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Brandenburg: „Rechte Taten lange falsch eingeschätzt“ Experte Christoph Kopke über neue Opferforschung

Herr Kopke, in Brandenburg werden vor dem Hintergrund möglicher rechtsextremer Gewalttaten zahlreiche Tötungsdelikte seit der Wende erneut auf einen rechtsextremistischen Hintergrund untersucht. Womit erklären Sie sich die Diskrepanz bei den Opferzahlen?

Herr Kopke, in Brandenburg werden vor dem Hintergrund möglicher rechtsextremer Gewalttaten zahlreiche Tötungsdelikte seit der Wende erneut auf einen rechtsextremistischen Hintergrund untersucht. Womit erklären Sie sich die Diskrepanz bei den Opferzahlen? Laut offizieller Statistik sind es neun Tote, Opferverbände und der „Tagesspiegel“ mit den „PNN“ sowie die „Zeit“ kommen auf mehr als 30 Opfer.

Es ist im Einzelfall objektiv schwierig, Taten eindeutig als rechtsextrem zu bewerten. Gerade in den 1990er-Jahren taten sich Gerichte mit Bewertungen oftmals schwer. Zivilgesellschaftliche Initiativen achteten sehr sensibel auf ausländerfeindliche, rassistische oder rechtsextreme Begleitumstände. Diese Sensibilität war bei Ermittlungsbehörden und Justiz nicht immer angemessen ausgeprägt. Zudem waren die Kriterien zur Bewertung politischer Straftaten nicht genug ausdifferenziert.

Wie hat sich die Bewertung mittlerweile verändert?

Vor der Reform der Erfassungskriterien wurden vorwiegend Taten dann politisch bewertet, wenn sie sich erkennbar gegen Staat und Gesellschaftsordnung richteten. Äußerte sich der Täter aber nicht deutlich politisch, etwa durch Rufen entsprechender Parolen, fiel sie nicht darunter – egal, ob er als Neonazi stadtbekannt war und das Opfer einem rechten Feindbild entsprach. Pauschale Kritik an den Ermittlern ist aber falsch. Auch in anderen Bundesländern weichen die Zahlen zwischen Polizeistatistik und unabhängigen Beobachtern erheblich voneinander ab.

Gibt es mittlerweile klare Definitionen, was eine rechtsextreme Gewalttat ist?

In der Regel sind es keine Taten, bei denen organisierte Täter zielgerichtet vorgehen, die Begegnungen sind oft zufällig. Das spätere Opfer wird etwa als „Ausländer“ ausgemacht oder als „Zecke“ beschimpft, wie man Linke in der rechten Szene nennt. Belanglose Auseinandersetzungen können schrecklich eskalieren. Der Zusammenhang zum Rechtsextremismus besteht darin: Die Täter haben rechtsextreme Einstellungen, sind grundsätzlich gewaltbereit und viele bezeichnen sich selbst als rechts.

Wie gehen Sie mit Ihrem Team nun vor?

Wir beginnen mit der Durchsicht aller überlieferten Vorgänge, die von Gerichten oder Staatsanwaltschaften vorliegen. In Einzelfällen können das zwei Waschkörbe voll Akten sein. Dazu kommen Pressebeiträge. Ob wir auch Angehörige oder Zeugen direkt befragen, wird sich zeigen. Die Konfrontation mit den Taten in den Akten gibt zum Teil einen bedrückenden Einblick in die Brutalität der Täter. Für die Angehörigen und das Umfeld der Toten ist es wichtig, den Grund für die Tat zu erfahren. Gerade auch dann, wenn sie jahrelang auf einen rassistischen Umstand hinwiesen und nicht gehört wurden.

Die Fragen stellte Gudrun Janicke

Dr. Christoph Kopke, 46, seit Mai am Moses Medelssohn Potsdam im Forschungsprojekt „Überprüfung umstrittener Altfälle 'Opfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt in Brandenburg'“

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