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Immer im Dienst. Oft sind pflegende Angehörige selbst bereits im Rentenalter, wenn sie sich etwa um demenzkranke Partner kümmern. Im ersten Lockdown waren viele Tageseinrichtungen geschlossen – eine zusätzliche Belastung. 

© Kitty Kleist-Heinrich (Symbolbild)

Pflegende Angehörige: Übersehen, aber unersetzbar

Wenn es in der Pandemie um Pflegekräfte geht, wird die größte Gruppe oft vergessen – auch bei der Corona-Impfung.

Von Sandra Dassler

Berlin/Potsdam - Es applaudiert ihnen niemand öffentlich. Es bekommt kaum jemand mit, wenn sie erschöpft oder frustriert sind. „Sie sind die wirklich stillen Helden – und deshalb werden sie auch bei der Diskussion um die Frage, welche Bevölkerungsgruppen zuerst gegen Covid-19 geimpft werden sollten, gerade mal wieder einfach vergessen“, sagt die Leiterin der Diakonie-Beratungsstelle „Pflege in Not“, Gabriele Tammen-Parr. Und meint die vielen Menschen, die auch in den vergangenen Monaten ihre alten oder kranken Angehörigen zu Hause versorgt haben. „Die Älteren werden als Risikogruppen wahrscheinlich ohnehin geimpft und dass die Mitarbeiter des Gesundheitswesens zu den Allerersten gehören, ist auch normal. Wenn aber dann die Reihe an die Pflegekräfte kommt, denkt man nur an die professionellen, aber nicht an die, die zu Hause pflegen.“

Gabriele Tammen-Parr verweist darauf, dass in Deutschland etwa drei Viertel der rund 4,8 Millionen Pflegebedürftigen nicht in Heimen, sondern zu Hause betreut werden. Die meisten davon ausschließlich durch Angehörige, ein kleinerer Teil in Kombination mit ambulanten Pflegediensten. „Auch diese dürfen nicht aus dem Blickfeld geraten“, sagt sie. „Oft konzentriert sich die Aufmerksamkeit in erster Linie auf die Heime, dabei kann ein Corona-Ausbruch bei einem Pflegedienst ähnlich dramatische Folgen haben.“

Eine Gruppe wird nicht genannt

Zumindest das hat die Politik inzwischen erkannt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) lobt nicht nur die teilweise herausragenden Leistungen der stationären, sondern auch der ambulanten Pflegeeinrichtungen. Und der Deutsche Ethikrat nennt in seinen Empfehlungen für einen gerechten und geregelten Zugang zu einem Covid-19-Impfstoff ausdrücklich „Mitarbeiter*innen von stationären und ambulanten Einrichtungen der Gesundheitsversorgung und der Altenpflege“.

Von den pflegenden Angehörigen ist allerdings nirgendwo die Rede. Dabei versorgten sie allein in Berlin im vergangenen Jahr mehr als 81.000 Menschen. In Brandenburg waren es 78.245. Hinzu kommen in beiden Ländern noch Zigtausende Patienten, die Familienmitglieder gemeinsam mit Pflegediensten betreuen.

„Ich mag das Wort zwar nicht, aber diese Menschen sind durchaus systemrelevant“, sagt Tammen-Parr. „Wenn nur die Hälfte von ihnen ausfallen würde, hätten wir plötzlich 50.000 unversorgte Senioren in Berlin. Da bricht alles zusammen.“ Deshalb müsse man alles tun, um die pflegenden Angehörigen zum einen zeitnah gegen Covid-19 zu impfen, zum anderen aber auch so gut es gehe zu unterstützen.

"Viele menschliche Dramen"

Bei der Beratungsstelle von „Pflege in Not“ gehen oft Anrufe von verzweifelten Menschen ein, die einfach am Ende ihrer Kraft sind. Manche versorgen ihre an Demenz erkrankten Partner oder Eltern seit Jahren, viele sind selbst schon im Rentenalter. Gerade in den ersten Monaten nach Beginn der Pandemie brachen fast alle Hilfsangebote für die pflegenden Angehörigen weg: Selbsthilfe- und Betreuungsgruppen, Unterstützung durch Einzelhelfer, vor allem aber die Einrichtungen der Tagespflege. „Da haben sich viele menschliche Dramen abgespielt“, erzählt Gabriele Tammen-Parr: „Wenn da eine 75-jährige Frau ihren an Demenz erkrankten Partner Tag für Tag in ihrer Hellersdorfer Zwei-Zimmer-Wohnung alleine betreut und ihn nicht wenigstens zwei Tage die Woche mal für einige Stunden abgeben kann, das ist schon hart.“

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Dass Tageseinrichtungen wieder schließen, müsse während der zweiten Corona-Welle unbedingt vermieden werden, meint auch Janet Metz. Sie ist Referentin für Qualitätsprüfung beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen Berlin-Brandenburg und findet, dass die Tageseinrichtungen ähnlich wichtig wie Schulen und Kindergärten sind. Zumal es derzeit sowohl bei den stationären als auch bei den ambulanten Einrichtungen viele personelle Engpässe gibt. „Es ist also derzeit gar nicht so leicht, bei Bedarf einen Pflegedienst zu finden“, sagt Janet Metz. „Die hohen Infektionszahlen haben da schon jetzt schlimme Auswirkungen: Pflegekräfte erkranken selbst oder müssen in Quarantäne, weil sich ein Familienmitglied angesteckt hat.“

Das betrifft vor allem auch Eltern. „Wir müssen inzwischen fast täglich mit dem Anruf einer Altenpflegerin rechnen, die nicht kommen kann, weil die Schule oder Kita ihrer Kinder wegen eines Corona-Falls schließen muss“, sagt der Leiter eines ambulanten Pflegedienstes in Brandenburg. Seiner Ansicht nach sind die Gesundheitsämter inzwischen völlig überfordert. „Denen fehlen ja auch die Leute“, sagt er: „Wir haben zum Beispiel Corona-Test-Kits bekommen und sollen nun selbst entscheiden, welche Patienten und Mitarbeiter wir testen. Wie man sie nutzen soll, erklärt ein Video – das war‘s.“

Kopfschütteln und Hilflosigkeit

Dass auch in vielen Pflegeheimen Personalknappheit herrscht, macht die Situation nicht besser. „Wir können uns keine Mitarbeiter backen“, sagt eine Heimleiterin im Süden Brandenburgs: „Aber über manche Dinge können wir nur den Kopf schütteln.“ So sei kürzlich ein an Demenz erkrankter Heimbewohner, der sich während eines Krankenhausaufenthalts mit Covid-19 infiziert hatte, aus der Klinik entlassen worden, obwohl er noch infektiös war. Um den Mann einigermaßen menschenwürdig von den anderen Heimbewohnern zu separieren, ihn also nicht einzusperren, seien drei Pflegekräfte im Einsatz, die anderswo wieder fehlten. Das sei auch gerade angesichts der Appelle vonseiten der Politik, doch weiterhin Besuche von Verwandten in den Einrichtungen zu ermöglichen, total kontraproduktiv, sagt die Heimleiterin.

Gabriele Tammen-Parr begrüßt die Appelle dennoch: „Es wäre mehr als wünschenswert, wenn die alten Menschen nicht so allein gelassen würden wie beim ersten Lockdown. Aber dafür brauchen alle, die in der Pflege arbeiten, die Unterstützung der ganzen Gesellschaft. Egal, ob sie in Heimen, ambulanten Diensten oder als pflegende Angehörige auch in diesen schwierigen Zeiten einfach nur Menschen helfen.“

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