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Ob dieses Flugzeug die Wannseeroute fliegen darf, oder nicht, ist weiterhin offen.

© dpa

Rechtsstreit um Flugroute: Wannseeroute könnte neu abgewogen werden

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hält die Wannseeroute für rechtswidrig. Endgültig vom Tisch ist sie damit noch nicht, meint ein Jurist.

Potsdam - Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat den Klagen der Gemeinden Teltow, Kleinmachnow und Stahnsdorf stattgegeben und die Wannseeroute gekippt. Noch sei aber nicht klar, dass künftig wirklich keine Flieger über Forschungsreaktor und Wannsee brettern: Nach Ansicht des Luftverkehrsrechtlers Elmar Giemulla ist die Flugroute auch nach dem Gerichtsurteil nicht endgültig vom Tisch. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg habe die Strecke in der Nähe eines atomaren Forschungsreaktors am Mittwoch zwar wegen fehlender Risikoabwägung für rechtswidrig erklärt. „Es hat aber nicht gesagt, dass da keine Flugzeuge fliegen dürfen“, erläuterte Giemulla am Donnerstag im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung (BAF) könne die Abwägung nachholen und zu dem Ergebnis gelangen, das Risiko eines Absturzes auf den Reaktor oder eines terroristischen Anschlags sei vertretbar.

Bei der Bewertung werden laut Giemulla sowohl die Häufigkeit eines Risikos als auch die Schwere möglicher Schäden berücksichtigt. Ein Risiko von einem Störfall bei zehn Millionen Flugbewegungen (zehn hoch minus sieben) gelte als „akzeptables Sicherheitslevel“, sagte der Honorarprofessor der Technischen Universität Berlin. Am Flughafen Frankfurt sei wegen einer solchen Risikoabwägung vor zwei Jahren ein Chemiewerk umgesiedelt worden, das in der Einflugschneise einer Landebahn lag.

Sollte die Wannsee-Route tatsächlich kippen, wirkt sich dies nach Giemullas Ansicht auch nicht auf die anderen umstrittenen Flugrouten aus. „Man sollte nicht die Hoffnung schöpfen, dass alle  Flugrouten kippen“, sagte er. Das Gericht habe sich in seiner Begründung speziell auf den Forschungsreaktor bezogen, der rund drei Kilometer von der Wannsee-Route entfernt liege. Flugzeuge sollen diese Strecke nutzen, wenn sie von der nördlichen Startbahn in Richtung Westen starten. Geplant war, 83 Maschinen am Tag in mindestens 1,5 Kilometern Höhe zwischen Potsdam und Stahnsdorf hindurch, über den Wannsee und Berlin zu führen.

Falle die Wannsee-Route bei einer Risikoabwägung durch, könnten die Flieger laut Giemulla zumindest zum Teil auf die Strecke um Potsdam herum umgeleitet werden. „Das ist natürlich ärgerlich, weil es länger dauert und daher mehr Sprit und Geld kostet", so Giemulla.

Das Oberverwaltungsgericht hatte am Mittwochabend festgestellt: "Die Festsetzung der Route ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren abwägungserheblichen Belangen." In einer Pressemitteilung des Oberverwaltungsgerichts hieß es weiter, das Risiko eines terroristischen Anschlags auf den Luftverkehr sei nicht hinreichend in Betracht gezogen worden. Eine solche Risikoermittlung wäre notwendig gewesen, auch weil die Risikobetrachtungen für den Reaktor in Bezug auf den Flugverkehr veraltet waren. Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung (BAF) sei überdies durch die Atomaufsichtsbehörde darauf hingewiesen worden.

Es war die erste von mehreren Verhandlungen über Entscheidungen des BAF, das die Flugrouten im Januar 2012 festgelegt hatte. Das BAF hat noch am Abend angekündigt, vor dem Bundesverwaltungsgericht Revision gegen das Urteil einzulegen. Sollte sich das Bundesverwaltungsgericht der Berliner Entscheidung anschließen, muss das Gesamtsystem der Flugrouten neu austariert werden. Dann drohen auch mehr Überflüge über Potsdam.

