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Brandenburg: Nur auf dem Papier eingeschult Dennis-Prozess: Schulamt reagierte nicht

Cottbus – „Wer setzt im Land Brandenburg letztlich die Schulpflicht durch?“ Es war eine kurze, einfache Frage, die Verteidiger Hans-J.

Cottbus – „Wer setzt im Land Brandenburg letztlich die Schulpflicht durch?“ Es war eine kurze, einfache Frage, die Verteidiger Hans-J. Kelleners dem Chef des Cottbuser Schulamts stellte – doch dieser konnte sie nicht beantworten. Der 55-jährige Behördenleiter sagte am gestrigen Mittwoch als Zeuge vor dem Cottbuser Landgericht aus, wo sich derzeit die 44-jährige Angelika B. und ihr 38-jähriger Ehemann Falk wegen Totschlags und Misshandlung Schutzbefohlener verantworten müssen. Wie berichtet, sollen sie ihren Sohn Dennis mehrere Jahre lang so vernachlässigt zu haben, dass er 2001 im Alter von sechs Jahren an Auszehrung starb. Danach versteckte Angelika B. das Kind in ihrer Tiefkühltruhe, wo es erst im Juni 2004 entdeckt wurde.

Die Zeugenaussage des Schulamtsleiter war mit großer Spannung erwartet worden, weil sich während der vergangenen sechs Prozesstage unter anderem auch herausstellte, dass Dennis möglicherweise noch leben könnte, wenn die zuständigen Behörden auf die Einhaltung der gesetzlichen Schulpflicht bestanden hätten. Der Schulamtsleiter bestätigte gestern, dass Dennis im Jahr 2001 hätte eingeschult werden müssen. Er stritt auch nicht ab, dass die Leiterin der Grundschule, in die der Junge hätte gehen müssen, sein Amt mit zwei Schreiben darauf aufmerksam gemacht hatte, dass die angeklagten Eltern den Jungen nicht anmeldeten und auf Schreiben der Schule nicht reagierten. Auf die Frage, was das Schulamt daraufhin unternommen habe, antwortete der Behördenleiter: „Der zuständige Schulrat hat überprüft, ob gegen die Eltern ein Zwangs- oder Bußgeld verhängt werden soll. Da es sich aber um Sozialhilfeempfänger handelte, erschien ihm dies als nicht durchsetzbar.“ Weitere Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung der Schulpflicht stünden seinem Amt nicht zur Verfügung, sage der Schulamtsleiter. So wurde hingenommen, dass Dennis der Schule fern blieb. Ein ganzes Jahr passierte nichts.

Weder wurde beim Jugendamt nachgefragt noch beim Gesundheitsamt, das für die Durchführung der Einschulungsuntersuchung verantwortlich ist. Wäre diese im vorgeschriebenen Zeitraum, also im Frühjahr 2001, erfolgt, hätte – darüber sind sich Prozessbeobachter einig – der schlechte Zustand des Jungen nicht verborgen bleiben können. Der Schulamtsleiter stellte jetzt vor Gericht lediglich fest, dass seine Mitarbeiter keine gravierenden Fehler begangen hätten. Auch nicht, als Dennis ein Jahr später zumindest auf dem Papier eingeschult wurde, obwohl ihn niemand zu Gesicht bekommen hatte und die vorgeschriebene ärztliche Einschulungsuntersuchung nicht erfolgt war. Wie auch. Da lag die Leiche des kleinen Jungen schon längst in der Tiefkühltruhe. Sandra Dassler

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