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Gedenken in Eberswalde. Der Angolaner Amadeu Antonio war 1990 das erste Todesopfer rassistisch motivierter Gewalt nach der Wende in Ostdeutschland.

© dpa

Rechtsextreme Gewalt in Brandenburg: Hohes Risiko von rechts

In Brandenburg ist das Risiko, Opfer rechtsextremer Gewalt zu werden, deutschlandweit am höchsten. Ein Blick hinter die Zahlen zeigt aber: In Brandenburg schaut die Polizei auch genauer hin.

Potsdam - Die Gefahr, Opfer einer rechtsextremistischen Gewalttat zu werden, ist deutschlandweit nirgendwo so groß wie in Brandenburg und in Berlin. Das geht aus einer Statistik des Bundesinnenministeriums hervor, die den PNN vorliegt und über die am Donnerstag zunächst die „taz“ berichtet hat. Brandenburg führt die Länderliste des Bundesinnenministeriums an: Pro 100 000 Einwohner wurden 2014 demnach 2,98 rechtsextreme Gewalttaten gezählt. Danach folgt Berlin mit 2,81 Attacken von Neonazis pro 100 000 Einwohner. Auf den weiteren Plätzen folgen überwiegend Ost-Bundesländer: Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Sachsen sowie Sachsen-Anhalt. Letzteres führte im Jahr 2013 noch die Länderliste mit 2,58 rechtsextremistischen Gewalttaten je 100.000 Einwohner an. Brandenburg lag 2013 noch auf Platz sechs (1,80) hinter Berlin, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg.

Brandenburg ist seit Jahren deutlich von politisch rechts motivierter Kriminalität betroffen, das räumt das Innenministerium in Potsdam auch ein. „Es macht keinen Sinn, hier irgendetwas zu verschleiern oder zu verharmlosen“, sagte ein Ministeriumssprecher.

Anstieg von rechter Gewalt in Brandenburg

Tatsächlich verzeichnete die Polizei im vergangenen Jahr einen deutlichen Anstieg bei den rechten Gewalttaten, vor allem bei den fremdenfeindlich motivierten. 73 rechtsextreme Gewalttaten gab es 2014 – der höchste Wert seit 2007. Allein 46 der Gewalttaten waren rassistisch motiviert und richteten sich gegen Ausländer. Von den insgesamt um 6,6 Prozent gestiegenen 1281 rechtsextremen Straftaten in Brandenburg waren 280 fremdenfeindlich – eine Zunahme um 74 Prozent.

Um abzuschätzen, was die Zahl rechtsextremer Gewalttaten bedeutet, gibt es die sogenannte Kriminalitätshäufigkeitszahl, also die Zahl bestimmter Straftaten je 100.000 Einwohner. Allerdings ist fraglich, welche Aussagekraft die nun vom Bundesinnenministerium herausgegebenen Vergleichsdaten zu den rechtsextremen Gewalttaten in den Bundesländern haben. Offiziell heißt es aus dem Potsdamer Innenministerium, die Zahlen seien nur ein Indikator für die polizeiliche Lagebewertung.

Die Polizei registriert mehr rechtsextreme Gewalttaten

Für die Einschätzung der Vergleichsliste aus dem Bundesinnenministerium hilft auch ein Blick auf die Statistik der Opferberatungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in den Bundesländern – und die weist regelmäßig deutlich mehr rechtsextreme Gewalttaten auf als die Polizeistatistik. Der Verein Opferperspektive etwa zählte 2014 insgesamt 92 rechte Gewalttaten, im Jahr zuvor waren es 85. Für die Zahl rechter Gewalttaten je 100.000 Einwohner kommen die Opferberatungsstellen deshalb auf deutlich andere Zahlen. Demnach ist die Gefahr, Opfer einer rechtsextremistischen Gewalttat zu werden, in Sachsen am höchsten, danach folgen in den Jahren 2013 und 2014 jeweils Mecklenburg-Vorpommern, Berlin, Sachsen-Anhalt und Thüringen. 2014 waren es demnach in Sachsen 6,35 rechte Gewalttaten je 100.000 Einwohner, im Jahr zuvor 5,51. Für Brandenburg, jeweils auf Platz fünf, wurden Häufigkeitszahlen von 3,8 und 3,47 errechnet.

Daraus schließen die Opferberatungsstellen einen für Brandenburg durchaus positiven Schluss. Denn es fällt auf, dass der Unterschied zwischen Häufigkeitszahlen des Bundesinnenministeriums und der Opferberatungsstellen für Brandenburg am niedrigsten ausfällt, ebenso für Thüringen. Die Zahl der von der Polizei amtlich registrierten rechten Gewalttaten weicht in Brandenburg also deutlich weniger von der Zahl der von den Opferberatern vermerkten Gewalttaten ab als in anderen Bundesländern. Für den Potsdamer Verein Opferperspektive liegt auch aus der Alltagserfahrung der Schluss nahe, dass die Sensibilität der Behörden gegenüber rechter Gewalt in Brandenburg höher ist als in anderen Bundesländern. Allerdings können auch die Beratungsstellen nur bedingt vergleichen: In den alten Bundesländern existieren noch keine flächendeckenden Beratungsstrukturen und damit auch keine eigene Erfassung rechter Gewalt.

Brandenburg ist Vorreiter im Kampf gegen Rechtsextremismus

Auch der Sprecher des brandenburgischen Innenministeriums erklärte am Donnerstag, die Bekämpfung werde eine „politische und kriminalstrategische Schwerpunktaufgabe“ bleiben. Und auch unter Experten ist es inzwischen Gemeingut, dass Brandenburg im Kampf gegen Rechtsextremismus bundesweit Vorreiter ist. Etwa bei der jüngst vorgestellten – und von externen Wissenschaftlern des Moses Mendelssohn Zentrums vorgenommene – Überprüfung aller seit 1990 begangenen Mordfälle mit rechtsextremen Hintergrund.

Das gilt auch bei der Umsetzung der vom NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages 2013 empfohlenen Neujustierung in der Polizei. Die Vehemenz und Offenheit, mit der Brandenburg in dieser Frage vorgeht, sei im Vergleich zu anderen Bundesländern einmalig und stoße dort auch auf große Vorbehalte, heißt es. Seit Frühjahr 2014 müssen in Brandenburg alle Straftaten schon beim Erfassen auf einen rechtsextremen Hintergrund geprüft werden. Beamte bekommen in ihren Dienststellen unter anderem auch Schulungen am Computer zu rechtsextremen Straftaten. Das macht sich bemerkbar. Die Aufklärungsquote bei rechten Gewalttaten stieg 2014 von 89 auf 93 Prozent. Und beim Staatsschutz soll das Personal wieder aufgestockt werden.

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