Gleichzeitig versucht die Bundesregierung, ein drohendes Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission in Brüssel abzuwenden, die Bedenken gegen andere Flugrouten – nämlich über EU-Vogelschutzgebiete (FFH) im Südosten Berlins am Müggelsee, im Raum Rangsdorf und der Nuthe-Nieplitz-Niederung – hat. In einer Stellungnahme der Bundesregierung für Brüssel wird eine geforderte Umweltverträglichkeitsprüfung für einzelne Flugrouten abgelehnt, da es eine für den BER-Standort im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens gegeben habe.

Auch die Frage, ob eine Umweltverträglichkeitsprüfung nötig ist, beschäftigte am Mittwoch das OVG. Die Deutsche Umwelthilfe hat wie die Gemeinden und Wannsee-Anwohner gegen die Wannsee-Route geklagt, weil sie die Routen wegen der fehlenden Umweltverträglichkeitsprüfung für rechtswidrig hält. Hier sieht das Gericht aber noch weiteren Aufklärungsbedarf und hat das Verfahren abgetrennt.

In der Verhandlung des Oberverwaltungsgerichts zu den Flugrouten am neuen Großflughafen in Schönefeld hatte der Vorsitzende Richter am Mittwoch von Anfang an seine Bedenken an der Route geäußert, die nur in knapp drei Kilometern Entfernung am Forschungsreaktor des Helmholtz-Zentrums vorbeiführt. Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung habe in einem Abwägungsvermerk selbst von einem Restrisiko gesprochen, sollte der Atomreaaktor von einem Flugzeug oder Teilen eines Flugzeugs getroffen werden.

"Das ist ein Punkt, der dem Senat zu denken gibt", sagte der Richter während der mehrstündigen Verhandlungen. Das Bundesaufsichtsamt hat das Risiko eines solchen Unfalls bislang kaum betrachtet. Die Frage sei, ob es bei einer entsprechenden Risikostudie überhaupt zu der gewählten Route über dem Wannsee gekommen wäre. So habe auch der TÜV in einer Untersuchung gewarnt, dass sich die Absturzwahrscheinlichkeit in der Nähe des Reaktors mit der Eröffnung des Flughafens und der Zunahme der Überflüge erhöhen kann.

Aus Sicht der Kläger geht eine "massive Gefahr" von der Flugroute in Reaktornähe aus. Sollte ein Jet abstürzen würde eine ganze Region zum atomaren Notstandsgebiet, erläuterte Rechtsanwalt Remo Klinger. Bei einem denkbaren Unfall könnte die Hälfte der Menge an radioaktiver Strahlung freigesetzt werden, die beim Atomunfall im japanischen Fukushima ausgetreten ist. Auch Terroristen könnte die Route am Reaktor anlocken.

Die sogenannte Wannseeroute führt vom Großflughafen zunächst nach Teltow, wo die Jets in Richtung Norden nach Kleinmachnow abbiegen und von dort weiter über den Wannsee am Reaktor vorbei in Richtung Spandau fliegen.

Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung sah in der Routenführung keine Gefahr. Der Reaktor werde nicht direkt überflogen. "Der Reaktor stand schon immer da und war nie gegen Abstürze gesichert", so ein Anwalt. Mit einem solchen Unfall sei nur einmal in einer Million Jahren zu rechnen. Eher noch seltener. Das Risiko eines Absturzes begrenze sich in der Regel auf die Phase nach dem Start oder vor der Landung. Wenn die Flugzeuge am Reaktor entlang fliegen, seien sie in stabiler Fluglage. Selbst wenn es ein Problem gäbe, könnten die Jets weiter segeln. Übrig bleibe ein "irrelevntes Restrisiko". Die Gefahren von terrorischen Überfällen könne man nie ausschließen. Dafür sei der Flughafen zu dicht am Reaktor gebaut. "Wir haben uns nicht intensiv mit dem Atomrecht auseinandergesetzt. Wir waren der Meinung, das brauchen wir nicht." Der Abstand der Flugroute von drei Kilometern zum Reaktor sei ein guter Wert.

Stahnsdorfs Bürgermeister Bernd Albers, dessen Kommune ebenfalls von der Wannseeroute betroffen ist, zeigte sich nach der ersten Hälfte des Verhandlungstages hoffnungsvoll, dass die Richter den Bedenken der Flugroutengegner Recht geben. "Ich habe den Hnweis des Richters gehört: Wenn es kein Risiko gibt, warum hat sich das Bundesamt dann damit auseinandergesetzt?" (mit dpa)

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