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Dämmerung in Brandenburg. Noch immer fühlen sich viele Ostdeutsche als Bürger zweiter Klasse – auch dafür steht die Debatte über die Ostquote.

© Patrick Pleul/dpa

Ost-West-Debatte: Ostdeutsches Selbstbewusstsein statt Opfer-Mythos!

Das geringe Vertrauen der Brandenburger in Politik und Institutionen wird durch eine Ostquote genauso wenig behoben wie die Unterrepräsentanz Ostdeutscher auf Chefsesseln. Ein Gastbeitrag der Potsdamer FDP-Bundestagsabgeordneten Linda Teuteberg.

Was ist nur mit dem Osten los? Auf diese Frage, die nicht ohne Grund gestellt wird, sind einige Varianten folgender Antwort in Umlauf: Die Ostdeutschen seien durch den Einigungsprozess gedemütigt worden und diese Kränkung schlage nun in Wut um. Westdeutsche Fremdbestimmung empöre die Ostdeutschen. Formuliert insbesondere im gerade erschienenen Buch der sächsischen Integrationsministerin. Eine Forderung, wie dem zu begegnen sei, kam nun aus Brandenburg: Eine bundesweite Ostquote von 17 Prozent, entsprechend dem Anteil an der Gesamtbevölkerung, bei der Besetzung von Führungspositionen in Verwaltung, Justiz und Wissenschaft.

Linda Teuteberg, 37, FDP, ist Abgeordnete des Bundestages und im Bundesvorstand der FDP. 
Linda Teuteberg, 37, FDP, ist Abgeordnete des Bundestages und im Bundesvorstand der FDP. 

© promo

Nun will ich gar nicht näher in eine Diskussion darüber einsteigen, wie hilfreich die Kategorie „Ostdeutsche“ überhaupt ist. Sie ist so erst nach der deutschen Vereinigung entstanden. Zuvor haben sich nämlich Ostdeutsche entweder als Deutsche im geteilten Deutschland verstanden und damit am Zusammengehören festgehalten. Andere teilten die zu Honeckers Zeiten erfundene Theorie von den zwei Nationen auf deutschem Boden, einer kapitalistischen und einer sozialistischen. Die Frage, wie sinnvoll bestimmt werden soll, wer Ostdeutsche(r) im Sinne der geforderten Quote ist, sollte aber erlaubt sein. Während in den Statistiken über die Besetzung von Führungspositionen Westdeutsche auch dann, wenn sie den größeren Teil ihrer Berufstätigkeit im Osten verbracht haben, lebenslang Westdeutsche zu bleiben scheinen, haben offenbar die mehr als vier Millionen Ostdeutsche, die seit 1949 die DDR verlassen haben, ihren Status als Ostdeutsche damit verloren. Wenn sie in den Osten zurückkehrten, waren sie dennoch Westdeutsche. Eine bestechende Logik. Wie will eigentlich glaubwürdig für Vielfalt und Weltoffenheit eintreten, wer schon unter den eigenen Landsleuten tatsächliche und vermeintliche Unterschiede betont?

Nach wie vielen Jahren soll jemand als ostdeutsch gelten?

Entscheidend solle nun die Sozialisation sein. Eine diffuse, rechtlich und tatsächlich schwer fassbare Kategorie. Nach wie vielen Jahren Schulbesuch und/oder Berufsleben im jeweiligen Teil der Republik soll jemand dann als ost- und wann als westdeutsch gelten? Wichtig ist vielmehr, ebenso sachlich wie mit Sensibilität für die Folgen, ein paar Tatsachen zu benennen. Die Justiz ist dafür ein gutes Beispiel. In Monarchien und Diktaturen ist entscheidend, wer herrscht. In einem demokratischen Rechtsstaat herrscht aber streng genommen nicht jemand, sondern etwas, nämlich Recht und Gesetz. Entscheidend ist dann, ob die Amtsträger Recht und Gesetz anwenden. Woher sie stammen, ist dann zweitrangig. Normalerweise sollten allerdings in den Chefsesseln „Landeskinder“ angemessen vertreten sein. Aber die deutsche Vereinigung war nichts Normales. 1989 hat in der DDR eine Revolution stattgefunden und dazu gehört ein Elitenwechsel. Der begann noch 1989 mit zum Teil spontandemokratischen Wahlen neuer Betriebsdirektoren und Chefredakteure. Allerdings blieb dieser inneröstliche Elitenwechsel unvollendet. Die Überprüfung der Richter etwa war noch nicht abgeschlossen, da kamen am 3. Oktober 1990 die deutsche Einheit und die Neugründung der östlichen Länder. Das rechte Maß beim Elitenwechsel zu finden ist eine schwierige Aufgabe. Im Zuge der Arbeit der Enquete-Kommission des Landtages traten gerade in Brandenburg einige wenig ruhmreiche Versuche zu Tage, belastete Personen in die Justiz und insbesondere in die Sozial- und Arbeitsgerichtsbarkeit des Landes zu übernehmen.

