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POSITION: „Wir hatten einen Volkskammer-Bonus“

Günter Nooke war Abgeordneter für Bündnis 90 in der letzten, frei gewählten DDR-Volkskammer und im Landtag Brandenburg. Er blickt auf das Jubiläum.

Für mich begann das Abenteuer Bündnis 90 Brandenburg in den letzten Tagen der Volkskammer der DDR. Ich wollte nach dem Ende der DDR und dem Ende des einzig frei gewählten Parlaments in Ostdeutschland nicht in den Bundestag, sondern für Bündnis 90 in den Landtag Brandenburg. Irgendwann standen Matthias Platzeck, Marianne Birthler und ich zusammen im heutigen Auswärtigen Amt und damaligen, von der Volkskammer übernommenen Gebäude des Zentralkomitees der SED. Gemeinsam wollten wir bei den Landtagswahlen am 14. Oktober 1990 antreten.

Das klappte erstaunlich gut, denn die Delegiertenversammlung von Bündnis 90 Brandenburg wählte Nooke/Platzeck/Birthler am 1. September 1990 in Frankfurt (Oder), dem Einschulungstag meiner zweitältesten Tochter, auf die ersten drei Plätze der Landesliste. Und das, obwohl Marianne nicht einmal anwesend war. Wir hatten durch die Volkskammerzeit wohl einen Bonus – und nutzten ihn. Selbst als wir uns mit den Grünen in Brandenburg, die sehr links, wenig bekannt und ohne politische Erfahrung agierten, nicht auf eine Listenvereinigung verständigten, hatten wir Glück: Das Bündnis 90 bekam wie die FDP in der ersten Legislaturperiode in Brandenburg 6,4 Prozent und war über der Fünf-Prozent-Hürde. Die Grünen schafften es nicht. Es kam nur zur sogenannten Ampelkoalition; genau deshalb, weil wir keine Grünen waren, so jedenfalls die Meinung von Otto Graf Lambsdorff, dem Bundesvorsitzenden der FDP, als er seine Brandenburger Parteifreunde überzeugte. Ganz Unrecht hatte er nicht, wie sich spätestens nach dem Ausscheiden aus dem Landtag 1994 an der Aufteilung der Mitglieder der Bündnis-Fraktion auf verschiedene Parteien zeigte.

Wenn jetzt also 25 Jahre „Bündnis 90/ Die Grünen“ in Brandenburg gefeiert wird, dann gehört zur historischen Wahrheit, dass außer Peter Schüler kein anderes Mitglied der Fraktion, deren Vorsitzender ich durchgehend von 1990 bis 1994 war, damals und auch heute bei den Grünen ist. Wir stimmten als Brandenburger Delegierte 1993 gegen die Vereinigung mit den „Westgrünen“, fast als einzige.

Und doch gibt es etwas zu feiern: Es ist nicht demokratieschädlich, sondern es nutzt allen, wenn um den besten politischen Weg zur Umsetzung von inhaltlichen Ziele gestritten wird. Dafür Presse, Parteien und Machtpositionen zu nutzen, ist normal; so auch damals. Für Marianne Birthler ging es 1993 nahtlos weiter als Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen; Mattias Platzeck blieb Umweltminister und wurde über den Seitenweg des Oberbürgermeisters von Potsdam schon bald Ministerpräsident des Landes Brandenburg. Ich „liquidierte“ die Bündnis-Fraktion, durfte von 1995 bis 1998 für Brandenburg und mit Unterstützung der Bundesumweltministerin Angela Merkel in der Geschäftsstelle für die Braunkohlesanierung als „Controller“ bei Europas größtem Umweltsanierungsprogramm arbeiten, war im Bundestag, wurde 2006 Menschenrechtsbeauftragter und bin seit 2010 Afrikabeauftragter der Bundeskanzlerin im Entwicklungsministerium.

Es gibt viele, die nicht so viel Glück hatten wie wir drei. Die sollten wir nicht vergessen. Aber viele, die heute laut schreien und alles schon immer besser wussten, schwiegen vor dem Mauerfall. Oder sie spielten 1993 eine fragwürdige Rolle als es um die Aufarbeitung von Stasiverstrickungen ging – so zum Beispiel solche „Grüne“ in Brandenburg, mit denen wir schon 1990 nicht übereinstimmten, oder Alexander Gauland als Generalbevollmächtigter der FAZ bei der Märkischen Allgemeinen.

Jubiläen sind gute Gelegenheiten, zurückzuschauen und dankbar zu sein. Der Mehrzahl der Menschen geht es wirklich heute so gut wie kaum zuvor in der deutschen Geschichte und in Brandenburg. Der Streit hat das offenbar nicht verhindert. Die Bündnis-Fraktion und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter treffen sich bis heute regelmäßig. Jährlich übrigens, nicht nur zu Jubiläen, und über alle Parteigrenzen hinweg.

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Der Autor war Abgeordneter für Bündnis 90 in der letzten, frei gewählten DDR-Volkskammer und im Landtag Brandenburg. Als entschiedener Gegner einer Vereinigung mit den Grünen trat er 1993 aus und wurde 1996 Mitglied der CDU. Heute ist er Persönlicher Afrikabeauftragter der Bundeskanzlerin

Günter Nooke

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