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Gefragt. Hans Otto Bräutigam bei seiner Buchpremiere.

© Manfred Thomas

Brandenburg: „Politik ist keine Lebensaufgabe“

Brandenburgs früherer Justizminister Bräutigam las aus seiner Autobiografie, Manfred Stolpe sekundierte ihm

Potsdam - Jeder, dessen Name nicht auf der Gästeliste steht, bekommt eine Wartenummer, manche werden nach Hause geschickt. Der Andrang ist groß an diesem Mittwochabend in der Bibliothek des Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF) in Potsdam, offenbar der falsche Ort mit seinen 150 Sitzplätzen. Schon in den Tagen zuvor hatten die Veranstalter diese Zeitung gebeten, nicht mehr auf den Termin hinzuweisen. Grund war ein Vorabdruck aus der Autobiografie des früheren brandenburgischen Justizministers Otto Bräutigam: „Meine Brandenburger Jahre – Ein Minister außer Diensten erinnert sich“.

Der frühere Landtagspräsident Herbert Knoblich kommt, auch der derzeitige Justizminister Helmuth Markov (Linke) interessiert sich für das Werk seines Nachwende-Vorgängers. Und schließlich mit auf der Bühne als Gesprächspartner: der damalige Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD).

Bräutigam selbst wirkt ruhig, ganz gesetzt. Er liest von seiner Zeit in Brandenburg, aus den wilden Nachwendejahren, wie etwa von der fast 60-jährigen „Irrfahrt“, wie es der ehemalige DDR-Kulturminister Hans Bentzien genannt hatte, der preußischen Königssärge von Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. quer durch Deutschland, wie der Putschversuch in Moskau im August 1991 durch „kommunistische Hardliner“ für Unruhe beim Oberkommando Westgruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Wünsdorf sorgte. Und dass er Stolpe damals zum sowjetischen Oberkommandierenden in der früheren DDR, Generaloberst Matwej Burlakow, begleitete. Der bat um Schutz für Sowjetarmisten und die Militärobjekte und – laut Bräutigam „noch heikler“ – Hilfe, nach einem Machtwechsel in Moskau Deserteure in die Kasernen zurückzubringen. Sie waren überrascht, schreibt Bräutigam, mit solchen Befürchtungen hatten sie nicht gerechnet.

Bräutigam hat sichtlich Spaß an diesen kleinen, zuweilen wilden Geschichten von damals, auch wenn die Titel der Kapitel eher nüchtern sind. „Für Sensibilität, Toleranz und Solidarität: Die neue Landesverfassung von Brandenburg“, heißt eines, aus dem Bräutigam vorliest. Es geht um die Kampagne zum anstehenden Volksentscheid über die brandenburgische Verfassung im Jahr 1992, sein erster richtiger Wahlkampf, wie er sagt; er, der Spitzenbeamte, einst Leiter der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR, dann kurzzeitig Botschafter bei den Vereinten Nationen in New York, der dann doch Politiker wurde im kleinen Brandenburg, aber in seiner Zeit als Minister 1999 stets darauf Wert legte, parteilos zu bleiben und damit irgendwie für sich doch Beamter blieb.

Diesen Wahlkampf jedenfalls habe er sich ganz anders vorgestellt. Es war ein Samstagmorgen in Herzberg an der Elster im Süden Brandenburgs, auf dem Marktplatz begrüßte ihn ein Gemeinderat von der SPD, doch sonst war niemand da, nur ein paar spielende Kinder, dazu laute Musik. Trotzdem trat Bräutigam aufs Podium und „fing an zu reden vor einem nicht vorhandenen Publikum“. Die Kinder gingen weg, nur ein älterer Mann tauchte plötzlich auf dem Marktplatz auf. Bräutigam hielt seine Rede bis zum Ende, dachte sich, „den musst du festhalten“.

Dann ist Manfred Stolpe dran, Bräutigams Kabinettschef damals. Das Buch müsse in den Schulen zur Pflichtlektüre zu machen, sagt er. Und zu Bräutigam: „Man hat das Gefühl, Sie haben ein bisschen mitgelitten.“ Er denke da an den Fall Gustav Just, jenen Landtagsabgeordneten der SPD, der 1992 wegen Geiselerschießungen im Zweiten Weltkrieg zurücktrat, oder das Scheitern der Fusion der Länder Berlin und Brandenburg. Oder aber an die Gefängnisausbrüche in den 90er-Jahren, die dem Justizministerium damals den spöttischen Ruf als „Reisebüro Bräutigam“ einbrachten. Als es um die Einführung des Unterrichtsfachs LER ging, sei Bräutigam im Bundestag verprügelt worden, sagt Stolpe. Zugesetzt habe dem Ex-Justizminister auch das Verfahren wegen Haushaltsverstößen gegen die damalige Arbeitsministerin Regine Hildebrandt. Stolpe spricht von „politisch motivierten Angriffen der Staatsanwaltschaft“. Bräutigam nennt es „ein Verfahren geringfügiger Art“, das strafrechtlich irrelevant gewesen sei.

Nicht ganz einig scheinen die beiden beiden betagten Herren auf dem Podium aber nach einer Frage aus dem Publikum zu sein. Ob sie noch Gräben zwischen Ost und West spürten, möchte einer wissen. „Gleiche Chancen hat es damals – und auch heute gewissermaßen – nicht gegeben“, sagt Bräutigam. Typisch sei es gewesen, dass die Leitung eines Unternehmens im Westen zu finden war. Stolpe weist im Gegenzug auf die vielen wirtschaftsstarken Unternehmen, die es auch in Brandenburg gegeben habe, hin. Bräutigam hält dagegen: Viele Unternehmen seien von westdeutschen übernommen und dann nach zwei, drei Jahren zugemacht worden. Für ihn mit ein Grund für die Arbeitslosigkeit in der früheren DDR. Dann die Frage nach dem Verschleiß im Amt. Bräutigam sagt: „Politik ist keine Lebensaufgabe. Es tut ganz gut, wenn man nach so vielen Jahren das Feld verlässt.“

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