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Erst seit  hundert Jahren dürfen Frauen in Deutschland wählen, in manchen Parteien machen sie aber erst ein Viertel der Abgeordneten aus. 

© Frank Rumpenhorst/dpa

Politologin Bettina Praetorius im Interview: „Eine Frau an der Spitze würde Brandenburg guttun“

Der Verein "Frauen aufs Podium" will Frauen zum Gang in die Politik motivieren. Vereinschefin und Politologin Bettina Praetorius spricht im PNN-Interview über das Paritégesetz, die Landtagswahl im September und eine weibliche Ministerpräsidentin.

Der Verein „Frauen aufs Podium“ wurde im Januar dieses Jahres in Berlin gegründet. Ziel ist die gesellschaftliche Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Als ersten Schritt hat der Verein ein Programm zur Stärkung und Unterstützung des politischen Engagements von Frauen in Brandenburg entwickelt. Die Diplom-Politologin und Vereinschefin Bettina Praetorius sieht in der märkischen Politik noch Luft nach oben, was die Chancen von Frauen angeht.

Frau Praetorius, Brandenburg hat als erstes Bundesland ein Paritégesetz verabschiedet, Thüringen hat jetzt nachgezogen. Zur Landtagswahl am 1. September greift es aber noch nicht. Hätten wir im Herbst womöglich was das Abschneiden der Parteien angeht ein anderes Ergebnis, wenn die Listen schon zu gleichen Teilen von Männern und Frauen besetzt wären?

Natürlich kann auch ich nicht in die Zukunft schauen, aber ich wage mal eine Prognose: Ich gehe davon aus, dass wir dann im Landtag einen weiblichen Anteil von 50 Prozent hätten. Aktuell haben ja die Parteien, die sich für das Paritégesetz eingesetzt haben, schon jetzt Wahllisten im Reißverschlussprinzip – mit fast gleich vielen Frauen und Männern. Bei den anderen Parteien, die das Paritégesetz ablehnen, macht der Frauenanteil nur ein Drittel beziehungsweise ein Viertel der Liste aus.

Bei der Aufstellung der Landesliste hatte CDU-Parteichef Ingo Senftleben bewusst Frauen auf vordere Plätze gesetzt, scheiterte mit seinen Vorschlägen aber bei den eigenen Parteigenossen. Sind manche Parteien noch nicht bereit für mehr Frauen?

Keine Partei würde das heute öffentlich zugeben. Aber es verhält sich nun mal so, dass aufgrund männlich geprägter Strukturen zu wenige Frauen da sind. Auch wird Macht nicht gerne geteilt, erst recht in Parteien. Eine Verordnung von oben reicht eben nicht. Gesellschaftliche Gleichheit muss von allen als Bereicherung von Potenzial und Perspektiven gelebt und gewünscht werden.

Von Gegnern des Paritégesetzes beiderlei Geschlechts wird ja oft das Argument ins Feld geführt: Eine Frau, die gut ist in ihrem Job, braucht keine Quote. Ist da nicht etwas dran?

Die wenigsten Frauen sind gerne Quotenfrauen. Aber fast alle haben verstanden, dass das Paritégesetz der einzige Weg ist, um Druck auf die Parteien auszuüben, damit dieser Missstand endlich behoben wird. Wir dürfen nicht vergessen, dass unser politisches System von Männern geprägt wurde, und das gilt bis heute. Bis vor 100 Jahren durften Frauen noch nicht einmal wählen gehen. Bis in die 80er Jahre lag der Frauenanteil im Bundestag unter 10 Prozent. Die Quote schafft eine notwendige Korrektur bis zur Vertretung von Frauen mit 50 Prozent – entsprechend ihrem Anteil in der Gesellschaft.

Aus der Wirtschaft, aber auch aus der Politik hört man auch öfter: Frauen kommen deshalb nicht so weit, weil sie nicht netzwerken wie Männer, nicht gerne Teil von Klüngelrunden sind. Lernen die Frauen bei Ihnen, wie man richtig klüngelt?

Männer haben aufgrund des systematischen Ausschlusses von Frauen aus gesellschaftlichen Netzwerken – zum Beispiel wurden beim Rotary und Lions Club Frauen in Deutschland erst 1989 zugelassen – hier sicher einen Vorteil. Andererseits wird in der Politik eher zu viel geklüngelt. Kein Vorbild für eine gute politische Führung. In unserem Workshop „Brandenburg – ich misch’ mich ein: Für mehr Frauen in der Politik“ lernen Frauen, wie sie sich gut im politischen Umfeld behaupten, ihre Interessen souverän vertreten und sich untereinander stärken.

Oft wird gesagt, dass Frauen ja gar nicht in die Politik wollen. Stimmt das denn?

Es stimmt, dass für Frauen das heutige institutionelle politische System weniger attraktiv ist als für Männer. Für Frauen ist es ebenso schwieriger ihre Berufstätigkeit und Familie mit den langen Ausschusssitzungen und Präsenzpflichten zu vereinbaren. Probleme sind nicht nur die Kinderbetreuungsmöglichkeiten, sondern vor allem der fehlende gesellschaftliche Konsens, die Care-Arbeit gerecht zu teilen. Grundsätzlich ist das politische Interesse bei Frauen genauso hoch wie das von Männern, aber sie engagieren sich bislang lieber in anderen Formaten.

