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Polizeieinsatz von Neuruppin: Die Erklärung des Innenministers

Brandenburgs Innenressortchef Dietmar Woidke gab am Donnerstag (20. Oktober 2011) vor dem Innenausschuss des Landtages einen Bericht zum umstrittenen Polizeieinsatz gegen Demonstranten in Neuruppin am 24. September 2011 ab. Nachfolgend dokumentieren wir diese Erklärung im Wortlaut

Innenminister berichtet im Innenausschuss zum Polizeieinsatz in Neuruppin

Woidke: Polizei handelte grundsätzlich rechtmäßig und angemessen

Erkannte Einsatzmängel ausgewertet - Polizei kündigt Verbesserungen an

Potsdam – Im Innenausschuss des Landtages hat heute Innenminister Dietmar Woidke zu dem öffentlich diskutierten Einsatz der Polizei vom 24. September dieses Jahres in Neuruppin Stellung genommen. Er wurde dabei von Polizeipräsident Arne Feuring begleitet, der zu weiteren Details der Einsatzauswertung berichtete.

Woidke führte vor den Abgeordneten aus:

„Ich bedanke mich für die Möglichkeit, heute im Innenausschuss noch einmal zum Polizeieinsatz vom 24. September in Neuruppin Stellung nehmen zu können. Herr Polizeipräsident Feuring wird mich dabei unterstützen, was die Einzelheiten des konkreten Einsatzablaufs angeht.

Es geht dem Innenministerium und der Polizei grundsätzlich darum, • das Vorgehen der Polizei in Neuruppin zu erläutern, • mögliche Missverständnisse auszuräumen, • offene Fragen zu klären und • sich berechtigter Kritik zu stellen und daraus für die Zukunft die entsprechenden

Konsequenzen zu ziehen. Da ich bereits am 28. September im Landtag ausführlich zum chronologischen Einsatzverlauf berichtet habe, will ich mich heute eingangs auf einige wesentliche und grundsätzliche Aussagen beschränken. Selbstverständlich stehen wir aber

auch für konkrete Fragen zu Einzelheiten des Einsatzablaufs zur Verfügung.

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Im Zusammenhang mit dem Polizeieinsatz in Neuruppin gibt es vor allem zwei Themenbereiche, die im Nachhinein in der Landespolitik, der Öffentlichkeit und den Medien intensiv und kontrovers diskutiert worden sind. Auch das Aktionsbündnis in Neuruppin hat kürzlich eine eigene kritische Stellungnahme zu dem Einsatz vorgelegt.

Dass eine solche kritische Diskussion stattfindet, ist übrigens nicht schlecht, sondern gut – das will ich als Innenminister ausdrücklich unterstreichen. Selbstverständlich muss sich die Polizei im demokratischen Staat einer kritischen Debatte über ihr Handeln stellen – und sie ist dazu auch bereit. Ich habe daran nie einen Zweifel gelassen.

Zum einen geht es um die Rechtmäßigkeit der Räumung der Sitzblockade selbst.

Zum anderen geht es um die nachfolgenden Ereignisse, insbesondere das Verfahren und die Begleitumstände der Identitätsfeststellung der Betroffenen, die in der Tat sehr lange gedauert hat. Ich hatte das – Sie erinnern sich - im Landtag bereits eingeräumt.

Auflösung der Sitzblockade war rechtmäßig und geboten

Die Überprüfung des Einsatzgeschehens hat zusammengefasst zu folgendem Ergebnis geführt:

1. Die Auflösung der rechtswidrigen Verhinderungsblockade gegen den angemeldeten Aufzug der „Freien Kräfte Neuruppin“ durch die Polizei war rechtmäßig und geboten. Die Polizei ist strikt auf das Legalitätsprinzip verpflichtet, das grundsätzlich die Unterbindung rechtswidriger Handlungen fordert.

Das heißt zugleich, dass die Polizei auch in Zukunft in ähnlichen Situationen ebenso handeln muss und wird, sofern nicht ein Fall von „polizeilichem Notstand“ ein solches Vorgehen als objektiv unmöglich oder unvertretbar erscheinen lässt. Darauf sollte allerdings niemand setzen oder spekulieren, denn die Polizei ist rechtlich verpflichtet, alle erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, damit ein solcher „polizeilicher Notstand“ gar nicht erst eintritt.

2. Gegen den erhobenen Vorwurf der „Polizeigewalt“ nehme ich die Polizei ausdrücklich in Schutz. Die Überprüfung des Einsatzes hat dafür bislang keine belastbaren Anhaltspunkte ergeben. Im Internet veröffentlichte Bilder ergeben nichts

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anderes: Sie zeigen keine Polizeigewalt, sondern polizeiliche Einsatzmaßnahmen im Zusammenhang mit der Räumung einer rechtswidrigen Blockade.

