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Schuldig oder nicht? Seit Jahren entfernt Irmela Mensah-Schramm Hassparolen und Nazi- Sprüche.

© MikeWolff

Brandenburg: Parolen und Proteste

Das Urteil gegen die Rentnerin, die Hassbotschaften übermalt, bewegt viele. Juristen sehen den Fall anders

Von Sandra Dassler

Berlin - Für die einen ist sie eine couragierte Berlinerin, für die anderen hat sie sich der Sachbeschädigung schuldig gemacht. Kaum ein Fall wurde in den vergangenen Tagen so heftig diskutiert wie die Verwarnung, die das Amtsgericht Tiergarten gegenüber einer 70-jährigen Zehlendorferin aussprach. Und ein Ende des Streits ist nicht abzusehen. Worum geht es eigentlich? Die PNN fassen die wichtigsten Fakten und Fragen zusammen.

DER FALL

Irmela Mensah-Schramm entfernt oder übermalt seit 30 Jahren Nazi-Sprüche sowie rechte Parolen und Symbole sowie sonstige Hassbotschaften. Sie wurde dafür unter anderem mit der Bundesverdienstmedaille und dem Göttinger Friedenspreis geehrt. Doch jetzt ist der Rentnerin von Amtsgericht Tiergarten eine Verwarnung ausgesprochen worden, weil sie im Mai dieses Jahres den Spruch „Merkel muss weg“ an der Wand eines Zehlendorfer Fußgängertunnels in „Merke! Hass weg!“ verwandelte.

Bürger riefen die Polizei, die erstellte eine Anzeige. Anfang September erhielt die Rentnerin den Strafbefehl, sollte wegen Sachbeschädigung 450 Euro zahlen. Irmela Mensah-Schramm legt dagegen Berufung ein, so kam es zur mündlichen Verhandlung. Dabei wollte das Gericht das Verfahren wegen Geringfügigkeit einstellen, die Staatsanwältin stimmte dem aber nicht zu, sondern forderte eine Geldstrafe in Höhe von 1800 Euro. Für sie stand fest, dass Mensah-Schramm durch ihr Übersprühen in pinker Farbe das Graffiti und damit die Sachbeschädigung noch größer gemacht hat und dass die Rentnerin außerdem keine Reue zeige. Letzteres ist zweifellos richtig. Schon im Gerichtssaal, aber auch in einem Interview mit dieser Zeitung kündigte Irmela Mensah- Schramm an, weiterzumachen wie bisher. Sie verteidigte sich damit, dass staatliche Stellen fast nie etwas unternähmen, wenn sie auf solche Schmierereien hinweise.

Die Richter sprachen ihr schließlich nur eine Verwarnung aus, allerdings mit der Auflage, dass sie die Geldstrafe von 1800 Euro tatsächlich zahlen muss, wenn sie sich im kommenden Jahr etwas zu Schulden kommen lässt. Inzwischen ist Mensah-Schramm dagegen in Berufung gegangen. Aber auch die Staatsanwältin hat Berufung eingelegt, weil sie eine Verwarnung für zu milde hält und die Geldstrafe durchsetzen möchte.

DIE REAKTIONEN

Die Öffentlichkeit reagierte bisher auf die Nachricht von der Verwarnung sehr unterschiedlich. Während die einen von einem „Justizskandal“ sprechen, weisen die anderen auf rechtsstaatliche Prinzipien hin, die eingehalten werden müssen. Einige Leser dieser Zeitung boten sogar an, die Geldstrafe für die Rentnerin zu übernehmen. Der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Berlin-Brandenburg, Nils Busch-Petersen und der stellvertretende Landesbezirksleiter der Dienstleistungsgesellschaft Verdi, Roland Tremper, teilten am Dienstag gleichlautend mit: „Wer Hassparolen übermalt und zu mehr Dialog und Verständnis aufruft, trägt mit dazu bei, der gesellschaftlichen Spaltung, die immer sichtbarer wird, entgegenzuwirken. Das verdient Anerkennung und nicht Bestrafung!“

Beide Verbände kündigten an, dass die von ihnen ins Leben gerufene Initiative „Handeln statt wegsehen!“, die sich gegen rechtsextreme, rassistische und antisemitische Aktivitäten in Betrieben wendet, überlege, wie sie der Rentnerin Unterstützung zukommen lassen kann. Sie seien fassungslos, dass das Übermalen von Hassparolen mit einer Geldstrafe bedroht werde.

DIE RECHTSLAGE

Es ist allerdings für Juristen unstrittig, dass es sich im konkreten Fall bei „Merkel muss weg!“ nicht um eine verbotene Äußerung, ja nicht einmal um eine Hassparole handelt. Im Gegenteil: „Das ist eher eine Meinungsäußerung und als solche durch das Grundgesetz geschützt“, sagt Martin Heger, Professor für Strafrecht an der Juristischen Fakultät der Berliner Humboldt-Universität: „Wenn der Eigentümer der Wand das dort stehen lassen möchte, hat niemand das Recht, es zu entfernen.“ Auch härtere Sprüche und Losungen seien durch das Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt, sagt Heger. Etwas anderes wäre es, wenn es sich bei dem übermalten Symbol um ein verbotenes Zeichen wie ein Hakenkreuz oder den Schriftzug „Heil Hitler“ handele. „Wenn Frau Mensah-Schramm dann nachweisen kann, dass der Eigentümer nichts dafür tut, das verbotene Zeichen zu entfernen, kann man vielleicht tolerieren, dass sie zur Selbsthilfe greift.“ Im konkreten Fall handele es sich aber tatsächlich um eine Sachbeschädigung, weil die bereits vorhandene durch das Übermalen des Spruches noch vergrößert wurde. Sandra Dassler

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