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Risse am Rand. Die Folgen der in Brandenburg geplanten Gebietsreform sind noch gar nicht absehbar. Doch die können, wie umgesetzte Reformvorhaben in anderen Bundesländern zeigen, gravierend sein.

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Brandenburg: Reform und Rezession

Welche Folgen hätte eine Neugliederung der Kreise? Ein Beispiel aus der Geschichte liefert Hinweise

Die brandenburgische Landesregierung plant wie berichtet eine Kreisreform, durch die die Zahl der Landkreise von jetzt 14 auf neun reduziert und bis auf Potsdam alle jetzt kreisfreien Städte diesen Status verlieren sollen. Das betrifft Brandenburg an der Havel, Cottbus und Frankfurt (Oder). Diese Städte können sich um den künftigen Kreissitz der neuen Großkreise bewerben, wie auch alle bisherigen Kreishauptstädte. Die Landesregierung begründet die angestrebte Verwaltungsreform mit der Notwendigkeit, die staatlichen Strukturen der zurückgehenden Bevölkerungszahl anzupassen. Der bisherige finanzielle Aufwand sei nicht mehr zu rechtfertigen.

Brandenburg hat bereits 1993 eine erste Kreisreform durchgemacht, derartige Umorientierungen der staatlichen Verwaltung hat es auch in anderen Bundesländern gegeben. Diese wurden aber in der Vergangenheit meistens nicht mit einer zurückgehenden Einwohnerzahl, sondern mit einer Anpassung der Verwaltungsstrukturen an moderne Kommunikationsmöglichkeiten und Datenverarbeitung begründet. Und natürlich ging es immer um Kostenersparnis. Eine der umfassendsten Verwaltungsreformen fand in den Jahren 1968 bis 1975 in Baden-Württemberg statt. Aus etwa 50 Kreisen wurden 32 neue gebildet, aus 3379 selbstständigen Gemeinden wurden 1111. In Baden-Württemberg wurde dies seinerzeit von vielen Menschen wegen des gefühlten Verlustes der regionalen Identität als sehr schmerzlich empfunden.

Da die Reform aber in einer Phase einer sehr dynamischen Wirtschaftsentwicklung umgesetzt wurde, gab es keinen großen Widerstand der Bevölkerung – die Sinnhaftigkeit leuchtete den meisten Bürgern wohl ein. Gerade die Kreisreform hatte aber negative Auswirkungen, die nur wegen der guten Wirtschaftslage wenig gespürt wurden. Eine Kreisreform in benachteiligten Randregionen mit eher unterdurchschnittlicher Beschäftigung wäre kaum ohne einschneidende negative Wirkungen denkbar gewesen.

Die Beamten und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes in einer Kreisverwaltung gelten in der Volkswirtschaftslehre als automatische Stabilisatoren. Da ihre Gehälter unabhängig von der Konjunktur garantiert sind, gewährleisten sie regelmäßige und berechenbare Umsätze im örtlichen Handel, die Anschaffung langlebiger Gebrauchsgüter genauso wie die Nachfrage nach Dienstleistungen. Um den Kreissitz herum gruppieren sich Unternehmen, die von Aufträgen des Kreises leben, genauso wie Selbstständige, deren Anbindung an die Verwaltung oder an Amtsgerichte und Steuerbehörden sinnvoll scheint. Die Besucher und Kunden einer Kreisverwaltung sorgen für zusätzliche Attraktivität der Stadt, ob in der Gastronomie oder im Kulturleben.

Entfällt der Kreissitz, bricht nicht nur diese Nachfrage zusammen, die konjunkturellen Impulse verlagern sich auch weg. Wer nicht mehr in der ehemaligen Kreisstadt arbeitet, erledigt auch seine Einkäufe woanders oder schickt seine Kinder andernorts zur weiterführenden Schule. Jedenfalls zeigt das alles die Entwicklung in Baden-Württemberg. Es gibt ehemalige Kreisstädte, die über viele Jahre in tiefe Provinzialität zurückfielen. Nur die im Südwesten hochqualifizierte mittelständische Wirtschaft konnte das zum Teil ausgleichen. Davon kann aber in Brandenburg keine Rede sein. Das eigentlich sinnvolle Verwaltungsziel aus der Stolpe-Ära der dezentralen Konzentration würde nun auf den Kopf gestellt.

Dahinter steckte die richtige Erkenntnis, dass der Staat Privatunternehmen nicht zwingen kann, in Randregionen zu investieren, dass er aber durch die Vorleistung staatlicher Strukturen sehr wohl den Anreiz dazu geben kann. Hinzu kommen die extrem langen Wege. Wenn, wie geplant, zum Beispiel die bisherigen Kreise Elbe-Elster, Oberspreewald-Lausitz und Spree-Neiße zusammengelegt werden, beträgt die Entfernung von der bisherigen Kreisstadt Herzberg im Westen des neuen Großkreises bis nach Cottbus im Osten auf der Straße 96 Kilometer. Ähnlich wäre es etwa bei der Zusammenlegung von Teltow-Fläming und Dahme-Spreewald.

Gerd Appenzeller

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