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Ost-West-Debatte in Brandenburg: Vorstoß für Ostquote bei Spitzenjobs in ganz Deutschland

Sie ist die Tochter von Regine Hildebrandt, der "Mutter Courage des Ostens": Jetzt fordert Frauke Hildebrandt eine bundesweite Ostquote für Führungspositionen. Und Brandenburgs SPD?

Um der Unzufriedenheit in der ostdeutschen Bevölkerung und damit auch einem weiteren Erstarken der AfD zu begegnen, will Brandenburgs SPD eine neue Ost-West-Debatte provozieren. Initiatoren der am Donnerstagabend mit einer Veranstaltung in Luckenwalde gestarteten Aktion sind Erik Stohn, Generalsekretär des SPD-Landesverbandes, und die Potsdamer Hochschulprofessorin Frauke Hildebrandt. Die 49-jährige Sozialwissenschaftlerin ist die Tochter der 2001 verstorbenen früheren brandenburgischen Sozialministerin Regine Hildebrandt, die als „Mutter Courage des Ostens“ wegen ihres Einsatzes für ostdeutsche Interessen und für sozial Schwache wie eine Heilige verehrt wurde.

Nur 1,7 Prozent Ostdeutsche in Führungspositionen

Nun fordert Tochter Frauke Hildebrandt etwa eine bundesweite Ostquote bei der Besetzung von Spitzenjobs. Hildebrandt wies darauf hin, dass immerhin fast drei Jahrzehnte nach der Einigung nur 1,7 Prozent der Führungspositionen in der Bundesrepublik mit Ostdeutschen besetzt sind. „Das ist fast dreißig Jahre nach der Einheit befremdlich.“ Selbst im Osten seien Westeliten fast flächendeckend dominant in Führungspositionen, selbst in der Verwaltung. „Meine Mutter hätte das alles thematisiert, da bin ich mir sicher“, sagte Hildebrandt. Es gebe eine strukturelle Benachteiligung. „Und man muss doch etwas dagegen tun.“ Deshalb sei sie für „für eine bundesweite Ostquote von 17 Prozent, entsprechend dem Anteil an der Gesamtbevölkerung, bei der Besetzung von Führungspositionen in Verwaltung, Justiz und Wissenschaft“, sagte Hildebrandt. „Ja, ich wäre für eine Ostquote, so wie die Frauenquote. Anders kriegen wir es nicht hin.“ Das habe sich bisher gezeigt.

Unterstützung für Treuhand-Kommission

Die Frage, wer dann als ostdeutsch gelte, beantwortete Hildebrandt so: „Wer in Ostdeutschland sozialisiert wurde oder wird.“ Wenn man eine Bevölkerungsgruppe nicht angemessen repräsentiere, dann sei das auch gefährlich für die Demokratie. Und das Land sei ja gerade in einem schwierigen Fahrwasser, drohe auseinanderzufallen. Außerdem unterstützt Hildebrandt den Vorstoß der sächsischen SPD, mit einer Aufarbeitungskommission Versäumnisse der Treuhandanstalt in aufzuarbeiten, die in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung die früher volkseigenen Betriebe privatisierte oder dichtmachte. Die meisten, aber nicht alle, waren marode.

SPD-Generalsekretär will Debatte "ohne Denkverbote"

Erik Stohn, Brandenburgs SPD-Generalsekretär widersprach nicht, machte sich die beiden konkrete Forderungen jedoch auch nicht zu eigen. "Wichtig ist, dass das Problem der Minderrepräsentanz der Ostdeutschen auf den Tisch gehört", sagte Stohn den PNN. "Es ist fast 30 Jahre nach der Einheit einfach nicht akzeptabel, dass so wenige Ostdeutsche in Führungspositionen sind." Welche Instrumente geeignet seien, um das zu ändern, solle die Debatte herausarbeiten. "Und die beginnt jetzt erst. Ich bin dafür, diese Debatte offen, ohne Denkverbote und Tabus zu führen.“

Die Initiative wird auch von Ex-Bildungs- und Sozialminister Günter Baaske (SPD) unterstützt. Alle begründen sie mit dem nach wie eklatanten Ost-West-Gefälle etwa bei Löhnen und Renten sowie der verbreiteten Unzufriedenheit in Ostdeutschland. "Die Benachteiligung ist nicht gefühlt, sondern sehr real", sagt Stohn. Und die aktuelle Stimmung im Osten habe auch sehr viel mit nicht verarbeiteten Brüchen der Nachwendezeit zu tun, die es in fast jeder Familie gegeben habe. "Wir bemerken, dass sich das auf die jüngere Generation in Ostdeutschland überträgt, was ihre Eltern und Großeltern in der Zeit erlebt und als ungerecht empfunden haben." Auch darauf müsse man reagieren. Es habe nichts damit zu tun, eine "Jammer-Mentalität“ zu pflegen. „Die Erfahrungen werden an die jüngeren Generationen weitergegeben“, sagte auch Hildebrandt. Deshalb sei der Versuch, eine Debatte anzustoßen nicht rückwärtsgewandt, „sondern gegen Ostalgie und Meckern“.


Wie vermint das deutsch-deutsche Ost-West-Terrain ist, hat gerade Brandenburgs Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) mit ihrem Erklärungsversuch für die Stärke der AfD in den neuen Ländern gemerkt. Ernst hatte im PNN-Interview gesagt: „Im Osten Deutschlands haben die Menschen kürzere Erfahrungen mit Demokratie. Das Aushalten von Unterschiedlichkeit ist noch nicht so eingeübt.“ Die Aussagen hatten prompt für Kritik gesorgt, von den Linken bis zur CDU in Brandenburg.

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