Gründen, die in zwei unterschiedlichen Versionen dargestellt werden, ist gescheitert, was nach einem neuen Anfang für die Brandenburger CDU ausgesehen hatte. Am Dienstagnachmittag ist sie von der Mit-Regierungspartei in spe zur Immer-weiter-Oppositionspartei geworden. Es scheint, als sei der märkischen Union jedes Gespür für die Macht abhandengekommen.

Er wollte nicht wirklich, er war nicht entschieden genug: So hat Dietmar Woidke Michael Schierack dargestellt. Als einen, der deshalb nicht garantieren konnte, dass die CDU ein belastbarer Partner in einer Koalition mit der SPD sein würde. Es ist die Woidke-Version von dem fatalen Telefonat mit Schierack, das den Noch-und-wieder-Ministerpräsidenten dazu gebracht hat, erst mal auf die Linke zu setzen. Es gibt auch eine Schierack-Version des Gesprächs. Aber die widerspricht Woidkes Urteil nicht.

Schönbohm klingt resigniert

Am Tag nach dieser erstaunlichen Entwicklung in Potsdam geht in Kleinmachnow ein Mann ans Telefon, der die Union hier gut kennt. Es ist der Mann, der die für Grabenkämpfe, Putsche, gescheiterte und gestürzte Landesvorsitzende berüchtigte Truppe 1999 in die Regierung geführt hatte: Jörg Schönbohm, 77 Jahre alt, so lange wie kein anderer Vorsitzender der märkischen Union, davor und danach. Seit 24 Stunden steht fest, dass die Union es wieder nicht in die Koalition schafft. Dass SPD-Ministerpräsident Woidke, den Schönbohm schätzt, mit den Linken über eine Koalition verhandeln will. Schönbohm klingt resigniert. „Die SPD kann wieder mal zeigen, dass sie stärkste Kraft ist. So kann sie uns kleinhalten, und die Linken auch“, sagt er. „Und das mit Schierack glaube ich nicht.“

Gemeint ist, dass Schierack, der doch angetreten war, um Ministerpräsident zu werden, nicht bereit gewesen sein soll, in ein rot-schwarzes Kabinett zu gehen und ein Ministeramt zu übernehmen. So hat es Woidke in alle Fernsehkameras erklärt – und ausdrücklich auf ein Telefonat mit Schierack vor der abschließenden Sondierungsrunde mit der CDU am Dienstagnachmittag verwiesen, in der der CDU-Mann ihm dies mitgeteilt habe. Schönbohm, der Ehrenvorsitzende, kennt die Hintergründe nicht. Aber er kennt die Spielregeln der Macht. Wenn Schierack tatsächlich nicht ins Kabinett wollte, sagt Schönbohm, „dann geht das nicht“. Es sei „klar, dass der Parteivorsitzende in die Regierung muss“. So sei es auch gewesen, als er mit Manfred Stolpe Brandenburgs erste große Koalition auf den Weg gebracht habe.

Versionen vom Scheitern

Schieracks Version vom Scheitern der Gespräche liest und hört sich anders an – ein Dementi ist sie nicht. Mittwochmorgen, im Interview mit dem „Inforadio“, sagt er zwar, dass alles ganz anders und er bereit gewesen sei, ein Ministeramt zu übernehmen – aber nur, wenn am Ende von Koalitionsverhandlungen die Bedingungen gestimmt hätten, die Themen, das Personal. Er bestätigt, dass er die Zusage vor der Koalitionsentscheidung der Sozialdemokraten nicht geben wollte. Bis Dienstag war es erstaunlich gut gelaufen für die Brandenburger CDU. Spitzenkandidat Schierack hatte einen ordentlichen Wahlkampf gemacht, an seiner Bekanntheit gearbeitet und sich keine Fehler geleistet. Das reichte für 23 Prozent und einen Zugewinn von 3,2 Prozent im Vergleich zu 2009. Im Wahlkampf hatte der Orthopäde gezeigt, dass diese CDU stabil geworden war: mittig, modern, wählbar für ein wachsendes bürgerliches Publikum. Schierack schien der Richtige zu sein, um die Partei wieder so politikfähig zu machen, wie sie es unter Schönbohm mal gewesen war.

