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Neuland. Wittenberge hat sich vom Bevölkerungsrückgang der Wendezeit durch neue Arbeitsplätze erholt.

© Arne Immanuel Bänsch, dpa

Brandenburg: Raus aufs Land

Brandenburger Städte setzen auf Lebensqualität. 25 Jahre nach der Wende kann das ein Umschwung sein

Wittenberge - Die Erfolgsstrategie des Bürgermeisters von Wittenberge klingt im ersten Moment überraschend. „Es geht längst nicht mehr um die Ansiedlung von möglichst vielen neuen Arbeitsplätzen wie in den 1990er Jahren“, sagt Oliver Hermann (parteilos). „Wir investieren in das Stadtbild und die Lebensqualität, um unsere Bürger in der Stadt zu halten und neue anzulocken.“ Denn in Wittenberge (Prignitz) sterben weiterhin pro Jahr etwa 200 Menschen mehr, als geboren werden – so kann nur Zuzug die Bevölkerungszahl stabil halten. Und eine etwa seit 2010 stabile Einwohnerzahl von gut 17 000 sei schon ein großer Erfolg in einer Stadt, in der es nach der Wende 20 Jahre lang nur in eine Richtung ging – nämlich bergab, erläutert Hermann: Von gut 30 000 Einwohnern im Jahr 1990 auf rund 17 500 im Jahr 2012.

Ein großes Nähmaschinenwerk, eine Zellstofffabrik und eine Ölmühle mit mehreren tausend Arbeitsplätzen waren nach der Wende geschlossen worden. Fernsehteams kamen damals nach Wittenberge, um Bilder vom „kaputten Osten“ einzufangen. „Da gab es für junge Leute nur einen Rat: ,Raus aus der Stadt’“, sagt der Bürgermeister. „Jetzt kommen einige von ihnen in der Familienphase in die Heimat zurück.“ Hinzu kommen Neubürger aus dem Umland oder etwa aus Hamburg, Berlin und Leipzig, die mehr Ruhe suchen oder sich dort die Mieten nicht leisten können. In den mittlerweile aufwendig sanierten Gründerzeitvierteln von Wittenberge liegt die Kaltmiete zwischen fünf und sechs Euro pro Quadratmeter, Grundstücke sind ab 30 Euro pro Quadratmeter zu haben. Gerade für große Familien aus teuren Großstädten sind das verlockende Angebote. „Die Häuser und Wohnungen sind sofort weg, wenn sie saniert sind“, berichtet Hermann. „Zur Wende stand die Stadt schlimmer da als nach dem Zweiten Weltkrieg“, meint der Bürgermeister. „Man musste zunächst Straßen und Plätze sanieren – dann kommen auch die privaten Investoren und setzen Häuser instand.“

Straßenzug um Straßenzug wurden der Altbaubestand saniert und im Gegenzug Plattenbauten abgerissen. Das von der Deutschen Bahn aufgegebene historische Bahnhofsgebäude will die Stadt dieses Jahr kaufen und dort unter anderem eine Bibliothek unterbringen. An der Haupteinkaufsstraße werden Plattenbauten mit Fassaden im Stil der Gründerzeit oder der Bauhaus-Epoche verziert. „So bekommt die Stadt wieder ein Gesicht“, meint der Bürgermeister.

Lebensqualität ist auch Teil der Erfolgsstrategie der „Sängerstadt“ Finsterwalde in Südbrandenburg, die ebenfalls bei der Einwohnerzahl die Wende geschafft hat. 1990 lebten dort mehr als 23 000 Bürger, doch mangelnde Arbeitsplätze sorgten für starke Abwanderung, erläutert Stadtsprecherin Paula Vogel. So sank die Einwohnerzahl bis zum Jahr 2014 auf 16 400, inzwischen sind es wieder mehr als 17 000. Die Ansiedlung neuer Unternehmen und Gewerbebetriebe hätten ehemalige Bürger zur Rückkehr bewegt, andere seien nach ihrer Ausbildung in der Stadt geblieben, erläutert Vogel. Die Stadtwerke treiben den Glasfaserausbau ohne öffentliche Fördermittel voran, ein Standortvorteil für Unternehmen. Auch die Rückkehrer-Initiative „Comeback Elbe-Elster“ arbeitet erfolgreich. „Dabei trifft sie oftmals auf diejenigen, die zu Beginn der 2000er-Jahre Finsterwalde verlassen haben und nun zurück in die Heimat kommen möchten.“ Oft hätten sie Kinder und wollten die Großeltern in der Nähe haben. „Dafür nehmen sie geringere Löhne auf sich und profitieren von den niedrigeren Lebenshaltungskosten in der Region“, so Vogel.

Das Amt Oder-Weise in der Uckermark hat nach der Wende massiv auf die Ansiedlung neuer Unternehmen gesetzt. In der amtsangehörigen Gemeinde Pinnow wurde das Gelände des früheren DDR-Raketenwerks und Munitionslagers als Industrie- und Gewerbegebiet erschlossen. Die vorhandenen Gleisanlagen wurden zu einem Verladebahnhof ausgebaut und ein Straßennetz angelegt. „Dort siedelten sich 15 neue Unternehmen an“, berichtet Amtsdirektor Detlef Krause. Von 1992 bis 2015 habe sich Zahl der Gewerbebetriebe in der Gemeinde von 44 auf 79 fast verdoppelt, berichtet Krause. Die Zahl der Arbeitsplätze wuchs bis 2011 auf deutlich mehr als 900, und die Zahl der Einwohner ebenfalls. Nach der Schließung eines großen Solarwerks im Jahr 2015 habe sich die Zahl der Arbeitsplätze leider wieder halbiert. Doch die Einwohnerzahl blieb mit knapp 900 nahezu konstant. „Bei den Entwicklungen im Ballungsraum Berlin rechnen wir künftig mit einem Anstieg der Zahl der Einwohner und der Betriebe in Pinnow“, meint Krause. Viele Firmen planten den Schritt ins Umland, weil es auch am Stadtrand von Berlin immer weniger Flächen gebe. „Wir halten auch Bauland zur Erschließung von 30 Grundstücken bereit und bieten alles, was junge Familien in einem modernen Wohnumfeld erwarten.“ (dpa)

Klaus Peters

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