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Linda Teuteberg.

© dapd

POSITIONEN: Zukunft braucht mehr als nur Herkunft

Preußen ist untergegangen – Brandenburg wurde von Demokraten wiederbelebt

Eine kuriose Debatte erleben wir derzeit auf den Seiten der PNN. Zuletzt konnten wir da vom Genossen der SPD den wenig überraschenden Befund nachlesen, dass etwas grundsätzlich schief laufe bei der Konkurrenz, der CDU. Diese hatte zuvor in Gestalt der Fraktions- und Landesvorsitzenden in aller Deutlichkeit Widerspruch angemeldet – zu einem Publizisten, der vom konservativen Zentralorgan der Republik nach Potsdam geschickt wurde, um den Brandenburgern anspruchslose Beharrlichkeit zuzuschreiben. Der wiederum wurde einst als CDU-Mann Staatssekretär. Jetzt wird er plötzlich von der SPD freundlich gelobt, weil er den Brandenburgern weismachen will, dass sie geblieben sind, was sie schon immer waren: Gute Untertanen, die zumeist Glück hatten mit ihren Herrschern. Einst aus dem Hause Hohenzollern, jetzt unter rot-roten Fahnen.

Das ist tatsächlich eine verwirrende Debatte, die einiges aussagt über die Verwerfungen in der politischen Kultur unseres Bundeslandes. Da frage ich mich als Liberale, ob sich eine Wortmeldung überhaupt lohnt in solch sturem Ringen um die scheinbar unverzichtbare Deutungshoheit. Da werden Argumente ja vor allem ersetzt durch das Beharren auf verpflichtenden Ratschlägen. Mir fehlt bei dem Getöse um die richtige und die falsche Lebensweise, um tatsächliche oder herbeigeredete Traditionslinien vor allem eines: Der Gedanke, dass auch ein Brandenburger sich zuerst selbst bestimmt, dass auch in der angeblich so kargen Mark der Mut zur eigenen Verantwortung gedeihen kann.

Die Debatte begann allerdings tatsächlich mit einer starken Provokation. Der Mann, der den Stein des Anstoßes lieferte, zieht eine Linie von der von ihm als „vorsichtig tastende Politik“ beschriebenen monarchischen Vergangenheit der preußischen Provinz zu dem „sogenannten Brandenburger Weg einer vorsichtigen Systemumstellung“ nach 1989. Selbst bei wohlwollendem Blick auf die Geschichte Preußens bleibt es mir doch ein Rätsel, wie eine derartige Verbindung zwischen einer absolutistischen Monarchie und dem Aufbau eines demokratischen Gemeinwesens gezogen werden kann und an die Stelle eines Kurfürsten Joachim dann der ostdeutsche Kirchenmann Manfred Stolpe getreten sein soll.

Stephan Hilsberg, der zu den mutigen Männern gehört, die die ostdeutsche Sozialdemokratie wiederbelebten – übrigens zu einem Zeitpunkt, als Manfred Stolpe und Matthias Platzeck noch abseits standen – hat die heutigen Brandenburger Verhältnisse zuweilen als „vordemokratisch“ beschrieben. Für Hilsberg war und ist dies ein beklagenswerter Mangel. Gauland bestätigt ihn nicht nur, sondern hält solch einen Zustand für erträglich, ja sogar für geboten. Dass so mancher nie angekommen ist in der Wertegemeinschaft des Westens, dass das Wort Freiheit in der politischen Propaganda der rot-roten Koalition einen anrüchigen Klang hat, das alles scheint ihn nicht im Geringsten zu stören. Er entdeckt darin eine tiefe historische Prägung der Menschen Brandenburgs, auf der die Sozialdemokratie aufbauen kann. August Bebel, Ernst Reuter oder Kurt Schumacher würden sich befremdet abwenden und sich in solch einer Traditionslinie genauso wenig wiederfinden wie wir Liberalen.

