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Nicht informiert. Gesundheitsministerin Diana Golze (Linke) und der Präsident des Landesgesundheitsamtes, Detlev Mohr, mussten im Ausschuss einräumen, über ein Jahr lang keine Kenntnis von den Vorgängen beim Händler Lunapharm gehabt zu haben.

© Bernd Settnik/dpa

Patienten fühlen sich im Medikamenteskandal im Stich gelassen: „Es macht mich fertig“

Für Krebspatienten ist der Pharmaskandal ein Schock. Viele ihrer Fragen bleiben bislang unbeantwortet.

Potsdam/Berlin - Seit Freitag versucht Tina M. (Name von der Redaktion geändert), Informationen zu bekommen. Es dauert Tage, unzählige Telefonate und Mails, bis die Berlinerin erfährt, ob sie möglicherweise Präparate für die Chemotherapie bekommen hat, die unwirksam waren. „Man kommt als Patient nicht an die nötigen Unterlagen“, sagt Tina M. am Dienstag. „Ich will Gewissheit. Es macht mich fertig, dass mir niemand etwas sagen kann.“

Die Berlinerin ist eine von Tausenden Krebskranken in Deutschland, die nach dem Brandenburger Pharmaskandal um mutmaßlich gestohlene und durch unsachgemäße Lagerung unwirksame Medikamente verunsichert sind, Fragen haben. Fragen, die ihnen trotz aller Aufklärungsbemühungen des Gesundheitsministeriums bis heute nicht abschließend beantwortet werden können – womöglich nie, wie die Sondersitzung des Gesundheitsausschusses im Landtag am Mittwoch deutlich machte. Denn die ausgelieferten Medikamente sind aller Voraussicht nach längst verbraucht, können nicht mehr untersucht werden. Durch den Rückruf vergangene Woche wurden bislang keine Medikamente zurückgesandt. Die am Wochenende bei Lunapharm konfiszierten Rückstellproben der Medikamente, die nun in verschiedenen Laboren getestet werden, könnten von der Firma durch unbedenkliche Präparate ausgetauscht worden sein.

Wenn die Hotline nicht mehr zuständig ist

Für Patienten wie Tina M. bleibt so vieles offen. Zwar hatte Ministerin Diana Golze (Linke) am vergangenen Freitag eine Hotline einrichten lassen. Noch bis Wochenbeginn bekam Tina M. dort Auskunft. Doch dann wurde sie plötzlich abgeblockt. Die Hotline sei nicht mehr für sie zuständig. Sie solle sich jetzt an das Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) wenden. Doch warum wurde dann die Hotline in Potsdam eingerichtet? Zumal die Präparate nach Auskunft des Ministeriums gar nicht an Patienten in Brandenburg geliefert wurden.

Die 50-Jährige war an Brust- und Eierstockkrebs erkrankt. Seit Oktober 2017 wurde sie mit einer Chemotherapie behandelt. Die letzte Behandlung war am 6. Juli – danach erlitt sie einen Herzstillstand und bekam einen Herzschrittmacher. Ob ein Zusammenhang mit der Chemotherapie besteht, kann ihr niemand sagen. Vor der Chemotherapie war ihr Herz untersucht worden – ohne Befund. Ob ein Zusammenhang besteht mit unwirksamen Medikamenten – diese Ungewissheit bleibt, sagt Tina M. Die Angst kann ihr über Tage niemand nehmen.

Tina M. hat auch die Berliner Apotheke ausfindig gemacht, von der ihr Onkologe die Präparate bekommt. Die 50-Jährige wollte die Chargennummern der Präparate bekommen, die ihr verabreicht worden sind. Die Apotheke teilte ihr mit, sie habe das Medikament nicht von der Firma Lunapharm in Mahlow (Teltow-Fläming), gegen die seit Frühjahr 2017 wegen des Verdachts der Hehlerei ermittelt wird.

Wer bekam unwirksame Medikamente?

Der Apotheker faxt später eine Liste mit den Chargennummern an den Onkologen, der Tina M. behandelt hat. Die Nummern sind handschriftlich eingetragen. Dabei ist ihr noch von der Brandenburger Hotline gesagt worden, dass die Präparate mit einem Klebchen, einem Etikett, versehen sein müssten, die dann in die Patientenakten geklebt werden. Auf der Liste stehen auch der Hersteller und der Händler. Und genau dieser Händler hat nach einem Bericht des Branchendienstes „Apotheke adhoc“ mit Lunapharm zusammengearbeitet. Demnach hat Lunapharm als Logistikpartner für den Händler Bestellungen aufgenommen, Waren gelagert und ausgeliefert. Als Tina M. bei dem Hersteller anruft und die von der Apotheke aufgelisteten Chargennummern vorliest, bekommt sie eine beunruhigende Auskunft: Bei einzelnen Nummern fehle etwas, Zahlen oder Buchstaben. Schlimmer, sagt Tina M., kann die Verunsicherung nicht sein. Zusätzlich zum Krebs. Der Hersteller teilt ihr mit: „Die qualitätsgesicherte Lagerung und Lieferung kann durch uns nur beurteilt werden, wenn die Lieferkette lückenlos nachvollzogen werden kann.“

Erst am Mittwochvormittag bekommt Tina M. vom Berliner Lageso die erlösende Nachricht: Ihre Apotheke sei nicht mit dem Mittel aus Griechenland beliefert worden. Die Ermittlungsbehörden hätten alle Unterlagen in der Apotheke gesichtet. Doch die bisherigen Rückruflisten reichen nur bis 2015 zurück. Was in der Zeit davor, seit 2013, geliefert und verabreicht wurde, ist noch nicht geklärt. Vom Lageso bekommt Tina M. noch eine weitere Auskunft: Nur Patienten, die die Mittel zur Chemotherapie bekommen haben, die aus kriminellen Geschäften in Griechenland und Mahlow stammen, werden informiert. All jene Patienten, die nicht betroffen sind von möglicherweise unwirksamen Mitteln, werden nicht aktiv informiert, das sei nicht zu leisten.

Zur Brandenburger Hotline sagt Staatssekretärin Almuth Hartwig-Tiedt im Ausschuss: In der Regel bedankten sich die Patienten, weil sie, auch wenn einiges offenbleibe, einen Ansprechpartner finden. „Aber es ist nicht auszuschließen, dass es zwischendurch Ärger bei einigen gab.“ Bis Dienstagabend wendeten sich bereits 650 Ratsuchende an die Hotline.

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