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Victor Stimming (r.) mit seinem Anwalt vor dem Amtsgericht Potsdam.

© Bernd Settnik/dpa

Prozess vor dem Amtsgericht Potsdam: Ex-IHK-Präsident Stimming bestreitet Untreuevorwürfe

Die Vorwürfe wiegen schwer: Eigene Sekretärin auf Kosten der IHK, Freizeitreise nach Malta und Extra-Geld für Aufsichtsratsmandate. Doch zum Prozessauftakt sieht sich Potsdams Ex-IHK-Chef Victor Stimming als unschuldig verfolgter Ehrenamtler.

Potsdam - Untreue, Verschwendung, Saus und Braus? Vor Gericht erscheint ein Victor Stimming, der ein ganz anderes Bild von sich vermitteln will als jenes, das die Öffentlichkeit bishervon ihm hat. Und auch die Staatsanwaltschaft. Denn sonst säße er am Mittwoch nicht auf der Anklagebank im Amtsgericht Potsdam. Untreue in drei Fällen wird dem früheren, 2013 zurückgetretenen Präsidenten der ganz Westbrandenburg umfassenden Industrie- und Handelskammer (IHK) Potsdam vorgeworfen. Eine Freizeitreise und eine Sekretärin für seine Baufirma, finanziert von der Kammer, soll er sich gegönnt haben. Dazu zu Unrecht kassierte Gelder für Aufsichtsratsmandate.

Laut Anklage beläuft sich der Schaden insgesamt auf mehr als 200000 Euro. Alles nicht wahr, erklärt Stimming am Mittwoch zum Prozessauftakt. Er verstehe die Vorwürfe nicht. „Ich habe der IHK in 20 Jahren Ehrenamt keinen Schaden zugefügt“, so der 67-Jährige.

Der Prozess wurde mehrmals verschoben

Auf der Anklagebank zeichnet Stimming von sich selbst das Bild  seinem Einlassung das Selbstporträt eines rührigen, geradezu bescheiden-selbstlosen Geschäftsmannes, der nicht nur für seine eigene Firma, sondern für sein Ehrenamt alles gab. Eines Machers, der 80 Stunden pro Woche schuftete – auch am Wochenende. Um den Firmen für ihre Zwangsmitgliedschaft bei der Kammer etwas zu bieten, das Renomée der Brandenburger Wirtschaft zu mehren. Und der das nun mit einer angeschlagenen Gesundheit bezahlen müsse: Er sei schwerbehindert, leide an Schlafapnoe, also nächtlichen Atemaussetzern, und Hüftbeschwerden. Der Prozess gegen ihn sollte eigentlich bereits 2016 starten, war wegen attestierter Gesundheitsprobleme Stimmings aber mehrmals verschoben worden. Für seine ehrenamtliche IHK-Tätigkeit ab 1993, zu der er sich habe überreden lassen, habe er weder Aufwandsentschädigung noch Sitzungsgeld haben wollen – obwohl ihm dies zugestanden hätte. „Ich wollte keinen finanziellen Vorteil“, sagt der Wirtschaftslobbyist.

Das hätte er auch gar nicht nötig gehabt, schließlich habe seine Baufirma in Brandenburg/Havel, die inzwischen sein Sohn leitet, zehn Millionen Euro und mehr Umsatz pro Jahr erwirtschaftet. Dann sagt er einen Satz, der noch lange zitiert werden dürfte, in diesem unrühmlichen Kapitel IHK-Geschichte: „Ich habe mich nicht einmal getraut, eine Bockwurst zu bestellen auf Kosten der Kammer.“

Bestellt auf Kammerkosten hat er, wie er einräumt, allerdings einen Reiseführer für Malta. Obwohl die Reise zum kleinen Inselstaat im Mittelmeer rein geschäftlich gewesen sei und gar keine Zeit für Sightseeing ließ. Im August 2012 reiste das IHK-Präsidium ein Dutzend Leute, für eine Sitzung in die Inselhauptstadt Valetta. 6000 Euro Schaden seien der IHK laut Anklage so entstanden, denn die Staatsanwaltschaft wertet den Trip als Privatvergnügen.

