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Update

"Piatto" vor dem NSU-Untersuchungsausschuss: Ausstieg durch Einstieg

Der einstige V-Mann "Piatto" sagte erneut vor dem NSU-Untersuchungsausschusses des Landtages in Potsdam aus. Er wollte aus der Neonazi-Szene aussteigen, erklärte er - und tauchte deshalb immer tiefer in sie ein.

Potsdam – Er ist wieder da. Zum zweiten Mal steht der wegen versuchten Mordes verurteilte frühere Neonazi und V-Mann Carsten Szczepanski alias „Piatto“ vor dem vor rund zwei Jahren eingesetzten NSU-Untersuchungsausschuss des Potsdamer Landtags. Abgeschirmt und streng bewacht kommt er ungesehen durch den Lieferanteneingang. Doch was er liefert, ist nicht besonders viel. Zumindest nichts, was darüber Aufschluss geben könnte, wie viel er tatsächlich wusste über das später als NSU bekannte, untergetauchte Terrortrio. Zu dem hatte er 1998 einen Hinweis gegeben, dem – wie man heute weiß – damals nicht genügend Beachtung seitens der Behörden geschenkt wurde. Nun liefert er erneut Beschreibungen, die Fragen aufkommen lassen: Darf sich der Verfassungsschutz tatsächlich eines vormals gefährlichen Rechtsextremisten bedienen, ihm freie Hand lassen, um an Informationen zu gelangen? Oder hat die Behörde durch den Einsatz „Piattos“, dem ein Laden für Neonazi-Devotionalien in Königs Wusterhausen finanziert wurde, die Szene sogar gestärkt?

Nur die Stimme von "Piatto" ist zu hören

Für die Öffentlichkeit ist „Piatto“ wie bei seinem ersten Auftritt im Ausschuss vor fünf Monaten nur eine sanfte Stimme, ein Erzähler, der mit angenehmem Ton und vielen Erinnerungslücken Geschichten von früher erzählt. Szczepanski, der seit seiner Enttarnung durch einen „Spiegel“-Artikel im Jahr 2000 im Zeugenschutzprogramm lebt und Racheakte früherer Gesinnungsgenossen fürchten muss, tritt nur den Ausschussmitglieder von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Für die Presse wird die Vernehmung in einen anderen Raum des Landtages übertragen. Bei seinem zweiten Auftritt vor den Abgeordneten will der Zeuge mit der Radioansagerstimme die widersprüchliche These untermauern, die er sich selbst zurechtgelegt hat: Er habe sich dem Verfassungsschutz angedient und sei nur deshalb so tief in die rechte Szene Brandenburgs eingetaucht, um dieser abzuschwören. Ausstieg durch Einstieg.

Langeweile als Antrieb für V-Mann-Tätigkeit

Bei seiner ersten Vernehmung hatte er es etwas anders dargestellt. Aus Langeweile habe er dem Verfassungsschutz angeboten, für ihn tätig zu werden. Dann, sagt „Piatto“ am Donnerstag, sei es ihm um einen „endgültigen Bruch mit der Szene“ gegangen, in der der gebürtige Berliner tief drin steckte: Nach der Wende wollte er einen deutschen Ableger des rassistischen Ku-Klux-Klan aufbauen, 1992 prügelte er gemeinsam mit Gleichgesinnten einen Nigerianer in Wendisch-Rietz (Oder-Spree) fast zu Tode. 

Ex-Kamerad spannte ihm die Freundin aus 

Er habe in der U-Haft über seine Tat nachgedacht, ihm sei klar geworden, dass das Opfer auch hätte sterben können. „Das geht zu weit, viel zu weit“, sagt Szczepanski, der heute Ende 40 ist. Aber da war noch etwas anderes, was ihn offenbar viel mehr beschäftigt hat als Reue und Mitgefühl mit dem Opfer: Seine damalige Lebensgefährtin ging fremd „mit einem Kameraden aus der Szene“, erzählt er. Außerdem hätten zwei andere Neonazis versucht, durch Aussagen gegen ihn ihre eigene Verantwortung abzuschieben. Das sei das „Komplettpaket“ gewesen, das ihn dazu bewogen habe, den einstigen Mitstreitern als V-Mann schaden zu wollen.

 Polizisten schirmten "Piatto" im Landtag ab. 
 Polizisten schirmten "Piatto" im Landtag ab. 

© Ralf Hirschberger/dpa

„Für mich war es damals die richtige Entscheidung, die Szene auf diese Art und Weise zu verlassen“, sagt Szczepanski. Nur um Informationen zu bekommen, habe er sich mit Leuten getroffen, mit denen er eigentlich nichts mehr zu tun haben wollte: „Ich habe es als Job betrachtet.“

Im Bett mit der NPD-Schatzmeisterin 

Bei seinem „Job“ ging er offenbar ganz nah ran an die Beobachtungsobjekte. Die Ombudsfrau der SPD im Ausschuss, Inka Gossmann-Reetz, konfrontiert Szczepanski mit der Tatsache, dass er, der nach eigenem Bekunden rechtsextremen Ideologien innerlich abgeschworen hatte, eine Beziehung mit einer NPD-Funktionärin einging. Kein One-Night-Stand, so Gossmann-Reetz, sondern eine längere Partnerschaft – mit einem Menschen, der einer Ideologie folgt, die man angeblich selbst inzwischen komplett ablehnt. „Wie geht das?“, will die Abgeordnete wissen. Im Nachhinein könne er sich das auch nicht mehr erklären. „Das ist halt so passiert“, sagt Szczepanski. Er habe die Kreisschatzmeisterin der NPD bei einem Parteitreffen kennen gelernt. „Sie hätte auch ein anderes Parteibuch haben können oder gar keins.“ Dass er für den Verfassungsschutz arbeite, habe er seiner Freundin nie erzählt. Sie habe es wohl nach der Enttarnung aus der Zeitung erfahren. 

Die Abgeordneten sehen Widersprüche 

Nicht nur Gossmann-Reetz, auch die Abgeordneten von CDU, Grünen und Linken versuchen durch ihre Fragen die Widersprüche zwischen den heutigen Aussagen und dem damaligen Verhalten Szczepanski herauszuarbeiten. Dass er, der Aussteiger, durch seine Spitzeldienste immer tiefer in die Neonazi-Szene geriet, sich regelmäßig auf Konzerten rechter Bands aufhielt, mit Brandenburgs Szenegrößen wie dem – mit NSU-Unterstützern befreundeten – Potsdamer Sänger Uwe Menzel auf Du und Du war – für „Piatto“ kein Problem. Es sei für ihn klar gewesen, dass er sich weiter in der Szene bewegen müsse, um Informationen zu bekommen. Ein Fulltimejob sei das gewesen. „Es war klare Sache, dass ich alles, was ich erfahre, weitergebe“, beschreibt er seine Zusammenarbeit mit dem Nachrichtendienst. „Was mit den Informationen passiert, welche Infos relevant waren, was vergebliche Liebesmüh war – das habe ich nicht erfahren.“ Die Kooperation ging so weit, dass sein V-Mann-Führer noch in der Anwerbezeit für „Piatto“ rechtsextremistisches Propaganda-Material aus der JVA Brandenburg/Havel nach draußen schmuggelte, seinen Postboten spielte. Im Juni hatte „Piatto“ erzählt, dass ihm sein Vertrauter beim Verfassungsschutz auch mal Hackfleisch und Schokolade in den Knast brachte. Für die Liebesmüh eines verurteilten Gewalttäters.

Marion Kaufmann

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