Die Beschreibung Brandenburgs, die uns Gauland anbietet, ist in Vielem ignorant. Ein Land ohne bürgerliche Tradition sagt er und vergisst die stolze Geschichte des Bürgertums der großen Textilindustrie des Südens. Er möge sich einmal vor das Cottbuser Theater stellen und dann erklären, es handle sich hier um eine Bausünde eines Ackerstädtchens. Das auf Junker und Bauern reduzierte Land ist ein Zerrbild eines Mannes, der die vielfältige Wirklichkeit Erklärungsmustern unterordnet, die für ihn einfach zu handhaben sind. So kommt er dann zum Lob auf die Sozialdemokraten des Landes, die sich anpassen an die scheinbar unumstößliche Mentalität der Menschen – anpassen an „Beharren, Skepsis und ein bisschen Wunderglauben“. Dieser bevormundende Rundumstaat wird für ihn zum Überlebensrezept für ein in „Speckgürtel“ und den entvölkerten Rest gespaltenes Brandenburg, eines „der zwei Geschwindigkeiten“. Dieses Brandenburgbild à la Gauland mutet an wie die Lebenslüge von Zeitgenossen, die sich im Ungefähren wohlfühlen und für jedes Problem endlose Erklärungen, selten aber Lösungen bereithalten.

Die jungen Menschen in Brandenburg aber brauchen nicht solches Rekurrieren auf Traditionslinien. Die jungen Brandenburger leben in einer Welt, in der Beharren zum folgenschweren Manko werden würde, einer Welt, die nichts mehr zu tun hat mit der der Kurfürsten, der Könige, der Gauleiter, der SED-Bezirkssekretäre. Entstanden ist diese Welt in dem Siegeszug der Ideale, die leider nicht zuerst bei uns, sondern anderswo zu einer Zeit formuliert und gelebt wurden, als in Potsdam noch das Wort eines allmächtigen Königs entschied. Ideale, die von der Freiheit eines jeden ausgehen, die einem jeden das Recht zuschreiben, sein Glück in die eigenen Hände zu nehmen und ihm das Risiko des Scheiterns erlauben. Junge Menschen können mit dem „sozialpaternalistischen Kurs“ eines Manfred Stolpe und Matthias Platzeck wenig anfangen. Nicht alles, was modernisiert wurde, ist deshalb schon modern.

Wenn dieses Land zusammen mit Berlin mittendrin eine lebens- und liebenswerte Heimat sein, werden soll, muss das Lavieren à la Gauland ein Ende haben. Als Herausgeber einer der Tageszeitungen des Landes hat er lange Zeit einen Chefredakteur gewähren lassen, der die Menschen anlog und beim Übergang zur Demokratie unanständige Polemiken gegen jene startete, die das Ende der SED-Herrschaft herbeiführten. Jetzt will Herr Gauland uns einreden, dass es den stolzen Bürger, den die Demokratie braucht, nie gab und nicht geben wird in Brandenburg. Er irrt. Er gefällt sich darin, seine eigene Rolle durch sich selbst erfüllende Prophezeiungen zu rechtfertigen. Den Bürger, den wird es hier genauso geben wie auf den kargen Böden der schwäbischen Alb oder im urbanen Dschungel des Ruhrgebietes. Irgendwann war nirgendwo auf der Welt das Bürgertum, das hier vorgeblich seit alters her fehlt. Irgendwann kommt immer der befreiende Schritt aus der lähmenden Tradition. Zukunft braucht eben mehr als nur Herkunft, Zukunft braucht den Mut zum Schritt ins Unbekannte. Zukunft braucht vor allem den Mut, die eigene Komfortzone zu verlassen.

Wenn wir in der Enquete-Kommission des Landtages jetzt versuchen, aus den Fehlern der letzten beiden Jahrzehnte zu lernen, dann ist dies nicht zuletzt eine Auseinandersetzung mit den Lebenslügen all derer, die erklären, es sei alles „alternativlos“ gewesen und es gebe auch heute keine Wahlfreiheit. Und Preußen, dieses Stück Geschichte mit seinen Tiefen wie seinen unbestreitbaren Errungenschaften sollte nicht missbraucht werden in einer Zeit, in der es lange aufgehört hat zu existieren. Es ist mit seinen Königen untergegangen – Brandenburg wurde 1990 wiederbelebt von Demokraten.

Linda Teuteberg, geboren 1981 in Königs Wusterhausen, ist Mitglied des Landtages und stellvertretende Vorsitzende der FDP Brandenburg

Linda Teuteberg

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