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NSU-Untersuchungsausschuss Brandenburg: Der Neonazi Sven Sch. - de facto Informant

Der Brandenburgs NSU-Untersuchungsausschuss zeigt, wie die Polizei zur Jahrtausendwende einer Neonazi-Größe beim Aufbau eines Szene-Versandhandels half. Es blieb nicht die einzige absurde Erkenntnis.

Potsdam - Das Brandenburger Landeskriminalamt hat zur Jahrtausendwende einem Neonazi, einer bekannten Szenegröße aus dem Raum Potsdam, geholfen, einen rechten Szeneversand für Musik aufzubauen, um damit gute Geschäfte zu machen. Das wurde am Freitag im NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags deutlich. Aber offenbar ist es nur die Spitze des Eisbergs. Tatsächlich offenbarte sich, wie es Linke-Obmann Volkmar Schöneburg nannte, ein „Agieren in der Grauzone“.

Zunächst ging es um Sven Sch. Der wurde vom Untersuchungsausschuss im Geheimschutzraum vernommen, viel gebracht hat es dem Vernehmen nach nicht. Der Mann weiß, wie er sich und andere schützen kann, hieß es. Damals, zur Jahrtausendwende, stand er im Visier der Ermittler. Nicht nur im Zusammenhang mit den am Ende erfolglosen Ermittlungen gegen die „Nationale Bewegung“ nach einer Reihe von Attacken, die im Januar 2001 in dem Brandanschlag auf die jüdische Trauerhalle in Potsdam gipfelte. Sondern auch wegen rechtsextremer Musik und im Zusammenhang mit dem Verbot des rechtsextremen Netzwerks „Blood & Honour“ im Herbst 2000 – denn Sven Sch. gehörte einst zur Führungsriege. Zudem war es Sch., an den über einen V-Mann des Verfassungsschutzes eine geplante Razzia gegen die „Nationale Bewegung“ Anfang 2001 durchgestochen worden war.

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Offenbar pflegte die Polizei ein enges Verhältnis zu Sven Sch. So bestätigte der LKA-Beamte Michael K., den Neonazi mehrfach vernommen zu haben. Demnach sei Sch. genervt gewesen von den wiederholten Durchsuchungen und fragte deshalb bei der Polizei um Rat: So legte Sch. seinen CD-Katalog vor und holte sich Hinweise, was noch strafrechtlich zulässig, noch keine Volksverhetzung sei. „Er war in der rechten Szene sehr verhaftet und wollte einen legalen Musikversand aufbauen, mit Devotionalien, die strafrechtlich unbelastet sind, so dass er davon leben konnte“, sagte K. „Er hat uns seine Broschüren vorgelegt, seine Sachen gezeigt und uns gefragt, welche Sachen indizierungswürdig sind. Eine Straftat weniger, so war damals unser Denken.“

Damit hatte Sch. durchaus Erfolg: Er machte – so geht es aus dem Ausschussakten hervor – bis zu 140 000 D-Mark Umsatz im Jahr mit Vertrieb von rechten Musik-CDs und anderen Szenedevotionalien. Im Ausschuss warf das einige Fragen auf, Schöneburg sprach von Rechtsberatung für einen Straftäter. K. verteidigte sich: „Wir haben gefahrenabwehrrechtlich gehandelt, um Straftaten zu verhindern.“ Und die Informationen, die Sch. geliefert haben, auch wenn es keine "Top-Informationen" gewesen wären, hätten zu einige Ermittlungsansätzen geführt.

SPD und Linke im Ausschuss vermuten, dass Sch. der Polizei als Informant gedient hatte. Dass verneinte der LKA-Beamte K. Der Neonazi habe nicht zu extremer Gewalt geneigt, sei aber ideologisch gefestigt gewesen, obendrein einer, „mit dem man reden konnte, der sich Sachen sagen ließ“. Und Staatsschützer K. wollte den CD-Handel, „diesen Sumpf“ trocken legen, „zumindest bei dieser Person“. Die Ermittlungen gegen Sch. selbst seien durch die Kooperation nicht beeinflusst worden, es habe keine Absprachen gegeben. Auch Jürgen W., damals Staatsschutz-Leiter im Polizeipräsidium Potsdam sagte, Sch. habe nicht viel von den erwarteten Informationen über die rechte Musikszene geliefert. „Das hat sich schnell erledigt.“

