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Erardo C. Rautenberg.

© T. Rückeis

Personalnot in der Justiz Brandenburgs: Generalstaatsanwalt fordert Stopp beim Personalabbau

Justizminister sieht strategischen Bedarf an Justiznachwuchs. Verhandlungen mit Finanzressort

Potsdam - Jetzt schlagen wegen der Personalnot und des von Rot-Rot geplanten Stellenabbaus in der Justiz auch Brandenburgs Generalstaatsanwalt Erardo C. Rautenberg und die Chefs der vier Staatsanwaltschaften Alarm. Eine effektive Justizgewährung und Strafverfolgung im Land könne kaum noch gewährleistet werden, heißt es in einer am Mittwoch verbreiteten gemeinsamen Erklärung von Rautenberg und den vier leitenden Oberstaatsanwälten „zur Lage in der Justiz“. Sie hatten sich bereits am Dienstag bei einem Cheftreffen darauf verständigt. Tatsächlich ist es ein Brandbrief.

Es sei völlig unverständlich, dass die Landesregierung wegen der angespannten Sicherheitslage einen erhöhten Personalbedarf nur bei der Polizei sehe, nicht aber bei der Strafjustiz. Es sei „in der Praxis leidvoller Alltag geworden“, worauf bereits der Deutsche Richterbund in Brandenburg, aber auch der Präsident des Oberlandesgerichtes (OLG), Klaus-Christoph Clavée, kürzlich hingewiesen haben: überlastete Strafverfolgungsbehörden und Gerichte und immer längere Verfahren. Diese negative Dynamik werde nun verstärkt, weil in der Justiz nicht nur bei Richtern und Staatsanwälten ausreichend Nachwuchskräfte in ausreichender Anzahl fehlen. Folgen seien eine zunehmende Alterung des Personals und ein steigender Krankenstand.

Aktuell fehlen bei der Staatsanwaltschaft zehn bis 18 Prozent des nötigen Personals. Die übrigen Beamten müssen diese Arbeit zusätzlich übernehmen. Dabei würde der Personalbedarf an Gerichten und Staatsanwaltschaften – unter den Ressorts der Landesregierung – nach dem bundesweit abgestimmten Schlüssel, genannt „Pebb§y“, berechnet. Dennoch weigere sich das von Christian Görke (Linke) geführte Finanzministerium, den danach festgestellten Personalmangel anzuerkennen, heißt es in der Erklärung.

Die Krux: Mit dem Schlüssel wird der Personalbedarf nur nach der Zahl der eingehenden Verfahren erfasst, die bestehenden Aktenberge werden nicht berücksichtigt. Hinzu kommen neue, vom Bundestag als Gesetzgeber beschlossene Aufgaben für die Staatsanwaltschaften, die ebenfalls noch nicht beim Personalbedarf Eingang fanden. Demnach müssen in jedem Fall bei einer Straftat erlangte wirtschaftliche Vorteile von der Behörde abgeschöpft werden – notfalls per Insolvenzverfahren. Zuvor war dies davon abhängig, ob die Opfer einen Schadensersatzanspruch gegen den Täter haben. Hinzu kommt auch die seit 22. Mai geltende europäische Ermittlungsanordnung. Auch hiesige Behörden müssen nun etwa einen Durchsuchungsbeschluss aus anderen EU-Staaten in Brandenburg durchsetzen.

Wie groß die Not ist, zeigen zunehmende Dienstaufsichtsbeschwerden von Verteidigern gegen Staatsanwälte. Der Grund: Die Anwälte können nicht zeitnah Akteneinsicht nehmen und beklagen, dass sie die Verteidigung ihrer Mandanten nicht ordentlich wahrnehmen können. Dabei liegen die Fälle den Staatsanwälten wegen wachsender Rückstände und Aktenbergen noch gar nicht vor. Denn es gibt einen Stau in den Geschäftsstellen: Es dauert in normalen Verfahren bis zu einem Monat, bis den Beamten die Post vorgelegt werden kann. In einem anderem Fall blieb in der Post der Staatsanwaltschaft die Rücknahme eines Widerspruchs stecken: Ein Gericht entschied dennoch darüber. Alles flog auf, als der Betroffene, der zuvor alles zurückgenommen hatte, einen Kostenbescheid vom  Gericht bekam.

Intern heißt es, es gebe bei diesem Personalmangel keine Spielräume mehr. Auch wegen des hohen Altersdurchschnitts müsse jetzt nachgesteuert und ein Einstellungskorridor geschaffen werden. Und die Pensionierungswelle rollt gerade erst an. Um den Nachwuchs zu gestandenen Staatsanwälten zu machen und Führungskräfte heranzuziehen, brauche es bis zu zehn Jahre.

Der Rechtsexperte der CDU-Landtagsfraktion, Danny Eichelbaum, sagte, der Brandbrief der obersten Staatsanwälte im Land sei eine Ohrfeige für SPD und Linke und deren Personalabbau. „Die Justiz ist die dritte Staatsgewalt und muss endlich wieder so behandelt werden. SPD und Linke betreiben stattdessen das größte Stellenabbauprogramm in der Geschichte der Brandenburger Justiz.“ Es käme zu unangemessenen Strafrabatten für Straftäter, unnötigen Entlassungen von Untersuchungsgefangenen und Schadensersatzansprüchen gegen das Land wegen überlanger Gerichtsverfahren. Es drohe ein Ausfall des Rechtsschutzes für die Bürger. „Die Justiz in Brandenburg läuft Gefahr, völlig zu kollabieren“, so Eichelbaum.

Der CDU-Politiker forderte einen „Masterplan 2025“ für das Personal in der Justiz. Nötig seien 40 Neueinstellungen pro Jahr – für Richter, Staatsanwälte und anderes Justizpersonal. Der Rechtsexperte der Grünen, Benjamin Raschke, sagte: „Unsere Rechtssprechung als dritte Gewalt und solide Säule unserer Verfassung braucht Zeit und Personal. Im Nachtragshaushalt muss die Landesregierung endlich für Entlastung sorgen.“

Justizminister Stefan Ludwig (Linke) steht den Forderungen aufgeschlossen gegenüber, konnte sich aber bislang nicht bei seinem Genossen Görke durchsetzen. Ludwigs vor einem Jahr zurückgetretener Vorgänger Helmuth Markov (Linke) galt ohnehin als Sparminister. Ludwig sagte nun: „Um den Einstellungsbedarf, der nach 2020 besteht, strategisch vorzubereiten, bräuchte ich jetzt 30 Einstellungen pro Jahr.“ Ludwigs Ministeriumssprecher erklärte: „Wir kennen die Lage und werden handeln“. Ludwig sei in Gesprächen mit Finanzminister Görke, um den Personalbedarf abzustimmen.

Der Druck auf Rot-Rot ist groß. Denn es geht um den Kernbereich eines funktionierenden Rechtsstaats. Zugleich werden in der Justiz neue Proteste – mit Demonstrationen von Richtern und Staatsanwälten – nicht mehr ausgeschlossen.

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