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Brandenburg: Pflegemafia in der Mark

Betrug offenbar aus Berlin gesteuert 230 russischsprachige Dienste unter Verdacht

Berlin - Bundesweit sollen 230 betrügerische Pflegedienste aktiv sein. Das geht aus einem Bericht des Bundeskriminalamtes (BKA) hervor, aus dem die „Welt“ berichtet. Demnach entstammen korrupte Pflegedienstanbieter überwiegend der russischsprachigen Community. In vergleichsweise geschlossenen russischsprachigen Gemeinden in Berlin, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Bayern und Niedersachsen sollen sie Krankenkassen und Ämter über Jahre um insgesamt mehr als eine Milliarde Euro betrogen haben. Öffentlichkeitswirksame Razzien hatte es oft gegeben.

Neu ist, dass die Köpfe bundesweiter Betrügernetzwerke dem BKA zufolge in Berlin residieren. Immer wieder hatte es Razzien bei Berliner Pflegediensten gegeben, die von Betreibern aus Russland, Kasachstan und der Ukraine geleitet wurden. Zuletzt wurde vergangenes Jahr die Chefin eines Pflegedienstes in Spandau festgenommen, Akten beschlagnahmt, Mitarbeiter und – vermeintliche – Patienten verhört. Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD) sagte auf Anfrage, dass Pflegebetrug in Berlin stärker verfolgt und daher öfter aktenkundig werde. „Das bedeutet nicht, dass es den organisierten Leistungsmissbrauch nicht auch in anderen Bundesländern gibt.“ Man habe zudem pro Bezirk zwei Zusatz-Kontrollkräfte finanziert.

Der BKA-Bericht behandelt Fälle der Vorjahre, als die alten Pflegestufen galten, weshalb sich die Masche der Betrüger vereinfacht so erklären lässt: Ein Arzt, ein Unternehmer, zwei, drei als Pflegehelfer angelernte Mitarbeiter schließen sich zusammen. Der Unternehmer gründet einen Pflegedienst und fragt eigentlich noch agile befreundete oder verwandte Senioren, ob sie etwas dazuverdienen wollen. Der Arzt bescheinigt ihnen Pflegebedürftigkeit, die Rentner werden instruiert, wie sie sich bei Kontrollen des zuständigen Medizinischen Dienstes der Krankenkassen verhalten sollen: Stöhnen, gebeugte Haltung, Trippelschritte. Im für die Täter guten Fall wird die Pflegestufe III festgelegt. Der Pflegedienstleiter rechnet nun für 1600 Euro Maßnahmen ab, die nie erbracht wurden. Wenn 20 Senioren mitmachen, kann der Pflegedienstchef jedem von ihnen 600 Euro geben, und sich mit seinen Mitarbeitern die übrigen 20 000 Euro pro Monat teilen. Nach drei Jahren betrüge der Schaden 1,2 Millionen Euro. Viele Beschuldigte sollen dem Bericht zufolge auch in Geldwäsche und Schutzgelderpressung verwickelt sein.

Der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann (CDU), nannte die Fälle im Südwestrundfunk „besonders makaber“. Diensten, die „sich wirklich aufopferungsvoll um die Leute kümmern“, müsse jedoch nach wie vor eine „gehörige Portion Vertrauen“ entgegengebracht werden. Andererseits brauche es systematische Kontrollen.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz warf den Behörden vor, es „der organisierten Kriminalität in der Pflege zu leicht“ zu machen: „Die Zettelwirtschaft aus dem letzten Jahrhundert muss ein Ende haben. Ebenso ist eine lebenslange Patientennummer notwendig. So werden Schummeleien von Pflegediensten, Ärzten, Apothekern und Patienten schnell deutlich.“ Die leidtragenden Kassen sind eigener Einschätzung nach kaum in der Lage, mafiöse Täter zu enttarnen. Hannes Heine

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