Das PNN-Dossier zum NSU-Untersuchungsausschuss - hier

Und dennoch hat es regen Kontakt gegeben – zwischen Sch. und einem LKA-Experten für rechte Musik. 16 Treffen sind dokumentiert, auch Telefonate gab es. Roger Höppner, damals Vize-Präsident des zu dieser Zeit für West-Brandenburg zuständigen Polizeipräsidiums Potsdam, heute des Landes-Präsidiums, soll nach Angaben des Ausschusses 2003 vermerkt haben: Juristisch sei Sch. kein Informant der Polizei gewesen sein, de facto war er es. Der Ausschuss fand sogar in den Akten Überlegungen, Sch. als V-Mann führen zu können. Oder zu Gesprächen mit dem Verfassungsschutz - etwa mit dem Führungsmann des V-Manns, der die Razzia durchgestochen hatte - über eine Anwerbung. Und dann sogar zu einem abgehörten Telefonat zwischen Neonazis über die Razzia, bei dem einer sagte, hoffentlich bekomme W. jetzt keinen Ärger. Oder zu einer Geburtstagsgrußkarte des LKA-Musikexperten an Sven Sch. Die Grünen-Abgeordnete Marie-Luise von Halem machte schließlich publik, dass der Vater eines Neonazis, dessen Wohnung im Verfahren zur "Nationalen Bewegung" durchsucht wurde, in der aber nichts gefunden wurde, Beamter in der mit der Razzia befassten Bereitschaftspolizei in Potsdam-Eiche war.  Alles nur Zufall?

Der CDU-Innenexperte Björn Lakenmacher, selbst Kriminalist, äußerte zwar grundsätzlich Verständnis, dass die Polizei bei der Beratung zur Neonazi-Musik von Sven Sch. Straftaten präventiv verhindern wollte. Statt Schwarz-Weiß-Denken und dem Risiko, Rechtsextremismus zu unterstützen, sei aber künftig eine bessere Folgenabschätzung angebracht. Der Ausschuss müsse nun den damaligen LKA-Musikexperten vernehmen. AfD-Obmann Andreas Galau fragte sich, wer wen abgeschöpft habe, ob nicht Sch. mehr Informationen von der Polizei erhalten habe. 

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Auch der Umgang der Polizei mit anderen Szenegrößen warf bei Linke-Obmann Schöneburg Fragen auf: Etwa zum Waffenfund im Sommer 2000 bei dem Potsdamer Neonazi Uwe Menzel. Bei ihm war eine Pistole gefunden worden, eine Ceska. Auch  der NSU hat wenig später  beim ersten Mord an einem türkischen Kleinunternehmer in Nürnberg im September 2000 eine Ceska benutzt. Einen Zusammenhang stellten Brandenburger Ermittler aber nicht her, Terror-Ermittlungen gab es nicht. Auch aufgetauchte Verbindungen zum NSU-Helferkreis in Sachsen lösten nichts aus. Stattdessen sei, so der im Ausschuss erhobene Vorwurf, Menzel bei Vernehmungen zur „Nationalen Bewegung“ – laut Schöneburg eher eine Sachverständigenanhörung – Anfang 2001 sogar mit Ermittlungserkenntnissen versorgt worden. Es passierte auch nichts, als im Verfahren Carsten Szczepanski auftauchte, der unter dem Decknamen „Piatto“ für den Brandenburger Verfassungsschutz im NSU-Umfeld in Sachsen spitzelte und an Waffen-Deals beteiligt war.

Mit „Piatto“ und den Verfehlungen der Brandenburger Behörden beim Umgang mit Hinweisen zum NSU befasst sich der Ausschuss ab November. Am 6. November wird der Komplex „Nationale Bewegung“ mit Vernehmungen abgeschlossen. Danach wird es auch um einen Beamten des Staatsschutzes gehen, der damals im Jahr 2000 mit allem befasst war. Bei einer Razzia im Jahr 2003 in seiner Wohnung wegen Verdachts auf Unterschlagung fanden Ermittler Hitlerbücher, rechte Musik und Fotos, darauf der Beamte: mit Hitlergruß. 

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