Als äußerst fragwürdig bezeichne ich diffuse Anschuldigungen gegen die Polizei nach dem Motto „Irgendjemand hat angeblich irgendeinen Beamten gesehen, der irgendwen geschlagen haben soll“. Falls das so gewesen sein sollte, wofür ich keinen Anhaltspunkt habe, dann gibt es für den Betreffenden im Rechtsstaat eine ganz einfache und wirksame Handhabe dagegen – nämlich eine entsprechende Strafanzeige zu stellen. Ich fordere ausdrücklich dazu auf, dies zu tun, anstatt weiterhin offensichtlich haltlose Vorwürfe gegen die Polizei in die Welt zu setzen.

Aber solche Strafanzeigen gibt es nicht. Bekannt sind stattdessen lediglich zwei Strafanzeigen, einmal wegen einer lädierten Hand und einmal wegen angeblicher Freiheitsberaubung.

Begründete Kritik an überzogenem oder gar rechtswidrigem polizeilichen Handeln ist in Ordnung – nicht in Ordnung ist der Versuch, das Handeln des demokratischen Staates mit dubiosen Vorwürfen aus anonymen Quellen zu delegitimieren. Dagegen werde ich unsere Polizei immer in Schutz nehmen.

Einsatzmängel werden abgestellt

Dass das Vorgehen der Polizei in Neuruppin nach Lage der Dinge grundsätzlich rechtmäßig und angemessen war, bedeutet nicht, dass dieser Einsatz keine Mängel hatte. Solche Mängel gab es und ich will diese hier offen einräumen. Wir werden daraus für die Zukunft die notwendigen Konsequenzen ziehen.

Ich will drei Punkte herausgreifen, die Herr Feuring gleich noch weiter vertiefen wird.

1. Mängel gab es im Bereich der Kommunikation sowohl im Vorfeld als auch während des Einsatzes selbst. Dies betrifft zum einen die Kommunikation zwischen der Polizei und den Versammlungsleitern und –teilnehmern der verschiedenen Veranstaltungen. Zum anderen betrifft es die Kommunikation und Informationssteuerung in bestimmten Bereichen des polizeilichen Einsatzes selbst. Dies betrifft die Frage von Ansprechpartnern, Kompetenzen und Abstimmungswegen. Hier gibt es in Auswertung des Einsatzes einiges zu verbessern – und das wollen wir auch tun.

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2. Schwächen sind auch in der Logistik einzuräumen. Diese kamen vor allem in der recht langen Phase der Identitätsfeststellung zum Tragen. Dass ein Toilettenwagen erst um 15.19 Uhr zur Verfügung stand, ist eindeutig zu spät gewesen. Auch die Versorgung der Teilnehmer der aufgelösten Sitzblockade mit Trinkwasser erfolgte nicht rechtzeitig. Für ähnliche Einsätze ist in Zukunft durch die Polizei vorausschauend eine bessere logistische Vorsorge zu treffen. Und auch das wollen wir tun.

3. Wie sie wissen, gibt es Kritik an der langen Dauer der Identitätsfeststellungen. Diese ist natürlich einerseits dem Umstand geschuldet, dass vergleichsweise viele Personen betroffen waren. Manche der Betroffenen zeigten sich dabei sehr unkooperativ; andere hatten überhaupt keine Personaldokumente dabei. Die dadurch bedingten zeitlichen Verzögerungen muss sich die Polizei nicht zurechnen lassen.

Die Identitätsfeststellungen erfolgen deswegen, damit die Justiz anschließend mögliche Straftaten rechts- und beweissicher verfolgen kann. Auch hier kommt wieder das Legalitätsprinzip zum Tragen. Das erfordert einen bestimmten sachlichen und zeitlichen Aufwand. Stichworte sind: Personalienfeststellung, Durchsuchung , Anfertigen von Fotografien.

Mit Justiz Möglichkeiten für weniger Aufwand prüfen

Ich bin durchaus bereit, in Abstimmung mit der Justiz und insbesondere den Staatsanwaltschaften des Landes zu prüfen, ob es einen Weg der Identitätsfeststellung gibt, der einerseits allen Anforderungen an eine rechts- und beweissichere Verfolgung von Straftaten Rechnung trägt, andererseits aber vielleicht einfacher und weniger aufwändig ist. Das liegt nicht allein bei uns, dafür brauchen wir auch die Justiz. Ich will eine solche Möglichkeit gerne prüfen lassen. Grundsätzlich werden wir für künftige Maßnahmen eine engere Zusammenarbeit mit den Staatsanwaltschaften suchen. Auch das ist eine Konsequenz aus dem Polizeieinsatz in Neuruppin.

Diese hier in aller Kürze vorgestellten Erkenntnisse werden in die Planung und Durchführung aller nachfolgenden Polizeieinsätze einfließen. Herr Feuring wird hierzu gleich im Anschluss noch nähere Ausführungen machen. Zuvor aber noch eine grundsätzliche politische Anmerkung, weil ich glaube, dass Sie sehr notwendig ist.

Mit anderen Worten: Auch der Innenminister hat ein Anliegen!

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Für Rechtsextremisten aller Couleur ist Brandenburg in den letzten Jahren ein sehr schwieriges Pflaster geworden. Das können wir alle nur begrüßen.