IHK-Sekretärin im Firmenbüro

Das sei mitnichten so gewesen, so Stimming. Nur einen einzigen Tag habe man auf Malta zur Verfügung gehabt. Am Vormittag sei die Sitzung gewesen. Das für den Nachmittag avisierte Programm – Treffen mit Experten zum Thema Euro-Krise – habe kurzfristig gestrichen werden müssen. Weil der frühere maltesische Regierungschef Dom Mintoff kurz vorher gestorben sei, habe auf Malta Staatstrauer geherrscht. „Niemand hatte mehr Zeit für uns“, sagt Stimming. Deswegen habe man eine Hafenrundfahrt eingeschoben – schließlich könne man an Häfen am besten beobachten, wie es um die Wirtschaftslage eines Landes bestellt sei.

Zudem, betont Stimming vor Gericht, habe das IHK-Präsidium öfter auswärts getagt, wenn es das Thema geboten hätte. Und eine Übernachtung etwa in Hamburg wäre auch nicht günstiger gewesen als in Valetta. Darüber hinaus, und das ist die eigentliche Botschaft, die er mehrmals unterzubringen versucht, habe er mit den Reisevorbereitungen als Ehrenamtler gar nichts zu tun gehabt. Die Reisevorbereitungen. Sie seien vielmehr Sache der Hauptämtler gewesen, sprich zu dem Zeitpunkt des IHK-Hauptgeschäftsführers René Kohl. 

Kohl, der 2014 im Zuge der Untreue-Affäre zurücktrat, und Kohls bereits verstorbener Vorgänger Peter Egenter seien es auch gewesen, die den Arbeitsvertrag mit der Sekretärin geschlossen hätte, die für den IHK-Präsidenten tätig war – in dessen Firmenbüro in Brandenburg/Havel. Ihm sei versichert worden, dass das alles so in Ordnung sei, so Stimming. Anfangs habe er die Sekretärin komplett auf eigene Rechnung bezahlt. Bis das Finanzamt 1996 moniert habe, dass das nicht ginge und die Kosten nicht als Betriebsausgaben anerkennen wollte. Also habe die IHK 50, später 100 Prozent der Sekretärinnenkosten getragen. Die Bürokraft saß dabei neben einer Angestellten, die die Firmenarbeit für Stimming erledigte. Die Frauen hätten sich bei Krankheit und Urlaub gegenseitig vertreten. Ob er das nicht für ein „ungewöhnliches Konstrukt“ halte, will Staatsanwalt Ralf Roggenbuck wissen. 91000 Euro Schaden sollen der IHK entstanden sein, weil Stimming die Sekretärin von 2008 bis 2013 auch für seine Firmenbelange einsetzte. Stimming sieht das ganz anders. Die IHK habe einen Vorteil von dem Konstrukt gehabt. Schließlich habe er unter anderem die Büroräume gestellt.

Der dritte Punkt der Anklage – zu Unrecht kassierte Aufwandsentschädigungen für Aufsichtsratmandate in Höhe von 120000 Euro – wird beim ersten Prozesstag nicht mehr behandelt. Aufgrund Stimmings schlechtem Gesundheitszustand musste der Prozess mehrmals unterbrochen werden. Zu diesen Vorwürfen sagt der 67-Jährige: Über die Zahlungen habe nicht er als Ehrenamtler zu entscheiden gehabt, sondern der Geschäftsführer.

Zivilverfahren vor dem Landgericht ruht

Der Prozess gegen Stimming wird am 14. Mai fortgesetzt. Bis Mitte August sind insgesamt acht weitere Verhandlungstage angesetzt. Bei einer Verurteilung wegen Untreue sieht das Gesetz eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren, bei besonders schweren Fällen von bis zu zehn Jahren vor. Der damalige IHK-Geschäftsführer Kohl soll als Zeuge gehört werden. Die Ermittlungen gegen ihn im Zuge der Protz-Affäre waren 2015 gegen Geldauflage eingestellt worden. 

So lange der Strafprozess vor dem Amtsgericht läuft, ruht ein anderes Stimming-Verfahren vor dem Landgericht, wie ein Gerichtssprecher auf PNN-Anfrage mitteilte: Die IHK hatte 2016 gegen ihren früheren Präsidenten Zivilklage eingereicht und will 300000 Euro von dem Bauunternehmer zurück – unter anderem, weil er einen Dienstluxuswagen privat genutzt haben soll.

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