Ein Mann, der sich neben dem Beruf auch mal um die Kinder kümmert, ist ein Held. Bei Frauen wird das eher negativ gesehen: Muttersein und Vollzeitjob mit Überstunden – beides zusammen ginge nicht. Warum hat sich da das Denken bislang so wenig verändert?

Es gibt auch ein anderes Denken, besonders bei den jüngeren Generation Y und Z. Aber wir leben hierzulande immer noch überwiegend das männliche Ernährermodell mit einer 40-Stunden-Woche, Ehegattensplitting und einer Gehaltsdifferenz von 21 Prozent zu Ungunsten von Frauen. Was wir bräuchten, wäre eine 32-Stunden-Woche für alle Beschäftigten, so wie es zum Beispiel die Soziologin Jutta Allmendinger schon lange vorschlägt – und die Bereitschaft und Selbstverständlichkeit, dass Väter die Hälfte der Elternzeit übernehmen.

Eine Landtagskita gibt es in Brandenburg nicht. Wären auch solche Einrichtungen hilfreich, um mehr Frauen dazu zu bewegen, sich politisch zu engagieren?

Ja, unbedingt. Eine Landtagskita könnte enorm entlasten, wenn sie zum Beispiel auch eine Betreuung während der Abendsitzung anbietet. Sie sollte allerdings auch die Kinder anderer in Schicht arbeitenden Eltern aufnehmen. In diesem Zusammenhang dürfte auch dringend über eine bessere Entlohnung unserer Erzieherinnen nachgedacht werden.

Es gibt gerade in der Brandenburger Politik aber auch andere Beispiele: Kulturministerin Martina Münch von der SPD hat sieben Kinder. Können solche Frauen nicht Vorbilder für andere sein, die sich bislang nicht trauen, ein herausgehobenes, zeitintensives Amt zu übernehmen?

Frau Münch hat es geschafft, mit sieben Kindern Kultusministerin zu werden. Das ist toll. Aber sie ist sicher eine Ausnahme. Für berufstätige Mütter und besonders Alleinerziehende ist schon ein politisches Engagement mit einem Kind schwierig. Es geht darum, dass wir die politischen Strukturen im Sinne einer frauenfreundlichen Ausrichtung ändern. Vorbilder sind für mich Frauen, die sich dafür aktiv einsetzen.

Machen Frauen anders Politik als Männer?

Keine Studie hat bislang bewiesen, dass Frauen tatsächlich andere Politik machen, also im Sinne einer größeren Kompromissbereitschaft oder besserem Zuhören. Aber Männer denken anders als Frauen. Der Blick und die Erfahrungswerte sind anders, und so wird eine Stadt anders geplant, das Geld anders ausgegeben. Nicht besser, nicht schlechter – aber mit anderen Prioritäten. So stehen durch die derzeitige Unterrepräsentation von Frauen in den politischen Entscheidungsgremien weder familiengerechte Arbeitszeiten noch barrierefreie Verkehrsmittel weit oben auf der Agenda. Genauso wenig Priorität haben genügend Kitaplätze, wohnortnahe Schulen, mehr Kinderbetreuungsmöglichkeiten für Alleinerziehende oder eine ausreichende Bezahlung der – meist weiblichen – Pflegekräfte.

Und werden Frauen auch eher von Frauen gewählt?

Nein, nicht unbedingt. Aber Frauen wählen heute eher links als rechts. Besetzen konservative Parteien ihre Spitzenämter mit Frauen und nehmen dazu noch frauen- oder familienspezifischere Themen auf die Agenda, steigt die Zahl der weiblichen Wählerinnen.

Brandenburg hatte noch nie eine Ministerpräsidentin, aber immerhin bei den Grünen und den Linken Frauen als Spitzenkandidaten für die Landtagswahl. Ist Brandenburg bereit für eine Frau an der Landesspitze?

Es würde Brandenburg definitiv guttun. Eine Frau an der Spitze würde neue Perspektiven und Potenzial eröffnen. Realistisch gesehen, wird es aber wohl auch dieses Mal nichts werden, da Platz eins bei beiden großen Volksparteien wie üblich mit Männern besetzt wurde.

Die Fragen stellte Marion Kaufmann

Bettina Praetorius, 51, ist Diplom-Politologin und Vorstand bei „Frauen aufs Podium“. Bei der OB-Wahl 2018 in Potsdam war sie die Wahlkampfmanagerin von Martina Trauth (Linke).

Hintergrund: Seminare für Frauen

Im Jahr der Europa-, Kommunal- und Landtagswahl in Brandenburg will der in diesem Jahr gegründete Verein „Frauen aufs Podium“ den Fokus auf Politik legen. In dem Programm „Brandenburg – ich misch’ mich ein: Für mehr Frauen in der Politik“ lernen Frauen nach Angaben des Vereins ihre eigenen Werte noch besser zu definieren und sich durchzusetzen. Sie erhalten Fachkenntnisse für den politischen Alltag in der Kommunal- und Landespolitik und haben die Möglichkeit, sich mit gleichgesinnten Frauen zu vernetzen. Die Termine sind am 16., 17. August und 21. September in Brück (Potsdam-Mittelmark), am 24. August und 14. September in Eberswalde (Barnim) sowie am 16. November in Potsdam. Die Kosten betragen 90 Euro für zwei eintägige Workshops und 140 Euro für den zweieinhalbtägigen Workshop . Ermäßigungen und Kinderbetreuung ist möglich. Infos und Anmeldung unter: https://frauenaufspodium.org/mehr-frauen-in-die-politik/ 

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