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Wieder aufgetaucht. Die fraglichen Akten waren wohl falsch einsortiert.

© dpa

NSU-Untersuchungsausschuss in Brandenburg: Ministerium findet Akten zu Ex-V-Mann "Piatto"

Skandalöse Akten-Vernichtung und ein verspäteter, vielversprechender Fund

Potsdam/Berlin - Für die Linke ist der Vorgang höchstpeinlich. Ausgerechnet im Zuständigkeitsbereich des von Ministern der Partei geführten Justizressorts sind Akten zu dem früheren V-Mann Carsten Szczepanski alias „Piatto“ gefunden worden. Dabei kann man dem ersten Justizminister der Linke, Volkmar Schöneburg, keineswegs vorwerfen, er habe die Aufklärung der Verwicklungen Brandenburgs in den Skandal um das Neonazi-Trio NSU behindert. Ganz im Gegenteil. Während das SPD-geführte Innenministerium stets eher als Blockierer erschien, war es Schöneburg in seiner Zeit als Minister, der selbst auf Aktensuche ging und die Funde an den Untersuchungsausschuss weiterleitete.

Das Agieren des Verfassungsschutzes beim V-Mann "Piatto" im Zwielicht

Nur eine Akte bekam er damals offenbar nicht zu Gesicht. „Rechtsextremismus im brandenburgischen Vollzug“ steht darauf. Darin enthalten sind Unterlagen zu Carsten Szczepanski. Kenner der NSU-Komplexes dürften allein beim Titel hellhörig werden. Denn bislang sind darüber nur Bruchstücke bekannt – und schon allein die lassen das Agieren des Verfassungsschutzes beim V-Mann „Piatto“ im Zwielicht erscheinen. In einem Vermerk an das Innenressort begründete das Justizministerium, warum es erst jetzt auf die Akte gestoßen sei: „Mangels Datenverknüpfung mit dem Namen Carsten Szczepanski im hiesigen Registraturprogramm wurde dieser bei der ursprünglichen intensiven Recherche nicht aufgefunden.“ Das mag erstaunen.

Die Grünen-Obfrau im NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags Brandenburg, Ursula Nonnemacher, sagte: „Mir ist es unerklärlich, dass Akten zu rechtsextremistischen Umtrieben im Strafvollzug nicht generell ausgewertet worden sind. Schließlich ging es im Rahmen der NSU-Aufklärung immer wieder um die Machenschaften von Szczepanski und anderen Rechtsextremisten im Strafvollzug.“ Als Beispiel nannte sie das Neonazi-Heft „Der weisse Wolf“, das als Rundbrief für inhaftierte Neonazis zunächst in der Haftanstalt Brandenburg/Havel gestartet war und in dem später ein Dank an den NSU abgedruckt war.

V-Mann steuerte aus dem Gefängnis die Neonazi-Szene weiter

Bekannt ist, dass Szczepanski viele Freiheiten genoss und von den Behörden geschont wurde. Aus dem Knast heraus war er weiter aktiv, produzierte Magazine für die rechte Szene, steuerte als Führungsfigur weiter die Neonazi-Szene. Er war sogar gewarnt worden, für seine Beiträge doch bitte nicht seinen Klarnamen zu verwenden.

Und der Verdacht steht im Raum, dass „Piatto“, der 1995 wegen versuchten Mordes an einem Nigerianer zu acht Jahren Haft verurteilt worden war, sogar mithilfe des Verfassungsschutzes früher freikam. Als Freigänger und nach der Entlassung war „Piatto“ im direkten NSU-Umfeld tätig: als V-Mann, aber auch privat. Die neuen Akten könnten also Aufschluss darüber geben, wie weit das Schon-Programm der Brandenburger Behörden für Szczepanski ging, dessen Hinweise auf den untergetauchten NSU noch vor der Mordserie an griechischen und türkischen Unternehmern versickerten.

"Ohne besondere Sensibilisierug für ihre politisch-historische Bedeutung"

Noch weitaus peinlicher für die Linke ist allerdings, dass im Zuge der Suchaktion im Justizbereich die Vernichtung von Akten zu Szczepanski festgestellt wurde. Das Justiz- schrieb deshalb an das Innenressort: „Dass die Akten nicht zugunsten ihrer Ablieferung an das Staatsarchiv von der Vernichtung ausgenommen wurden, ist wohl dem bedauerlichen Umstand geschuldet, dass sie offenbar ohne besondere Sensibilisierug für ihre politisch-historische Bedeutung in den normalen Geschäftsgang der Staatsanwaltschaften gelangt sind“, nachdem der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags sie zurück nach Brandenburg schickte.

Nun verteidigt sich auch Ex-Minister Schöneburg damit, dass zum Glück elektronische Kopien der Akten noch beim Bundestag für den dortigen Untersuchungsausschuss sind. Allerdings haben es alle Linke-Minister bis heute versäumt, wie der Verfassungsschutz im Innenministerium ein Vernichtungs-Moratorium zu erlassen. Wie sich nun zeigt, wäre das nötig gewesen – damit auch jeder Beamte weiß, dass Akten mit Bezug zum NSU nicht vernichtet werden dürfen. Andererseits, so formuliert es Schöneburg, hätte man angesichts der Brisanz des Themas auch eine entsprechende Sensibilität bei den Staatsanwaltschaften Potsdam und Frankfurt (Oder) erwarten können. Die gab es offenbar nicht. Eine Ministeriumssprecherin verwies darauf, dass eine eigene Sortierung der Akten bei der Vielzahl der Verfahren zu Rechtsextremismus in den politischen Abteilung gar nicht leistbar wäre.

Wer ist dafür verantwortlich?

Den Spott und die beißende Kritik bekommt das Justizministerium – aber auch die Linke – frei Haus. Der CDU-Obmann im Untersuchungsausschuss, Jan Redmann, sagte: „Ich weiß nicht was der größere Skandal ist, dass man wichtige Akten schreddert oder dass man im Justizministerium versucht, das Ganze noch zu rechtfertigen.“ Es müsse geklärt werden, wer dafür verantwortlich ist und ob weitere relevante Aktenbestände vernichtet worden sind. Ähnlich äußerte sich Grünen-Obfrau Nonnemacher. „Die Aktenvernichtung fügt sich auf ungute Weise in den bisherigen Umgang der rot-roten Landesregierung mit dem Thema NSU ein“, sagte sie und erinnerte an die Blockaden des NSU-Prozesses in München. Nonnemacher forderte einen umfassenden Aktenvernichtungs-Stopp für den Rechtsextremismus-Bereich. Das hätte spätestens im Sommer 2012 auf die entsprechende Bitte des Bundestags-Untersuchungsausschusses hin geschehen müssen.

Redmann nahm vor allem die Linke ins Visier: „Das Versagen linker Justizpolitik zeigt sich dieser Tage auf ganzer Linie“, sagte er. „Auf ihrem Parteitag beschließen die Linken 2015, den NSU-Komplex im Landtag aufzuarbeiten und der linke Justizminister lässt zu, dass entscheidende Akten vernichtet werden.“ 

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