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Brandenburg: Psychiater: Mutter von Dennis voll schuldfähig

Gutachter belasten Eltern / Potsdamer Kinderarzt Radke: Das Kind hätte gerettet werden können

Von Sandra Dassler

Cottbus - Die Eltern des kleinen Dennis, dessen Leiche 2004 in einer Tiefkühltruhe entdeckt wurde, sind aus medizinischer Sicht voll schuldfähig. Das legte der psychiatrische Gutachter Jürgen Rimpel gestern vor dem Landgericht Cottbus dar. Angelika und Falk B., die unter anderem wegen Totschlags angeklagt sind, weil sie ihren Sohn so vernachlässigt und misshandelt haben sollen, dass er kurz vor Weihnachten 2001 an Auszehrung starb, hätten durchaus erkennen können, dass der Sechsjährige dringend ärztliche Hilfe benötigte.

Zugleich bescheinigte der Gutachter der Mutter Angelika B. eine Persönlichkeitsstörung. Bei der 44-Jährigen könne man Symptome des so genannten Borderline-Syndroms diagnostizieren: Unfähigkeit zu sozialen Kontakten, Ängstlichkeit, Impulsivität, Aggressivität, zeitweilige Depressionen. Zu Dennis habe Angelika B. keine richtige Mutter-Kind-Bindung aufgebaut. Als er 1995 geboren wurde, befand sie sich in einem akut depressiven Zustand, sprang oder fiel kurz darauf aus dem Fenster, wobei sie sich schwer verletzte. „In dieser Zeit hatte sie Angst, dass man ihr ein Bein amputieren müsse, ihr Ehemann kam ins Gefängnis, und sie war schon wieder schwanger“, versuchte der Gutachter die Situation zu erklären: „Dennis kam in ein Heim, und als er nach vielen Monaten in die Familie zurückkehrte, waren schon zwei jüngere Geschwister da und seine Mutter konnte keine Beziehung zu ihm aufbauen.“

In der Folge habe Angelika B. Dennis im Gegensatz zu ihren anderen Kindern als schwierig und quengelig beschrieben. Als der Junge nicht essen wollte, habe er eben nichts bekommen. Als er nachts nicht schlief, wurde er am Bett festgebunden.

Der Gutachter bescheinigte Angelika B. weiterhin eine „begrenzte Fähigkeit, auf andere Menschen einzugehen“. Eine gewisse Ich-Bezogenheit, verbunden mit sehr viel Selbstmitleid, sei ihr nicht abzusprechen. So habe sie während des mehrstündigen Gesprächs über ihr Leben nur ein einziges Mal geweint – als sie schilderte, wie sie sich beim Fenstersturz die Beine brach.

Die Persönlichkeitsstörung habe aber keinen Einfluss auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit von Angelika B. gehabt, meinte der Gutachter. Gleiches gelte für den Vater Falk B. – auch wenn der Gutachter dem 38-Jährigen eine leichte Intelligenzminderung bescheinigte. Er habe aber erkannt, dass „Dennis immer weniger wurde“, außerdem habe er verhindert, dass seine Frau den Jungen auch am Tage am Bett festband, und ihm manchmal heimlich zu essen gegeben.

Dass Dennis an chronischer Mangelernährung und extremer Auszehrung starb, steht für den Kinderarzt Michael Radke außer Frage. Der Direktor der Kinderklinik Potsdam stand ebenfalls als Gutachter vor Gericht und schloss alle von der Verteidigung ins Feld geführten Hypothesen, wonach Dennis an einer anderen Krankheit gestorben sein könne, kategorisch aus. Dass der Junge über Jahre hinweg hungerte, zeige ein Foto eineinhalb Jahre vor seinem Tod: „Er konnte nur noch angelehnt sitzen, er nahm das Spielzeug um ihn herum nicht wahr, seine Augen schauten teilnahmslos. Er war schon auf den ersten Blick anders als ein normales Kind“, sagte Radke. Der Kinderarzt ließ keinen Zweifel daran, dass Dennis bis kurz vor seinem Tod durch intensivmedizinische Maßnahmen hätte gerettet werden können.

Sandra Dassler

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