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Position: Verfahrensfragen

Anmerkungen zur Kreisgebietsreform in Brandenburg von Matthias Dombert, Rechtsanwalt für öffentliches Recht in Potsdam.

Artikel 98, Absatz 3, Satz 3 der Brandenburger Landesverfassung ist schlicht formuliert. Bei der Auflösung von Landkreisen ist „vor der Entscheidung die gewählte Vertretung des Gemeindeverbandes zu hören“. Keine Rede davon, wie diese Anhörung des Kreistages zu erfolgen hat. Die Verfassung schweigt zu der Frage, wann und wie, vor allem mit welcher Frist Kreistagen Gelegenheit zur Stellungnahme zum Neugliederungsentwurf der Landesregierung zu geben ist. Alles richtig gemacht, könnte man der Landesregierung und dem Innenausschuss des Landtages also angesichts der Kritik zurufen, die den beiden angesichts der Landkreisanhörungen im Ausschuss – Stichwort: Marathonsitzung, Zeitverzug, und stundenlange Wartezeiten für Kreistagsvorsitzende bis fast 3 Uhr früh – entgegenschallte. Die Verfassung schweigt offenbar zu den Anforderungen an Anhörungen des Landtags.

Alles richtig gemacht also? So optimistisch wird selbst der neugliederungsentschlossene Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) nicht sein. Denn so karg der Wortlaut auch ist, Artikel 98 ist in der Auslegung, die diese und ähnliche Vorschriften anderer Bundesländer durch die Verfassungsgerichte erfahren haben, ein richtiges verfassungsrechtliches Schwergewicht. Und danach ist das von der Verfassung vorgeschriebene Anhörungsverfahren keine bloße Förmelei, kein leicht abzuhakender Punkt auf der Checkliste der politischen Agenda.

Die Anhörung will deutlich machen, dass die Selbstverwaltungskörperschaften keine der politischen Gestaltungsmacht des Landes unterworfenen Filialunternehmen sind. Die Gebietskörperschaften sollen sich um ihrer eigenen Rechtsstellung wegen – wie es das Bundesverfassungsgericht formuliert – „aufgrund eigener fundierter Vorbereitung unter Mitwirkung der gewählten Bürgervertretung zur geplanten Gebietsänderung als einer für sie existentiellen Entscheidung sachgerecht äußern und ihre Auffassung zur Geltung bringen“ können. Es gibt zwar keine Mindestfristen, wohl rät Karlsruhe dazu an, Fristen „im Zweifel eher großzügig zu bemessen“.

Der Beobachter hätte nur allzu gerne gewusst, ob Landesregierung und/oder Regierungsfraktionen dies überhaupt klar ist. Zweifel sind angebracht, wenn man weiß, dass die Einladungsschreiben an die Kreistage vom 5. Oktober 2017 datieren, und zu einer Anhörung einluden, die zwei Wochen später, nämlich am 19. und 20. Oktober 2017 stattfand. Wie angesichts dieses engen Zeitplanes ein Meinungsbild des Kreistages eingeholt werden sollte, wie eine sachgerechte Erörterung des Gesetzentwurfes etwa in den Ausschüssen des Kreistages ermöglicht werden sollte, bleibt das Geheimnis des Innenausschusses. Eine zeitgleich mit der Erörterung auf Landesebene verlaufende – sozusagen begleitende – Befassung der Kreistagsmitglieder aber ist der Verfassung fremd. Auf den Sitzungskalender der demokratisch legitimierten Kreistage hat auch der Gesetzgeber Rücksicht zu nehmen. Dabei hatte noch vor Monaten die Anhörung des Innenministeriums darauf verwiesen, der Stellungnahme müsse sogar noch ein förmlicher Beschluss des Kreistages zugrunde liegen. Davon liest man nun nichts mehr.

Damit nicht genug: Nun will der Landtag nach dem bisherigen Terminkalender bereits am 15. November über den Gesetzentwurf der Landesregierung entscheiden. Das allerdings dürfte den nächsten Stolperstein schaffen. Anhörung und abschließende Beschlussfassung des Parlaments haben in einem solchen zeitlichen Abstand aufeinanderzufolgen, dass die im Ausschuss vorgetragenen kommunalen Interessen im Landtag noch berücksichtigt werden können. Die Verfassung will, dass sich die parlamentarische Willensbildung ergebnisoffen vollzieht.

Für den Innenausschuss bedeutet dies, dass er sich nicht auf die Rolle eines parlamentarischen Protokollführers zurückziehen kann. Dem Verfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern war es 2007 bei der gescheiterten Kreisgebietsreform immerhin den Hinweis wert, dass sich ein Ausschuss möglicherweise nicht mit der bloßen „Dokumentation der Anhörungsergebnisse ohne eigene Bewertung“ begnügen darf. Wie in Potsdam eine „Bewertung“ des anhörenden Innenausschusses bis zum 15. November bewerkstelligt werden soll, bleibt im Dunkeln. So weit ersichtlich sind bisher nicht einmal die stenografischen Berichte fertig gestellt: Verfassung? Verfahren? Augen zu und durch, scheint die Devise zu sein. Fast könnte man meinen, als sollten willentlich gesetzestechnische Sollbruchstellen in das Gesetzgebungsvorhaben eingebaut werden.

Die Gegner der Reform können beruhigt sein. Das Landesverfassungsgericht wird’s richten.

Der Autor ist Rechtsanwalt für öffentliches Recht in Potsdam und war von 1993 bis 2009 Richter am Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

Matthias Dombert

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