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Unterschlupf. Am Donnerstag stellte die Berliner Kältehilfe ihre Bilanz des Winters vor. Von November bis Ende März bot sie 1264 Schlafplätze an, unter anderem in der Seestraße. Es waren insgesamt so viele Plätze wie noch nie in den letzten 28 Jahren.

© M. Gambarini/dpa

Obdachlosenhilfe in Berlin: Kaltgestellt

Ende März ist die Kältehilfe-Saison für Berliner Obdachlose vorbei – trotz eisiger Temperaturen. Die Verbände ziehen Bilanz und fordern Verbesserungen.

Berlin - In der Nähe des luxuriösen Vabali am Hauptbahnhof liegt die „Neue Chance“, eine von rund 40 Einrichtungen der Berliner Kältehilfe. Ein heruntergekommenes Gebäude, das an amerikanische Motels erinnert. Wasserflecken an der Decke, Linoleumboden oder fleckiger Teppich, es riecht muffig. Aber es reicht, um Wohnungslose vor dem Erfrierungstod zu retten – zumindest 37 von ihnen, zumindest noch bis Ende März. Dann wird die „Neue Chance“ geschlossen, der Mietvertrag läuft aus, die Saison ist vorbei.

Zum Ende der Saison der Berliner Kältehilfe haben Diakonie und Caritas am Donnerstag auf einer Pressekonferenz Bilanz gezogen. 1264 Plätze konnten für die vergangenen Monate geschaffen werden, wieder sind es so viele wie noch nie. Letztes Jahr waren es 965 Schlafplätze, vor vier Jahren gerade mal 500. Ein Erfolg mit bitterem Beigeschmack: „Kältehilfe ist keine Lösung, Kältehilfe ist ein Notstopfen“, sagt Diakonie-Direktorin Barbara Eschen. Das größte Problem sei, dass die Kältehilfe nur Überlebensschutz bieten könne und diesen auch nur für einen Teil der Berliner Wohnungslosen: Nach Schätzungen leben hier 4000 bis 6000 Menschen ohne festen Wohnsitz.

Fast drei Viertel von ihnen kommen inzwischen aus dem Ausland, vor allem aus Osteuropa. Dort sind die Hilfesysteme für Menschen von der Straße oft lückenhafter. Allein in Polen seien seit November fast 50 Obdachlose erfroren, sagt Barbara Eschen. Auch deshalb fordern die Träger der Kältehilfe eine Berliner Bundesratsinitiative zur Versorgung von EU-Bürgern und soziale Mindeststandards in allen Mitgliedsstaaten.

"Egal, wie das Wetter ist“

Die Kältehilfe wird in Berlin traditionell von kirchlichen und sozialen Trägern organisiert und vom Land über die Bezirke sowie mit Spenden finanziert. In diesem Winter hat die Kältehilfe von November bis Ende März 1264 Schlafplätze im Warmen angeboten – so viele wie noch nie in den vergangenen 28 Jahren. Insgesamt waren die Einrichtungen zu 86 Prozent ausgelastet, im Februar und März sogar bis zu 93 Prozent. 500 Plätze bleiben erstmals auch im April erhalten. Sonst endete die Hilfe Ende März. Beginnen soll sie im kommenden Oktober.

„Die Menschen können ab 19 Uhr in die Notunterkünfte, am frühen Morgen müssen sie wieder nach draußen – egal, wie das Wetter ist“, sagt Barbara Eschen. Es gebe keine Möglichkeit, dauerhafte, qualifizierte Beratung zu leisten oder Erkrankungen zu behandeln. Auffällig viele Obdachlose seien in einem sehr schlechten gesundheitlichen Zustand. Die Menschen haben chronische Krankheiten, die nicht behandelt werden, weil sie im medizinischen Sinne kein Notfall sind. „Dies ist kein Gesundheitsrisiko, sondern ein Sterberisiko“, sagt Ulrike Kostka, Direktorin der Caritas.

Rollstuhlfahrer sind besonders gefährdet

Eine besonders gefährdete Gruppe seien die Rollstuhlfahrer, auf ihre Bedürfnisse sei man in den Notunterkünften nicht vorbereitet. Und die Not wächst: Waren es 2016 noch 20 Rollstuhlfahrer, die das Angebot der Kältehilfe nutzten, zählte die Caritas in der vergangenen Saison 35. Trotzdem ist im Februar ein obdachloser Rollstuhlfahrer am Hackeschen Markt erfroren. Mit dem 31. März endet die Saison der Berliner Kältehilfe, trotz erneutem Wintereinbruch über Ostern mit nächtlichen Temperaturen um null Grad. Einige Unterkünfte werden dennoch bis Ende April offen bleiben. „Es sind nur 500 Plätze, aber es beruhigt uns zumindest etwas“, sagt Eschen.

Dass das nicht reichen wird, dürfte jetzt schon klar sein. Im vergangenen Winter waren die Unterkünfte insgesamt zwar durchschnittlich nur zu 86 Prozent ausgelastet, aber gerade in der Innenstadt klagen die Mitarbeiter über viel zu hohen Andrang. Das Berliner Abgeordnetenhaus ist sich des Problems bewusst und hat knapp vier Millionen Euro für die Notunterkünfte und Straßensozialarbeit zur Verfügung gestellt. Das löst aber nicht das Problem: „Es gibt keine Räume, da ist nichts zu machen.“ Eschen lobte auch die erste Strategiekonferenz Wohnungslosenhilfe, initiiert von der Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke), doch: „Ohne ausreichende neue Wohnungen werden wir die Probleme in dieser Stadt nicht lösen können.“ Etwas Erfreuliches gibt es dennoch: In Berlin gibt es eine Krankenwohnung mit 15 Plätzen, in der Obdachlose in Ruhe ihre Erkrankungen auszukurieren können. Trotzdem hofft Caritas-Direktorin Ulrike Kostka auf weitere solcher Projekte: „Andere Städte zeigen, dass sich dieses Konzept bewährt.“ (mit dpa)

Julia Kopatzki

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