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Neonazi Raack integriert sich in Ortrand. Mit dem Jugendklub organisiert er zum Partys, hat die Parkgaststätte zum Eventzentrum umgebaut.

© Julian Stratenschulte/dpa

Rechtsextremismus: Der nette Neonazi von Lindenau

Im Süden Brandenburgs macht sich ein einflussreicher Neonazi breit. In dem Dorf Lindenau stört sich offenbar kaum jemand daran. Der Verfassungsschutz ist alarmiert.

Ortrand/Lindenau - Im Süden Brandenburgs macht ein einflussreicher Neonazi gute Geschäfte. Doch offenbar stört sich kaum jemand daran in der Gemeinde Lindenau im Amt Ortrand (Oberspreewald-Lausitz), wo die AfD bei der Bundestagswahl im September mit einem Drittel der Stimmen stärkste Kraft vor der CDU wurde und wo der Neonazi Sebastian Raack nun einen Gasthof betreibt. Die PNN hatten bereits im Frühjahr über den Fall und die Sorgen des Verfassungsschutzes berichtet, Lindenau drohe zu einem bundesweiten Hotspot rechtsextremer Konzerte und zu einem neuen Anlaufpunkt von Neonazis zu werden. Und nicht nur das. Es ist inzwischen weitaus brisanter.

Der Verfassungsschutz war bereits zu Jahresbeginn vor Ort und informierte in Ortrand Mandatsträger über Raack. Der hatte seit 2014 versucht hatte, im Amt Ortsrand Immobilien zu erwerben, scheiterte zunächst, auch weil die Verkäufer sich über den Mann informierten und den Deal platzen ließen. Ende 2016 schaffte es Raack doch, kaufte in der Stadt Ortrand das Hotel "Deutsches Haus" samt Gaststätte und in der 750 Einwohner zählenden Nachbargemeinde Lindenau einen Landgasthof mit Scheune.

Verfassungsschutz warnt erneut vor Neonazi

Doch viel gebracht haben die  Informationen der Behörde nichts, wie der rbb nun berichtete. Deshalb sah sich die Verfassungsschutzabteilung des Innenministeriums jetzt gezwungen, erneut und noch deutlicher vor Raack zu warnen. In einem Schreiben an den Amtsdirektor Kersten Sickert, an den Chef des Ordnungsamts, die Bürgermeister von Ortrand und Lindenau hat der Verfassungsschutz ein erneutes Gespräch anberaumt - es ist die nächste Eskalationsstufe.

Raack ist vor Ort kein Unbekannter, er kommt aus der Region, hielt sich bislang aber immer bedeckt, nun geht er in die Offensive. Er ist nicht nur ein bekannter Aktivist, sondern steckt seit Jahren tief in der rechtsextremistischen Szene, ist einer der führenden Köpfe, laut Verfassungsschutz sogar ihr Finanzier. Und die vorliegenden Informationen reichen, die der Verfassungsschutz in seinem Schreiben auflistet, reichen, um zu wissen: Raack ist kein kleines Licht in der Neonazi-Szene. Ganz im Gegenteil. 

Er war Mitglied des rechtsextremistischen Netzwerks "Blood & Honour" bis zum Verbot im Jahr 2000 , betreute das Postfach der südbrandenburgischen Sektion.

Dem NSU beim Untertauchen geholfen

Das "Blood & Honour"-Netzwerk hatte das NSU-Trio beim Untertauchen unterstützt. Im Dezember 2016 verlegte Raack - wie berichtet - den Sitz seines rechten Online-Versands für Musik und Kleidung "Opos Records" und seiner eigenen Kleidungsmarke "Greifvogel Wear" von Dresden nach Lindenau.

Für den Verfassungsschutz ist Raack "einer der big player in der rechtsextremistischen Vertriebsszene" mit Umsätzen von mehreren 100.000 Euro im Jahr - und einer der Größen nicht nur in der deutschen, sondern in der europäischen Rechtsextremismus-Szene.

Überdies sei Raack mit seinem Musik- und Versandhandel schon mehrfach in "Konflikt mit strafrechtlichen Tatbeständen" und mit der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien" geraten, heißt es beim Verfassungsschutz. Nebenbei ist Raack Mitglied der südbrandenburgischen NS-Hardcore-Band „Outlaw“ und der Hassband "Hope for the Weak", die europaweit bei Neonazi-Konzerten auftreten.

Organisator des "Kampfs der Nibelungen"

Zuletzt ist Raack den Behörden als Mitorganisator und Sponsor des europaweiten Kampfsportevents "Kampf der Nibelungen" für Neonazis und rechte Hooligans aufgefallen. Raack kämpfte laut Verfassungsschutz sogar selbst im Ring.

Die Veranstalter werben für sich damit, dass sie dem "faulenden politischen System", "dem System der Versager, der Heuchler und der Schwächlinge" den Rücken kehren, lieber auf "Wille, Disziplin und Fleiß" und "fest zusammenstehende Gemeinschaften" setzen, welche in demokratischen Gesellschaften selten zu finden seien.

