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Gastbeitrag von Linda Teuteberg (FDP): Freiheit ist unteilbar

Unterdrückung war die Existenzbedingung des Sozialismus.

Sind endlich sechzig Jahre vergangen, so wird die Erinnerung an geschichtliche Ereignisse allmählich zur Spielmasse der Tagespolitik. Persönlich erinnern an die Geschehnisse der Vergangenheit können sich nur noch die allerwenigsten und die Analysen der Historiker erreichen häufig nur ein kleines Publikum. Gedenktage und Feierstunden sagen daher zumeist eher etwas aus über die Vorstellungen, mit denen die Redner die Zukunft zu gestalten gedenken als über die notwendigen Lehren aus dem Vergangenen. So habe ich mit einiger Neugier in der vorletzten Woche verfolgt, wie im Brandenburger Landtag die Vertreter der drei großen Fraktionen mit dem 17. Juni 1953 umgehen - mit der Erinnerung an jene Tage vor 60 Jahren, die unübersehbar werden ließen, dass die SED-Herrschaft keine Basis in der Bevölkerung hatte und nur mit brutaler Waffengewalt aufrechterhalten werden konnte. Da war mir zu viel der unverbindlichen Einigkeit.

Es wird so manchen überraschen, wenn ich als liberale Politikerin darauf hinweise, dass 1953 vor allem eine große Streikwelle stattfand, also eine Art Arbeiteraufstand. Dass es ohne diese Forderung der Arbeiter nach gerechter Entlohnung nie und nimmer zu den Massenprotesten gekommen wäre, die dann in der Forderung nach einer völligen Neuordnung der politischen Verhältnisse, schließlich in dem Wunsch nach Wiedervereinigung endeten. Während in den Reden und Veranstaltungen viel von Freiheitswillen und von Forderungen nach freien Wahlen die Rede war, herrscht zu einem wichtigen Gesichtspunkt dieses 17. Juni regelmäßig beredtes Schweigen.

Es überrascht mich in diesem Zusammenhang immer wieder, wie gern bestimmte Politiker beim Blick auf die DDR eine inzwischen doch hinreichend bekannte Tatsache ausklammern: Der SED-Staat ist schon nach wenigen Jahren aufgrund seiner wirtschaftspolitischen Verfassung nicht mehr in der Lage gewesen, seinen Bürgern ein vergleichbar gutes Auskommen zu sichern. Er hat nicht nur die Freiheitsrechte mit Füßen getreten, sondern den Menschen jenen Wohlstand verweigert, der in der Bundesrepublik zur Selbstverständlichkeit wurde. Und mit Blick auf die Verhältnisse im Jahr 1989 wird dann auch gern vergessen zu erwähnen, dass die DDR schlichtweg bankrott war.

Nichts scheint offenbar schmerzlicher im Erinnerungsprozess als die Erkenntnis, dass das von den Kommunisten propagierte ökonomische System zu genau jener Massenverelendung führte, die heute gern der sogenannten kapitalistischen Wirklichkeit im vereinten Deutschland unterstellt wird. Bemerkenswert an den Wochen vor dem 17. Juni 1953 war doch gerade, dass die SED-Führung gegenüber verschiedenen Gruppen wie Bauern, Freiberuflern und Kirche auf Moskauer Geheiß Zugeständnisse machte und ausgerechnet gegenüber der offiziell herrschenden Arbeiterklasse unerbittlich blieb. Der größte Feind der SED waren die Ergebnisse einer ruinösen Wirtschaftspolitik, die hart arbeitende Menschen um ihren Lohn brachte. Und die Lehre des 17. Juni ist nicht zuletzt die Erkenntnis, dass mit der Verstaatlichung der Betriebe die Armut einherging. Vom Schweigen darüber ist es nicht weit bis zur Illusion, dass die DDR mit ein paar Reformen zu retten gewesen wäre. Der Einsatz der Panzer war nicht etwa Betriebsunfall, sondern Existenzbedingung des Sozialismus.

Es erscheint mir auch eine schlichte Überforderung des Freiheitsgedankens und der Traditionen des deutschen Volkes, wenn wir wenige Jahre nach dem Ende der braunen Diktatur den Menschen unterstellen, dass sie sämtlich ihr Leben für Demokratie und Menschenrechte riskierten. Sicher, es gab in den Jahren nach dem Krieg bewundernswerte, vor allem junge Menschen, die viel riskierten, weil sie endlich in einer freiheitlichen Ordnung leben wollten. Manche haben dafür zumeist vor dem 17. Juni mit ihrem Leben, viele mit Gefängnis oder hastiger Flucht aus der Heimat bezahlt. Aber insgesamt war das deutsche Volk in Ost wie in West wohl eher noch mitten auf dem Weg, sich davon zu befreien, als Mitläufer verbrecherische Regimes zu stützen.

Als Liberale würde ich mich also über die Erkenntnis freuen, dass eine freiheitliche Gesellschaft und wirtschaftlicher Erfolg in aller Regel miteinander verknüpft sind. Dieser Gedanke bewegte schon die Väter der Sozialen Marktwirtschaft wie Ludwig Erhard und Walter Eucken: Die Freiheit des Individuums, gewaltengeteilte Demokratie und Markt- bzw. Wettbewerbswirtschaft sind aufeinander angewiesen und auf Dauer nur gemeinsam realisierbar. Und im Bezug auf den 17. Juni 1953 heißt dies für mich, dass jeder Versuch, den Menschen ihr Wohlergehen durch staatliche Zwangsmaßnahmen zu verordnen, letztlich im Protest derer endet, die sich dadurch zu Recht um die Chancen einer freien Entfaltung ihrer Möglichkeiten gebracht sehen.

Aber solch eine Schlussfolgerung passt eben nur sehr beschränkt zu paternalistischen Vorstellungen. Sie passt vor allem nicht in die politische Landschaft Brandenburgs, die leider immer noch von Kräften dominiert wird, die den Menschen nahelegen, staatliche Bevormundung als Beglückung zu empfinden. Der Ruf nach persönlicher Freiheit ist für mich immer untrennbar verbunden mit einem möglichst hohen Maß an freier wirtschaftlicher Betätigung. Insofern war der 17. Juni nicht nur ein Signal an die Kommunisten, dass ihr Gesellschaftsmodell abgewirtschaftet hatte. Er bleibt eine Mahnung an uns, all jenen zu misstrauen, die vorgeben, durch staatliche Beglückungsprogramme Gutes zu tun. In aller Regel profitieren nicht etwa die arbeitenden Menschen davon, sondern die Bürokraten unterschiedlichster Couleur.

Die Autorin ist Mitglied der Enquete-Kommission „Aufarbeitung der Geschichte und Bewältigung von Folgen der SED-Diktatur" des Landtages Brandenburg und Mitglied des Bundesvorstandes der FDP.

Linda Teuteberg

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