In der CDU versuchen sie nun, Woidke wie jemanden aussehen zu lassen, der nur zum Schein mit Schierack über die Möglichkeiten eines Bündnisses sprach, in Wirklichkeit aber die Koalition mit der Linken fortsetzen wollte. Doch eine Offensive wird das nicht. Was die Kommunikation angeht, ging die Runde vom Dienstag eindeutig an Woidke und die SPD – das sehen auch Mitglieder der CDU-Führung so.

Dass es Schieracks Zurückhaltung war, die diesen Eindruck entstehen ließ, sehen sie allerdings nicht in der CDU. Sie interpretieren die Lage in ihrem Sinn um: Es sei doch „untypisch“ für Sondierungsgepräche, dass man gleich zu deren Beginn schon über Personalien rede. Es sei absolut falsch, dass Schierack keine Verantwortung habe übernehmen wollen. Als CDU-Fraktionschef wäre er bei allen Kabinettssitzungen dabei, er wäre stets ansprechbar und belastbar gewesen.

Bundes-SPD wenig überrascht

Soll heißen: Schierack wollte nicht so, wie Woidke wollte, sondern etwas anderes, nämlich Fraktionschef bleiben – und damit war Rot-Schwarz erledigt. Weil eben eigentlich Woidke nicht wollte. Die CDU-Version ist gar nicht so weit weg von dem, was man im Berliner Willy-Brandt-Haus über die Entwicklung denkt. Die Bundes-SPD zeigt sich von den Geschehnissen wenig überrascht. „Strategisch gab es keinen Grund, das Pferd zu wechseln“, sagt ein SPD-Mann. Ein Schwenk zur CDU in Potsdam hätte aus dieser Perspektive einen gravierenden Nachteil gehabt – eine Aufwertung der Konkurrenz. Ohnehin hatte Wahlsieger Woidke völlig freie Hand, wie ihm SPD-Chef Sigmar Gabriel am Montag nach der Wahl im Parteipräsidium versichert hatte. „Es gab keinen Grund, sich einzumischen“, sagt einer, der in Brandenburg bestens vernetzt ist und über einen direkten Draht zu Gabriel verfügt.

Ausgangslage für die Bundestagswahl 2017

Dazu kommt, dass Rot-Rot in Brandenburg ein sicheres Referenzprojekt für eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei im Bund bleibt. Für Gabriel geht es auch um die Ausgangslage für die Bundestagswahl 2017. Zumindest theoretisch muss der SPD-Chef die Option eines rot-rot-grünen Bündnisses im Bund offenhalten, auch wenn die Differenzen zur Linkspartei in der Außenpolitik im Moment nahezu unüberbrückbar scheinen. Deshalb ist es in Gabriels Interesse, wenn er auf ein funktionierendes Linksbündnis in Potsdam verweisen kann. Nichts hatte bis zum Dienstagnachmittag darauf hingedeutet. Die, die Dietmar Woidke gut kennen – den Lausitzer, der 2009 gegen Rot-Rot war –, erwarteten, dass er eine große Koalition mit der Union wollte, aus politischen und persönlichen Gründen. Im Wahlkampf waren Drähte zur CDU gezogen worden. Drei der vier Unterhändler waren auf dem schwarzen Weg, am Anfang jedenfalls. Doch dann häuften sich Merkwürdigkeiten, Missverständnisse, die Zweifel der SPD-Unterhändler wachsen ließen. Am Montag etwa, am Tag vor der letzten Sondierungsrunde, habe Woidke Schierack sprechen wollen, was stundenlang nicht möglich gewesen sei: Montag ist Schieracks Praxistag, an dem er operiert. Er hatte daran nichts geändert, als er Partei- und später noch Fraktionschef im Landtag wurde. Die Praxis hätte er aufgeben müssen, als Minister.

