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Den Opfern einen Namen geben. Die Wanderausstellung „Opfer rechter Gewalt seit 1990 in Deutschland“ der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Opferperspektive Brandenburg e.V. im Jahr 2011 trug dazu bei, dass rechte Gewalt nicht relativiert oder verdrängt wird.

© Kai-Uwe Heinrich

Rechtsextremistische Straftaten: Rechte Gewalt wird neu untersucht

Es ist auch eine Konsequenz aus der bundesweiten Mordserie der braunen NSU-Zelle: In Brandenburg werden seit 1990 verübte Tötungsdelikte, die einen rechtsextremen Hintergrund haben könnten, aber bislang in keiner amtlichen Statistik auftauchen, wissenschaftlich untersucht.

Potsdam - Am Montag startete in Potsdam ein zweijähriges Forschungsprojekt des Moses-Mendelsohn-Zentrums, das von Brandenburgs Innenministerium mit 250 000 Euro gefördert wird. „Wir sind das den Opfern und ihren Angehörigen schuldig, dass wir die Zweifel am Warum dieser menschenverachtenden Taten so weit es irgendwie geht ausräumen“, sagte Innenminister Dietmar Woidke (SPD). Er verwies darauf, dass in keinem anderen Bundesland die Differenz möglicher Fälle zur „offiziellen“ Statistik so groß wie in Brandenburg sei.

Seit 1990 führt die Polizeistatistik hier nämlich lediglich neun Todesopfer rechtsextemer und fremdenfeindlicher Gewalt auf, was seit Langem auf Kritik stößt. Im krassen Gegensatz dazu stehen nämlich Erhebungen von Medien wie des Tagesspiegels und von Verbänden wie „Opferperspektive“, die für den gleichen Zeitraum für Brandenburg auf 32 Opfer rechtsextremer, fremdenfeindlich motivierter Gewalt kommen. Es geht um Fälle wie den, der nach der Untersuchung vielleicht das erste Todesopfer in Brandenburg sein wird: Am 7. Oktober 1990, wenige Tage nach der Deutschen Einheit, war der Pole Andrzej Fratczak vor einer Disko in Lübbenau von drei Deutschen verprügelt und mit einem Messerstich tödlich verletzt worden. Die Täter, später zu Gefängnisstrafen veurteilt, waren auch an Angriffen auf Asylberwerberheime beteiligt. In der Polizeistatistik, die lange auf organisierte Rechtsextreme beschränkt war, erst seit der Jahrtausendwende mit schärferen Kriterien ausgelegt, taucht der Fall nicht auf. Ebenso wenig wie viele Fälle, wo etwa Skinhead-Cliquen sozial Schwache wie Obdachlose totgeprügelt hatten. Für das Projekt werden zwei Wissenschaftler des Mendelsohn-Zentrums Einblick in die Akten der Staatsanwaltschaft nehmen, soweit diese noch vorhanden sind. Projektleiter Gideon Botsch schloss nicht aus, dass gegebenenfalls Zeugen oder sogar die früheren Täter angehört werden. Es werde aber auch Fälle geben, die nicht mehr klärbar seien.

Es geht nicht allein um den Blick zurück, um Aufarbeitung. Ziel seien differenziertere Erkenntnisse über Motive der Täter sowie Hinweise für künftige Fallneubewertungen, sagte Woidke. Er versicherte mit Blick auf die bundesweiten NSU–Ermittlungen, dass auch neue Verdachtsfälle einbezogen werden, falls solche bekannt werden. Der Direktor des Moses–Mendelsohn-Zentrums Julius Schoeps hob hervor, dass dieses Projekt durch die Regierung unterstützt und ermöglicht wird. „In Brandenburg ist es, anders als in manchem Nachbarland, nicht nur die Zivilgesellschaft, die genau hinschaut, die über das Ausmaß rechtsextrem motvierter Gewalttaten ein reales Bild will.“ Und Woidke sagte, Brandenburg habe „nach bitterem Lehrgeld in den 90er Jahren“ – damals wurden Übergriffe auch regierungsoffiziell aus Angst vor Imageschäden verharmlost – einen „neuen unnachgiebigen Kurs gegen alle Erscheinungen von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit eingeschlagen.“

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