Die DVU ist aus dem Landtag geflogen und anschließend praktisch zerfallen. Die NPD bleibt in Brandenburg weit hinter ihren Zielen zurück – ihr gelingt es nicht, die Lücke zwischen ihren Hochburgen in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen zu schließen. Den Freien Kräften schlägt praktisch überall im Land der Widerstand der Zivilgesellschaft entgegen. Vor einiger Zeit hatte ich die angenehme Amtspflicht , eine Gruppierung der Freien Kräfte in Teltow-Fläming verbieten zu können. In der Auseinandersetzung mit dem rechten Extremismus wurde in Brandenburg in der Tat viel erreicht.

Das können wir mit Befriedigung zur Kenntnis nehmen. Sehr viele engagierte Bürgerinnen und Bürger haben dazu aktiv beigetragen.

Gleichwohl gibt es bestimmte Entwicklungstendenzen in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus, die ich mit großer Sorge sehe und über die wir uns gemeinsam Gedanken machen sollten.

Mittel gegen Rechtsextremismus nicht verengen

Diesem wünschenswerten Engagement gegen rechts steht grundsätzlich ein sehr breites Spektrum an geeigneten und legalen Instrumenten und Ausdrucksformen zur Verfügung. In letzter Zeit ist dagegen zunehmend festzustellen, dass sich dieses breite Spektrum verengt auf das Mittel der Verhinderungsblockade gegen rechtsextreme Aufmärsche. Die Blockade als Mittel der Demonstration wird sozusagen von der Ausnahme zur Regel. Der angebliche Vormarsch des Rechtsextremismus soll damit buchstäblich „auf der Straße“ gestoppt werden.

Rechtlich haben wir zur Frage der Verhinderungsblockade bereits ausführlich Stellung genommen. Hinzuzufügen sind heute einige politische Bemerkungen.

Diese Strategie führt wegen des Legalitätsprinzips, nach dem die Polizei handeln muss, grundsätzlich zur Konfrontation zwischen Gegendemonstranten und Polizei. Manche suchen diese Konfrontation auch bewusst. Dies kann aber nicht im Interesse eines breiten und wirksamen Engagements der Zivilgesellschaft gegen Rechtsextremismus sein.

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Es ist keine günstige Situation, dass nach einem solchen Aufmarsch der Rechtsextremen nicht das gemeinsame Signal der demokratischen Kräfte gegen Rechts das öffentliche Bild bestimmt, sondern eine kleinteilige Debatte um angebliche Polizeigewalt, Details der polizeilichen Einsatztaktik und mehr oder minder einschlägige Verfassungsgerichtsurteile.

Die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem rechten Extremismus gerät so notwendigerweise in den Hintergrund – in den Vordergrund rückt stattdessen die Debatte um die Angemessenheit des begleitenden polizeilichen Einsatzes. Das ist eine sehr problematische und auch politisch fragwürdige Entwicklung, die eben auch eine Folge der kompromisslosen Blockadestrategie ist.

Blockade- und Konfrontationsstrategie schadet mehr als sie nutzt

Diese Strategie führt aber nicht nur zu einer bedenklichen Verschiebung der Konfliktlinien weg von der Auseinandersetzung mit den Neonazis und hin zur Auseinandersetzung mit unserer Polizei. Sie führt auch zu einer Entpolitisierung des gesellschaftlichen Engagements gegen Rechts. Verwickelte verfahrens- und versammlungsrechtliche Detailfragen beherrschen seit Wochen die Diskussion. Auf der Strecke bleibt das gemeinsame politische Signal gegen den rechten Extremismus. Wer redet eigentlich heute noch von den Freien Kräften Neuruppin?! – Stattdessen sehen wir uns dubiosen anonymen Anschuldigungen gegen einzelne Polizeibeamte gegenüber.

Ich kann als Innenminister nur dazu raten, diese Strategie der Konfrontation gründlich zu überdenken.

Denn auch die Veranstalter der Gegenversammlungen in Neuruppin haben Anlass , über ihr Vorgehen kritisch nachzudenken. Die Beteiligung an den Aktionen blieb weit hinter den eigenen Erwartungen zurück. Die Veranstalter hatten selbst mit rund 1.000 Teilnehmern gerechnet. Es gibt Anlass, die Frage zu stellen, ob die gewählten Aktionsformen und die damit leider verbundenen Konfrontationen den gesellschaftlichen Widerstand gegen Rechts am Ende nicht stärken, sondern ganz im Gegenteil schwächen.

Viele Bürger, die sich sehr wohl gegen rechts engagieren würden, werden von solchen Aktionsformen offensichtlich abgeschreckt. Wenn das so wäre, wäre dem Engagement gegen den Rechtsextremismus ein Bärendienst erwiesen worden. Es gibt für die Veranstalter allen Anlass, sehr kritisch über die Frage nachzudenken,

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ob der vermeintliche Königsweg der Verhinderungsblockade nicht in Wahrheit ein Irrweg ist.

Ich rate also im Interesse eines breiten zivilgesellschaftlichen Engagements zu mehr Fantasie und Vielfalt bei den legitimen und legalen politischen Aktionsformen und ich warne zugleich davor, die Strategie der Verhinderungsblockaden fortzusetzen. Diese Strategie wird am Ende mehr schaden als nutzen.“

ENDE

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