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POSITION: Geschichte als Generationsfrage?

Gedanken vor und nach einer Landtagsrede zur Vergangenheitsdebatte in Brandenburg

Als das neue Jahr anfing, habe ich ein paar Tage gar nicht daran gedacht, dass aus dem alten noch eine jahrzehntealte Hinterlassenschaft übrig geblieben war. Der Bericht jener Kommission, die unser Landesparlament mit den Nachforschungen zur Vergangenheit beauftragt hatte, war Mitte Dezember fertig geworden, aber dann verging sogar Dreikönig, bis er zu Schlagzeilen führte. Da war dann wieder jenes Wort aus einer anderen Zeit: Stasi.

Ich bin im April 1981 geboren. Zu spät zum Glück um zu dem Thema noch viel sagen zu können aus eigenem Erleben. Mein Glück macht die Sache allerdings kompliziert, wenn ich als junge Landtagsabgeordnete aufgefordert werde, etwas zu sagen zu der Sache. Da steht dann jemand, der in Niedersachsen aufgewachsen ist, auf den Landtagsfluren und erzählt Journalisten, dass es doch nicht angehe, wenn so eine junge Brandenburgerin sich anmaße, über Dinge zu reden, die sie gar nicht kennen könne.

Wie lange dieses „die war nicht dabei“ noch als Totschlagargument durch die alte SED-Zentrale auf dem Brauhausberg geistert, weiß ich nicht. Vielleicht verschwindet es ja, wenn der Landtag umzieht in die Mitte der Stadt. Oben, wo sich das Parteiabzeichen immer noch auf der Fassade hält, ist es offenbar auch naheliegend, wie in früheren Zeiten zwischen denen zu unterscheiden, die dabei waren und denen, die dazugekommen sind. Tatsächlich sagt der Mann aus Niedersachsen sonst selten etwas zur Stasi. Wobei vielen Sozialdemokraten – und zu denen zählt er, sogar als Generalsekretär des Landesvorsitzenden Platzeck – sowieso ganz selten etwas dazu einfällt. Bei anderen Themen gibt es übrigens diesen altersbedingten Sperrvermerk nicht. Die Linkspartei redet ununterbrochen vom Faschismus, also der nationalsozialistischen Barbarei, obwohl von denen, die da reden, auch keiner mehr dabei gewesen ist.

Als ich versuchte, meine Gedanken zu ordnen mit Blick auf die Stasi-Debatte im Landtag war natürlich dann ein eigentlich absurdes Rechtfertigungsgefühl nicht einfach wegzudenken. Es wirkt eben doch nach, wenn man immer wieder und selbst vom inzwischen ergrauten Landesvater gesagt bekommt, dass Frau sich ihrer Jugend wegen in Acht nehmen solle. Und so war es nur folgerichtig, dass mir Platzecks Ausflug in die Nachkriegsgeschichte wieder in den Sinn kam. Sein Aufsatz über den einstigen SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher und die notwendige Versöhnung – damals mit den Jungen, die von den Nazis verführt worden waren.

Aber der andere Schumacher, über den ich auch gelesen habe, war der Mann, der aus leidvoller Erfahrung ein unversöhnlicher Gegner der Kommunisten wurde. „Rotlackierte Faschisten“ hat Kurt Schumacher die Mielkes und Honeckers genannt. Das kam mir dann auch in den Sinn. Was würde wohl passieren, sollte ich es wagen, diese zwei Worte zu sagen? Was wäre im Brandenburger Landtag wohl los, wenn ich diesen Kurt Schumacher zitieren würde? Ich habe einige Zeit darüber nachgedacht, ich habe diese zwei Worte dann nicht gesagt, ich habe nur auf sie angespielt. Platzeck war da. Ob er begriff, was vorging, weiß ich nicht. Er sagte diesmal nichts. Die Anspielung auf mein Alter überließ er dem Mann aus Niedersachsen.

Es mag seltsam klingen, aber aus Nachdenken über jenen großen Mann der deutschen Sozialdemokratie, der den braunen Verbrechern widerstand, erwuchs mir als Liberale eine Verpflichtung. War, ist das überheblich? Steht mir das überhaupt zu? Vielleicht war es tatsächlich nicht in allem angemessen, der politischen Konkurrenz den aufrechten eigenen Mann vorzuhalten. Aber ich habe diese Bilder im Kopf von diesem vom Krieg und der KZ-Haft so geschundenen Mann, der ein ziemlich schwieriger Zeitgenosse gewesen sein muss und Widerspruch nur schwer ertrug, aber doch mit allem was er hatte für die Freiheit kämpfte. Ein Mann unserer Geschichte, auf den eine junge Deutsche durchaus stolz sein kann.

