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Brandenburgs Innenminister Dietmar Woidke (SPD) verteidigte im Landtag das Vorgehen der Polizei in Neuruppin.

© dpa

Polizeieinsatz Neuruppin: Strategiewechsel bei Protesten

Innenminister Dietmar Woikde (SPD) verteidigt Polizeiaktion gegen Blockade des Neonazi-Aufmarsches in Neuruppin.

Neuruppin/Potsdam - Die Brandenburger Polizei wechselt offenbar ihre Strategie, demnächst wird härter durchgegriffen: Innenminister Dietmar Woidke (SPD) hat am Mittwoch im Potsdamer Landtag die umstrittene Auflösung einer Sitzblockade und Einkesselung protestierender Bürger vergangenen Sonnabend in Neuruppin verteidigt. Das Vorgehen der Polizei sei „nach Sach- und Rechtslage“ gerechtfertigt gewesen, weil der Anfangsverdacht der Störung eines Aufzugs und der Nötigung bestanden habe. Justizminister Volkmar Schöneburg (Linke) dagegen sagte: Der Justiz sei schon im Vorfeld klar gewesen, dass die Polizei rigoroser durchgreifen wollte. Dieses „unverhältnismäßige“ Vorgehen in Neuruppin habe die Justiz aber „nicht gebilligt“.

Beamte hatten vergangenen Sonnabend eine Sitzblockade von mehr als 200 Demonstranten aufgelöst, die einen Aufzug von 150 Rechtsextremen verhindern wollten. Knapp 300 Blockierer, aber auch Unbeteiligte wurden für mehr als vier Stunden eingekesselt. Einzelne Teilnehmer, die die Blockade freiwillig verlassen hatten, wurden für knapp drei Stunden in einem Gefängniswagen festgehalten. Die Eingekesselten berichteten, sie seien stundenlang nicht mit Wasser versorgt worden. Auch hätten sie ihre Notdurft zunächst auf offener Straße umringt von den anderen Nazi-Gegnern verrichten müssen, bis nach drei Stunden ein Toilettenwagen kam. Polizisten nahmen Personalien der Blockierer auf und machten Fotos, obwohl die Staatsanwaltschaft im Vorfeld angesichts des Aufwands davor gewarnt hatte, die Teilnehmer einzeln zu erfassen. Die Dauer dieser Prozedur bedauerte Woidke ausdrücklich. Er kündigte eine interne Untersuchung an. Falls dies notwendig sei, werde er Konsequenzen für die Zukunft ziehen.

In Brandenburg zählten spontane Versuche, Neonazi-Aufmärsche wie in Halbe wenigstens zu erschweren, fast zum guten Ton – auch für Regierungspolitiker von SPD und Linke. In Neuruppin aber war die Polizei am Wochenende mit deutlich mehr Einsatzkräften angerückt als noch diesen Juli, als Neonazis wegen Gegenprotesten nicht durch die Stadt marschieren konnten. Die rechtsextremen „Freien Kräfte“ hatten daraufhin gedroht, häufiger durch Neuruppin ziehen zu wollen, wenn sie nicht endlich freie Bahn bekämen. Daher rückte die Polizei diesmal mit knapp 1000 Beamten an, fast 700 aus Brandenburg, der Rest aus Berlin und Nordrhein-Westfalen. Im Juli waren nur 700 Einsatzkräfte vor Ort. In der Regel beruft sich die Polizei auf einen „polizeilichen Notstand“, wenn sie Sitzblockaden nicht räumt. Dagegen war diesmal mit zusätzlichen Kräften vorgesorgt worden. Den Einsatz führte der Leiter der neuen Direktion Nord, Bernd Halle (55), der seit Juli im Amt ist. Halle war zuvor für den Landesosten zuständig, zuletzt als kommissarischer Leiter im Polizeipräsidium und als Leiter des Stabes im Polizeipräsidium Frankfurt (Oder).

Was aber am Wochenende ablief, belastet nun die rot-rote Koalition. Linke-Fraktionschefin Kerstin Kaiser bezeichnete den Einsatz als unverhältnismäßig. Sie sprach von einem „verheerenden politischen Signal“ und entschuldigte sich, dass dies unter Rot-Rot möglich gewesen sei. Der Linke-Abgeordneter Dieter Groß, der selbst bei der Demonstration war, warf der Polizei vor, die Beamten hätten die Sitzblockade geräumt und die Demonstranten anschließend stundenlang festgehalten, obwohl es Alternativ-Routen für die Neonazis gegeben habe und ein friedlicher Rückzug der Blockierer bereits im Gange gewesen sei. Grünen-Fraktionschef Axel Vogel, der ebenfalls an den Protesten teilgenommen hatte, bezeichnete die Einkesselung als verfassungsrechtswidrig. Selbst Demonstranten, die der Polizei-Aufforderung gefolgt waren, seien von Polizisten am Verlassen des Schauplatzes gehindert und später festgehalten worden. Neuruppins Bürgermeister Jens-Peter Golde (Pro Ruppin) sagte, formaljuristisch sei der Polizeieinsatz „bestimmt okay“, dennoch eine Gratwanderung. „Es hat aber Fälle gegeben, da ist die Verhältnismäßigkeit überstrapaziert worden.“ Das Bündnis „Neuruppin bleibt bunt“ lädt am heutigen Donnerstagabend zu einem Stadtforum, wo der Vorfall mit den Betroffenen aufgearbeitet werden soll.

Der CDU-Innenexperte Sven Petke d begrüßte, dass sich Woidke vor die Polizei gestellt habe. Zugleich unterstellte er „Teilen der Linken, die Situation in Neuruppin bewusst herbeigeführt zu haben“. Auch Brandenburgs Polizeipräsident Arne Feuring verteidigte den Einsatz. Die Sitzblockade sei erst nach mehrfacher Ankündigung aufgelöst worden, sagte er. Der Schutz „widerstreitender Versammlungen“ gehöre zu den schwierigsten Aufgaben der Polizei.

Sitzblockaden sind rechtlich umstritten – sie können als Nötigung eingestuft werden. Immer wieder nehmen auch Spitzenpolitiker an ihnen als Form des „zivilen Ungehorsams“ teil. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) hatte sich an einer Sitzblockade gegen eine Neonazidemo am 1. Mai 2010 beteiligt. Von Parteifreunden und Polizeifunktionären ist Thierse deshalb scharf kritisiert worden. Berlins SPD-Innensenator Ehrhart Körting sagte damals, dass „Bundestagsabgeordnete nicht über dem Grundgesetz stehen“. Die Polizei müsse auch das Demonstrationsrecht von Rechtsextremen durchsetzen. Polizeigewerkschafter hatten Thierses Rücktritt gefordert. Während Thierse nach fünf Aufforderungen der Polizei freiwillig die Straße geräumt hatte, musste der Berliner Bezirksbürgermeister Matthias Köhne (SPD) von zwei Polizisten weggeführt werden.

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