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Rechtsextremismus in Brandenburg: Kinder werden öfter Opfer rassistischer Gewalt

Die Zahl rechter Straftaten ging laut dem Verein Opferperspektive insgesamt zurück. Dafür steigt die Zahl der Kinder, die Opfer rassistischer Straftaten werden. Cottbus bleibt Brandenburgs Hotspot.

Potsdam - Einer der gravierendsten Fälle rassistischer Gewalt in Brandenburg aus dem Vorjahr ist dieser: Großräschen (Oberspreewald-Lausitz), August 2017. Vier ausländische Frauen gehen mit ihren Kindern auf den Spielplatz. Ein betrunkener 18-Jähriger beschimpft sie als „Scheiß Ausländer“, tritt einer schwangeren 24 Jahre alten Türkin mit dem Fuß in den Bauch. Einem fünf Jahre alten Mädchen wird in den Rücken geboxt.

Attacken auf Kinder und Schwangere als Eindruck eines „biologistischen Überfremdungsdiskurses“, einer „Brutalisierung und Enthemmung“, wie Opferberater Hannes Püschel es ausdrückt, sind keine Einzelfälle mehr. Rassisten, das ist die Botschaft des Vereins Opferperspektive, machen auch vor ungeborenem und jungem Leben keinen Halt. Zwar ist die Zahl rechter Gewalttaten in Brandenburg, die von dem Verein erfasst wurden, im Vorjahr zurückgegangen. Doch Attacken auf Kinder unter 14 Jahren haben zugenommen: Die Opferperspektive erlangte im Vorjahr Kenntnis von 35 Kindern, die von rechten Tätern angegriffen wurden. Ein Jahr zuvor waren es 22. Die jüngste Betroffene war ein zweijähriges Mädchen aus Afghanistan, das gemeinsam mit seiner sechs Jahre alten Schwester in Lindow (Ostprignitz-Ruppin) rassistisch beschimpft und geschlagen wurde. „Gesellschaftliche Tabus lösen sich bei rechten Gewalttätern zunehmend auf“, sagte die Geschäftsführerin der Opferperspektive, Judith Porath, am Dienstag bei der Vorstellung der Jahresbilanz.

32 rechtsmotivierte Angriffe allein in Cottbus

Seit 2001 dokumentiert der in Potsdam ansässige Beratungsverein rechte Gewalttaten in Brandenburg. Eingang in die Statistik finden auch von Betroffenen glaubhaft geschilderte Vorfälle, die nicht zur Anzeige gebracht wurden, sodass die Zahlen meist von der Kriminalstatistik abweichen, die Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) am Donnerstag vorstellt. Die Opferperspektive hat für 2017 insgesamt 171 rechte Gewalttaten mit 264 Opfern erfasst. Ein deutlicher Rückgang, ein Jahr zuvor dokumentierte sie 50 Taten mehr. Aber: Weniger geworden sind vor allem Sachbeschädigungen, Brandstiftungen und Nötigungen. Die Zahl der Körperverletzungen – 148 insgesamt – ist die zweithöchste, die seit 2001 erfasst wurde.

Hauptmotiv für rechte Angriffe sei in zunehmenden Maße Rassismus, der sich meist gegen Flüchtlinge richtet. Angriffe auf politische Gegner spielen eine kleinere Rolle. Auffällig ist die regionale Verteilung. Während sich die Lage in Frankfurt (Oder) verbessert hat, bleibt Cottbus der Hotspot rechter Gewalt. Dort wurden im Vorjahr 32 rechtsmotivierte Angriffe registriert – die zweithöchste Zahl, die jemals von der Opferperspektive in einem Brandenburger Landkreis oder in einer kreisfreien Stadt festgestellt wurde. Die Höchstzahl stammt ebenfalls aus Cottbus: 2016 gab es dort 41 Attacken von rechts.

Verein „Zukunft Heimat“ aus Cottbus wird Mitverantwortung vorgeworfen

Eine Mitverantwortung dafür geben die Opferperspektive sowie der Wissenschaftler Gideon Botsch vom Moses-Mendelssohn-Zentrum für europäisch-jüdische Studien in Potsdam auch dem Verein „Zukunft Heimat“, der in Cottbus regelmäßig gegen die Asylpolitik des Bundes demonstriert. Auch wenn es bei den Demos selbst friedlich bleibe, werde durch Redebeiträge eine aggressive Stimmung vermittelt, so Botsch. Vor oder nach den Demos sei es durchaus zu Gewalt gekommen, ergänzt Judith Porath. So seien Flüchtlingshelfer und auch sie selbst massiv bedroht worden. „Zukunft Heimat“ sei inzwischen klar als „rechtsextremer Akteur“ einzustufen, sagt Botsch. So haben frühere Mitglieder des verbotenen Neonazi-Netzwerks „Widerstandsbewegung in Südbrandenburg“ an Demos teilgenommen, wie das Innenministerium auf eine Anfrage der Grünen-Fraktion bestätigte. Wie berichtet fordern die Grünen, dass „Zukunft Heimat“ vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

Aber nicht nur „Zukunft Heimat“ hat aus Sicht von Porath zur Eskalation in Cottbus beitragen. Verschärfend käme hinzu, dass rassistische Taten dort nicht schnell genug vor Gericht kommen und die Stadtspitze die Zivilgesellschaft beim Protest gegen Rechtsextremismus nicht genug unterstützt habe. Oberbürgermeister Holger Kelch (CDU) habe zu spät reagiert, kritisierte am Dienstag auch Linke-Fraktionschef Ralf Christoffers. „Die Gefahr, dass Cottbus zu einem zweiten Pegida-Standort wird, die ist da“, warnte er. Potsdam und andere Städte hätte vorgemacht, wie man sich dagegen erfolgreich als Stadt positioniert. CDU-Fraktions- und Landeschef Ingo Senftleben verteidigte seinen Parteikollegen Kelch. „Ich finde, dass wir alle für Cottbus Verantwortung tragen“, sagte er.

Wie schwierig die Gemengelage in Cottbus ist, zeigen gestern veröffentliche Zahlen des Innenministeriums. Im Vorjahr gab es in Cottbus 368 Gewalttaten, wie aus einer Antwort auf eine Anfrage der fraktionslosen Abgeordneten Iris Schülzke hervorgeht. 211 Tatverdächtige (Vorjahr 210) waren deutscher Herkunft. Aber es gab auch 66 Taten mit ausländischen Tatverdächtigen. 2016 waren es nur 23 gewesen.

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