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Schwere Vorwürfe. Das ZDF-Magazin „Frontal 21“ berichtete am Dienstag, dass sich Bewohner der Flüchtlingsunterkunft im ehemaligen Rathaus Wilmersdorf mit sexuellen Diensten Geld verdienen. Heimbetreiber und ehrenamtliche Helfer zeigen sich ahnungslos. Unser Bild zeigt Flüchtlinge bei ihrem Einzug im September 2015.

© Paul Zinken/dpa

Obdachlose und Flüchtlinge: Berlin in der Krise: Die Notlage hält an

Obdachlose und Stricher, überlastete Behörden, heftige Kritik an der Abschiebepraxis: Der Berliner Senat ist unter Druck, die CDU fordert, die Abschiebehaft als Mittel zu nutzen

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Berlin - Drogenhandel an Bahnhöfen, Obdachlosenzelte im Tiergarten, Prostitution mit Flüchtlingen – in Berlin wird über die Folgen der Flüchtlingskrise gestritten. Während Zehntausende Asylbewerber weitgehend unauffällig der bürokratischen Abläufe harren, weisen Polizisten, Bezirksmitarbeiter und Flüchtlingshelfer auf diejenigen hin, die in der Stadt nicht zurechtkommen. Nachdem der Streit um die meist aus Osteuropa stammenden Obdachlosen, die oft afghanischen und irakischen Stricher sowie den Mord im Tiergarten – und die versäumte Abschiebehaft für den Tatverdächtigen – eskalierte, heizt eine ZDF-Report die Debatte an: Sicherheitsmänner sollen Flüchtlinge in die Prostitution vermittelt haben, in Heimen arbeite ein „Zuhälter-Netzwerk“. Auch diese Zeitung hatte berichtet, dass arabische Clans junge Flüchtlinge für Handlangertätigkeiten rekrutieren.

Die Berliner CDU-Spitze möchte die Nicht-Abschiebepraxis des rot-rot-grünen Senats auf Bundesebene thematisieren: „Es darf nicht folgenlos bleiben, wenn ein Land seinen Verpflichtungen nicht nachkommt. Abschiebehaft auszusetzen ist nichts anderes als eine Einladung zum Rechtsbruch“, sagte CDU-Generalsekretär Stefan Evers. Der Bund müsse Berlin gegebenenfalls sogar finanziell sanktionieren. Denkbar sei aber auch, dass der Bund selbst anstelle der Länder die Ausreisepflichtigen abschiebt. Man werde dies bei den Koalitionsverhandlungen im Bund ansprechen. Auch sein Parteikollege und Amtsvorgänger Kai Wegner hatte unlängst gefordert, der Bund müsse künftig für Abschiebungen zuständig sein.

In einem Brief an Andreas Geisel (SPD) macht CDU-Innenexperte Burkhard Dregger den Innensenator sogar persönlich verantwortlich: „Geben Sie die ideologische Verblendung Ihrer rot-rot- grünen Linkskoalition endlich auf!“ Dregger meint den Koalitionsvertrag, in dem steht: „Die Koalition hält Abschiebehaft und Abschiebegewahrsam grundsätzlich für unangemessene Maßnahmen und wird sich deshalb auf Bundesebene für deren Abschaffung einsetzen.“ Dregger fordert Geisel auf, alle rechtsstaatlichen Mittel einzusetzen. Sonst sei er „für etwaige Straftaten von vollziehbar Ausreisepflichtigen“ mitverantwortlich.

Nach den neuen ZDF-Vorwürfen, die am Mittwoch unter Heimbetreibern, Flüchtlingshelfern und Wachleuten diskutiert wurden, sagte Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke), „konkrete Hinweise“ auf einen Zuhälterring gebe es nicht. Sie habe vor Ausstrahlung des Berichts mit Helfern und Mitarbeitern in der Notunterkunft im früheren Rathaus Wilmersdorf gesprochen. Allerdings habe man für Wachfirmen schon vor einiger Zeit höhere Anforderungen eingeführt, die bei Neuausschreibungen zu beachten seien. Mit Blick auf die Obdachlosen und Stricher im Tiergarten sagte Breitenbach, sie werde diesen Donnerstag im Rat der Bürgermeister darüber sprechen. Vor allem der Bürgermeister des Bezirks Mitte, Stephan von Dassel (Grüne), hatte notfalls die Ausweisung osteuropäischer Obdachloser gefordert. Seine Partei sprach davon, eine „gesamtstädtische, ganzjährige und humane Lösung“ sei nötig.

In der Sicherheitsbranche weisen Kenner darauf hin, dass Männer einschlägiger arabischer Clans zu Dutzenden in Sicherheitsfirmen arbeiten würden. Ständig gründeten sich neue Anbieter, es sei nicht immer klar, ob derjenige, der eine Gewerbeerlaubnis und die Sachkundeprüfung bestanden hat, auch tatsächlich im Einsatz ist: „Manchmal stellt der seinen Cousin in der Security-Jacke hin“, sagt ein Kenner. „Wachdienste, Türsteher, Muckibudenbetreiber – das sind mitunter die gleichen Leute, die im Rotlichtgewerbe aktiv sind.“ Im Gewerbe grassiere „Wildwuchs“, sagte Silke Wollmann vom Bundesverband der Sicherheitswirtschaft (BDSW). Zwar hätten die meisten der bundesweit 270 000 Objekt- und Veranstaltungsschützer die vierwöchige Basisausbildung absolviert, das reiche aber nicht immer: „Wir fordern für den Einsatz in Flüchtlingsheimen eine verbildliche, einheitliche Zusatzqualifikation.“

Obwohl aus einigen Quellen zu hören ist, dass die Prostitutionsvorwürfe stimmen könnten, gibt es Zweifel an Details des ZDF-Berichts. Holger Michel, Sprecher der Initiative „Freiwillige helfen im Rathaus Wilmersdorf“, sagt, in den wöchentlichen Treffen mit dem Bewohnerrat sei das Thema nie zur Sprache gekommen: „Wir wussten von nichts.“ Michel ist sich „so gut wie sicher“, dass die angeblich in Wilmersdorf tätige Sozialbetreuerin, die bei „Frontal 21“ von Geldübergaben erzählt, nicht zum Team gehöre. Anders als die Zeugin hätten die zehn Sozialbetreuer „fast alle Migrationshintergrund“. Auch ein in der Notunterkunft lebender Flüchtling, der vor der Kamera von seiner Arbeit als Prostituierter erzählte, sei erkennbar andernorts gefilmt worden. Eine rückhaltlose Aufklärung durch den Senat, das Landesamt für Flüchtlinge, den Heimbetreiber und die Wachschutzfirma sei nötig. Polizei und Staatsanwaltschaft seien informiert, teilte die ASB Nothilfe mit. Die Ermittlungen wolle man „in jeder Weise unterstützen“ und – „falls sich der Verdacht erhärtet“ – Konsequenzen ziehen.

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