Am Dienstag folgte das Telefonat, das das entscheidende gewesen sein muss. Schierack nannte Woidke die Namen, die die Union in ein rot-schwarzes Kabinett schicken würde: Ingo Senftleben, den Vizeparteichef, als Bildungsminister und Vizeministerpräsident, Dieter Dombrowski als Innenminister, Barbara Richstein, die frühere Justizministerin, als Verkehrsministerin und Dietlind Tiemann, die CDU-Oberbürgermeisterin von Brandenburg an der Havel, für das Wirtschaftsministerium. Der Name Schierack war nicht dabei. Er habe die Fraktion übernehmen wollen, um die Stabilität der Regierung zu sichern. Sagen Wohlmeinende in der CDU. Er habe gekniffen, seine Praxis nicht aufgeben wollen, sagen andere.

SPD-Unterhändler waren sich am Ende einig: besser nicht

So kam es, dass sich die SPD-Unterhändler am Ende einig waren: besser nicht. „Wir hatten insgesamt den Eindruck, dass es – nimmt man die Führungsstärke und den Gestaltungswillen – mit der CDU nicht reicht“, sagt Woidke. Am Tag danach sind in der CDU viele Telefone ausgeschaltet. Ein Vorstandsmitglied sagt, vielleicht sei es nicht falsch, weitere fünf Jahre Opposition zu machen. Dann folgt die ironische Bemerkung: „Ich teile nicht die Befürchtung der SPD, dass wir uns deswegen zerstreiten.“ Den Gefallen wolle man der SPD nicht tun. Zu den wenigen in der Union, die offen sagen, was sie denken, gehört Brandenburgs Oberbürgermeisterin Dietlind Tiemann, die bei den Gesprächen nicht dabei war. „Mit diesem Wahlergebnis muss man den Anspruch haben, in der Regierung mitzugestalten. Und natürlich gehört der Spitzenkandidat an den Kabinettstisch.“

Und nun? In der CDU wissen sie gerade nicht, was sie wollen – sie wissen nur, dass sie nicht so wollen wie Woidke will. Der muss nun die Linken gewinnen. Die aber haben ihre Verlässlichkeit beim Mitregieren mit dem Verlust von 8,2 Prozent der Wählerstimmen bezahlt – die Brandenburger Linken erfahren nun, was die Berliner Linken schon erlitten haben: Regieren kostet Mandate, und nicht zu knapp. Landeschef Christian Görke hat noch ein Extra-Problem: Was immer er und seine Unterhändler nun mit Woidke und Co aushandeln – die Basis muss zustimmen. Der Potsdamer Politikbetrieb könnte ins Trudeln geraten, wenn Wahlsieger Woidke auch mit den Linken nicht zu einem Ergebnis kommt, und sei es, weil die Basis ihren Idealismus lieber in der Opposition kultiviert sieht. Manche in der CDU geben noch nicht alles verloren – und schimpfen nicht so laut auf Woidke, wie andere das für angebracht halten.

Einen Ort gibt es, an dem sie sich am Mittwoch über das Debakel in Potsdam freuen: im Wartezimmer der Orthopädischen Gemeinschaftspraxis in der Cottbuser Thiemstraße. Hier praktiziert der Orthopäde Schierack mit drei Kollegen, die Praxis genießt einen guten Ruf. Im großen Wartezimmer sind alle Stühle besetzt. 40 bis 50 Patienten sitzen hier, die meisten sind schon älter. Irene Leonhardt zum Beispiel: „Ich bin sehr froh, das Professor Schierack nicht Minister wird“, sagt die 68-jährige Cottbuserin: „Er hat mich operiert, als ich vor zwei Jahren von der Leiter gefallen bin.“ Sie deutet auf ihre Beine. „Der Herr Schierack hat das wieder super hingekriegt.“ Ein Mann nickt: „Minister, das kann doch jeder. Aber Ärzte gibt es hier nur ganz wenige.“ So reden auch die Angestellten im Sanitätsfachgeschäft und in der Apotheke des Ärztehauses. Schierack wäre sicher auch ein guter Minister, heißt es. Aber als Arzt sei er wichtiger.

Mitarbeit Sandra Dassler

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