Man muss sich vor allzu einfachen Erklärungen hüten

Denn auch die im Jahr 2011 im Auftrag der Enquete-Kommission durchgeführte repräsentative Umfrage ergab, dass jeweils mehr als zwei Drittel der befragten Brandenburger frühere Mitarbeiter der Staatssicherheit nicht im öffentlichen Dienst oder in politischen Ämtern sehen wollen. Mindestens ebenso interessant und relevant für gegenwärtiges und zukünftiges politisches Handeln sind allerdings die schon 2011 niedrigen und im aktuellen Brandenburg-Barometer noch dramatisch schlechter ausfallenden Werte beim Vertrauen in Institutionen. In beiden Umfragen geben nur rund die Hälfte der Befragten an, Vertrauen in die Justiz zu haben bzw. dass Recht und Gesetz eher verwirklicht werden. Und obwohl 76 Prozent angeben, derzeit mit ihrem Leben sehr zufrieden oder eher zufrieden zu sein, rangieren die Vertrauenswerte für demokratische politische Institutionen auf erschreckend niedrigem Niveau, etwa für Bundestag und Bundesregierung bei 16 Prozent sowie für Parteien bei acht Prozent. Dabei muss man sich hier vor allzu einfachen Erklärungen hüten.

Mit Sensibilität für historische Prägungen und dem Blick nach vorn gleichermaßen ist zweierlei wesentlich. Vielfalt und Durchlässigkeit, Aufstiegsmöglichkeiten nach Befähigung und Eignung sind wichtige Werte in Demokratie und sozialer Marktwirtschaft. Für jede(n) Einzelne(n) wie für unsere Gesellschaft. Die reale ostdeutsche Unterrepräsentanz in Führungsfunktionen, übrigens selbst im Osten der Republik, ist eine Tatsache, die zunehmend nicht mehr nur aus den historischen Besonderheiten erklärt werden kann. Trotzdem hilft uns da weder die Opfererzählung von einer strukturellen Benachteiligung noch eine zweifelhafte Quote.

Trotz Fortschritten beim wirtschaftlichen Aufholprozess im Osten gibt es nach wie vor deutliche Unterschiede zu Westdeutschland.
Trotz Fortschritten beim wirtschaftlichen Aufholprozess im Osten gibt es nach wie vor deutliche Unterschiede zu Westdeutschland.

© Foto: Jens Wolf/dpa

Vielmehr wirken hier viele Faktoren. Zum Beispiel die wissenschaftlich nachgewiesene menschliche Neigung, unbewusst vorzugsweise Menschen zu fördern und als mögliche Nachfolger wahrzunehmen, die einem selbst ähnlich sind. Wenn mehr Ostdeutsche ebenso offen wie selbstverständlich mit ihrem Erfolg umgehen und wenn möglichst viele Führungspositionen in transparenten Verfahren besetzt werden, trägt dies schon viel bei. Zurückhaltung hilft nicht. Sich etwas zuzutrauen, sich zu bewerben und nicht zu erwarten, dass die eigenen Fähigkeiten schon jedem bekannt seien, sollte auch unter und an Ostdeutschen akzeptiert, besser noch geschätzt werden.

Die Identität nicht aus Abgrenzung zu anderen definieren

Der Anlass aber für diese Deutungen und Forderungen, die politische Stimmung in unserem Land und das erwähnte alarmierend geringe Vertrauen in die Institutionen unseres Rechtsstaates und unserer Demokratie wird nicht durch eine Ostquote behoben. Auch im aktuellen Brandenburg-Barometer wird das Thema Migration als mit Abstand wichtigstes politisches Problem, das vordringlich gelöst werden müsse, benannt. Hier ebenso weltoffene wie rechtsstaatliche Antworten auf Probleme, die nicht kleinzureden sind, anzubieten, ist die eigentliche Herausforderung. Das wird uns umso besser gelingen, je mehr wir unsere Identität positiv und nicht aus der Abgrenzung zu anderen definieren. Dazu braucht es keine neuen Verschwörungstheorien, sondern ein großes gesamtdeutsches Gespräch auf Augenhöhe.

Linda Teuteberg, FDP-Bundestagsabgeordnete, antwortet mit diesem Gastbeitrag auch auf eine Position von Frauke Hildebrandt (SPD), Tochter der ehemaligen brandenburgischen Sozialministerin Regine Hildebrandt. 

Linda Teuteberg

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