In den Tagen vor der Debatte um die stasibelasteten Abgeordneten im Landtag gab es hier in den PNN einige Beiträge. Es hat mich beunruhigt, wie auf die Ausführungen der CDU-Vorsitzenden Saskia Ludwig reagiert wurde. Der junge Kreischef der Linkspartei und der schon erwähnte Mann aus Niedersachsen haben nicht versucht, ihren Argumenten zu begegnen. Sie haben Frau Ludwig abzustempeln versucht. Und vor allem haben sie versucht, sie auszugrenzen. Wer so denkt, wie die CDU-Vorsitzende, der gehört nicht wirklich zu uns – das war die Botschaft.

Als wir nach der letzten Wahl endeckten, dass in den Reihen der Fraktion der Linkspartei jeder Dritte, der altersmäßig dazu überhaupt in der Lage war in der einen oder anderen Form dem Ministerium für Staatssicherheit verpflichtet war, hat das weder den jungen Kreischef noch den Niedersachsen besonders erregt. Die früheren Mitarbeiter von Mielkes Geheimpolizei gehören offenbar ganz selbstverständlich dazu. Zu jung sind sie sowieso nicht, konservativ oder liberal natürlich auch nicht. Die müssen sich nicht rechtfertigen, wenn sie etwas sagen, wenn sie etwas schreiben.

Ich war selten so aufgeregt wie dieses Mal vor einer Rede. Dann bin ich ans Pult gegangen als Abgeordnete der FDP-Fraktion. Doch war dies keine Sache einer bestimmten Partei und ich habe mich gefreut über den Beifall der CDU und insbesondere der auf der anderen Seite des Plenarsaals sitzenden Grünen. Und ich hätte mich so gefreut, wenn der eine oder andere Sozialdemokrat einmal Zustimmung signalisiert hätte. Natürlich habe ich auch deswegen Kurt Schumacher erwähnt. Natürlich will man in solch einer Situation auch Anerkennung. Letztendlich kommt es darauf aber nicht an. Ich habe fast alles gesagt, was ich sagen wollte.

Und ich habe mich am nächsten Tag gefreut, als die Frankfurter Allgemeine Zeitung ein paar Sätze zitierte. Immerhin, die FAZ hat meinen Gedanken mehr Aufmerksamkeit geschenkt als die Potsdamer MAZ. Die Journalistin, die für die Frankfurter Allgemeine Zeitung geschrieben hat, ist auch in Niedersachsen aufgewachsen. Das hat mich dann ein wenig versöhnt mit diesem Landstrich. In Brandenburg gibt es einen Journalisten, der schreibt immer noch für dieses Parteiblättchen, das einst in Millionenauflage die Lügen verbreitete, kurz das ND. Für ihn ist die Stasi tatsächlich „der Geheimdienst des Vaterlands“. Der hat im Vorfeld der Debatte darauf verwiesen, dass die Kommunisten in China und Vietnam viel besser den Wohlstand mehrten als unsere Kapitalisten. Der muss das ja wissen, der ist schon lange dabei, der war auch schon in der Partei und wahrscheinlich war er auch in der so wunderbaren Volksrepublik China. Ich war da noch nicht. Ich kenne nur die Zerrbilder von den Millionenheeren an Wanderarbeitern, von Tausenden von Exekutionen jedes Jahr, von drakonischen Lagerstrafen für einen falschen Satz. Wahrscheinlich bin ich auch zu jung, um zu erkennen, dass die Kommunisten in China die Menschheit beglücken.

Wenn ich solches lese, fällt mir immer wieder dieser eine Satz aus der Abschiedsrede von Willy Brandt ein – wieder eines Sozialdemokraten, den auch wir Liberalen schätzen: „Wenn ich sagen soll, was mir neben dem Frieden wichtiger sei als alles andere, dann lautet meine Antwort ohne Wenn und Aber: Freiheit.“ In diesem Satz liegt der einfache Unterschied zwischen Kommunisten und Demokraten – zwischen der Nachfolgepartei der SED und den anderen vier Parteien des Landtages. Das wollte ich mit meiner Rede ausdrücken. Vielleicht schaffen wir es im Brandenburger Landtag eines Tages doch noch, den Aufforderungen gerecht zu werden, die aus solch einem Satz erwachsen. Und wenn der schon mehrfach erwähnte Mann aus Niedersachsen einmal jenen Satz zitieren sollte – ich werde gern Beifall spenden. Und ich würde mich freuen, wenn ich dafür nicht erst alt werden müsste.

Die Autorin ist stellvertretende Landesvorsitzende- Landtagsabgeordnete und Mitglied des Bundesvorstandes der FDP

Linda Teuteberg

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