In Ortrand und Lindenau versucht Raack nun nach Einschätzung des Verfassungsschutzes seinen politische-extremistischen Aktivitäten einen bürgerlichen Anstrich zu geben. Dort lässt man Raack trotz der frühzeitigen Warnungen der Behörden gewähren. Ende Mai half er, ein hölzernes Ortseingangsschild zum 650-jährigem Dortjubiläum aufzustellen.

Unkritischer Umgang mit rechtsextremen Symbolen

Fotos von der Facebook-Seite der Gemeinde zeigen Raack in kurzen Hosen und einem T-Shirt der rechtsextremen Hatecore-Band Brainwash, auf dem Rücken der Spruch: "Europas Front steht." Auf den Fotos ist er auch zu sehen, wie er beim Parkfest der Gemeinde Anfang Juni an der Zapfsäule stand. Oder als Zuschauer auf dem Fußballplatz in einem T-Shirt seiner Marke "Greifvogel-Wear".

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Raack scheint angekommen - und akzeptiert zu sein. Ein Alarmsignal, heißt es vom Verfassungsschutz. Raack integriere sich schlau. Mit dem örtlichen Jugendklub organisiert er Partys, hat die Parkgaststätte zum Eventzentrum umgebaut: Die Fastnacht, Konzerte, der Herbstball, ein Kirmesball fanden dort schon statt, das Oktoberfest hat Raack mitorganisiert, er spende für Sportvereine, heißt es. Endlich ist was los im Dorf.

Auch eine Pizzeria hat Raack in seiner Parkgaststätte aufgemacht, ihr Name "Pizza 18". Ob Zufall oder nicht: Die Zahl ist die Hausnummer - aber sie ist auch ein Code in der rechten Szene. Nach dem Alphabet steht sie für Adolf Hitler.

"Man hört nur Gutes"

Michael Raack, der Fußballtrainer beim SV Eintracht Ortrand ist und nur zufällig denselben Nachnamen trägt, sagte dem rbb: "Man hört erstaunlicherweise nur Gutes und Positives. Aber ich fürchte, dass dahinter ein leicht perfider Plan steckt, um das gesellschaftsfähig zu machen, dass das sehr unkritisch hingenommen wird." Auch der Verfassungsschutz sieht diese Gefahr. Denn Raack baut den Gasthof in Lindenau offenbar weiter aus.

Ein Laden oder wie einst in Dresden ein Tattoo-Studie könnten hinzukommen, es gäbe weiteren Zulauf - nicht nur von Neonazis, sondern auch aus der Umgebung. Beim scheinbar guten, im Dorf engagierten Rechtsextremisten. Es sind die verschwimmenden Grenzen, die der Verfassungsschutz befürchtet, das Gewöhnen an den Neonazi von nebenan, das Einsickern des Rechtsextremismus in den Alltag, sächsische Verhältnisse.

Der Bürgermeister von Lindenau, Jürgen Bruntsch, parteilos, gewählt auf CDU-Ticket, ist für Nachfragen nicht erreichbar. Auch dem rbb hatte er kein Interview verweigert. Ein Anruf bei Amtsdirektor Kersten Sickert, der als Hauptverwaltungsbeamter des Amtes Ortrand zu Auskünften verpflichtet ist, bringt nicht viel. Er verweist auf das bevorstehende Gespräch mit dem Innenministerium am kommenden Montag, will keine Frage beantworten. Auch nicht, ob denn alle sensiblen genug damit umgegangen seien, nachdem der Verfassungsschutz frühzeitig gewarnt hatte. Gespräch beendet.

CDU-Landeschef Senftleben schaltet sich ein

Einer spricht: CDU-Landes- und Fraktionschef Ingo Senftleben. Von 2003 bis 2014 war er Bürgermeister in Ortrand und ist dort aufgewachsen. Immer wieder hätten Neonazis versucht, Immobilien zu erwerben, sagte Senftleben den PNN. „Da muss man fit sein, aufmerksame Strukturen haben, sich mit allen Beteiligten an den Tisch setzen.“ Auf diese Weise seien in der Vergangenheit Versuche von Neonazis, Immobilien zu kaufen, verhindert worden.

Er hoffe, dass nach der erneuten Warnung des Verfassungsschutzes „jeder vor Ort aufwacht, auch die Leute, die in Verwaltung und Politik Verantwortung tragen“, sagte der CDU-Landeschef. Ein Seitenhieb auf den Amtsdirektor und den Bürgermeister von Lindenau. „Wir müssen offensiv damit umgehen“, mahnte Senftleben. Im aktuellen Fall hätte sich in Lindenau niemand für die klaren Warnungen interessiert.

Aber auch die Strategie der Neonazis habe sich geändert, sie gingen geschickter vor, würden ihre Gesinnung nicht offen zeigen. Viele würden dann sagen, „die passen wunderbar zu uns, sind nette Nachbarn“, so Senftleben. „Wenn man dann nicht aufpasst, hat man schnell ein Problem.“ Das ist nun eingetreten. Die CDU im Amt Ortrand werde beraten, wie man „damit umgehen und die Bürgergesellschaft informieren kann“, sagte Senftleben. „Der offene, ehrliche Umgang - statt Tatsachen zu verdrängen - ist schon ein wichtiger Schritt.“

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