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Brandenburg: NSU-Prozess: „Piatto“ darf doch aussagen Innenministerium zieht Sperrvermerk zurück

Potsdam/München - Offiziell ist im brandenburgischen Innenministerium von einem normalen Verfahren die Rede. Doch tatsächlich beugte es sich dem Oberlandesgericht (OLG) München – es hob den Sperrvermerk für den früheren Neonazis Carsten Sz.

Potsdam/München - Offiziell ist im brandenburgischen Innenministerium von einem normalen Verfahren die Rede. Doch tatsächlich beugte es sich dem Oberlandesgericht (OLG) München – es hob den Sperrvermerk für den früheren Neonazis Carsten Sz., der als V-Mann des brandenburgischen Verfassungsschutzes von 1994 bis 2000 unter dem Decknamen „Piatto“ tätig war, auf. Die bisherigen Einschränkungen der Aussagegenehmigung seien hinfällig, teilte das Ministerium am Mittwoch mit. Es werde nach Hinweisen des OLG davon ausgegangen, dass „ein hinreichender Schutz des Zeugen auch vor Ort gewährleistet werden kann“, erklärte Innenminister Ralf Holzschuher (SPD).

Der Konflikt um die Aussage von Carsten Sz. hatte sich in der vergangenen Woche angebahnt. Der Strafsenat hatte den Ex-V-Mann auf Antrag von Opferanwälten für kommenden Dienstag geladen. Doch das Innenministerium wollte die Zeugenvernehmung mit einem Sperrvermerk einschränken. Wegen der anhaltenden Gefährdung und drohender Racheakte befinden sich Sz. und seine Familie im Zeugenschutzprogramm der Polizei. Aus Sorge, seine neue Identität und der geheim gehaltene Wohnort könnten im Prozess publik werden, verlangte das Innenministerium den Ausschluss der Öffentlichkeit von der Verhandlung. Zudem sollte „Piatto“ nur per Videostream von einem geheimen Ort vernommen werden dürfen. Doch selbst der Bundesanwaltschaft war das zu viel. Auf Antrag der Opferanwälte sollte der Strafsenat dann beim Innenministerium darauf hinwirken, dass Carsten Sz. „unter geeigneten Zeugenschutzmaßnahmen in öffentlicher Hauptverhandlung unter persönlicher Anwesenheit im hiesigen Verhandlungssaal vernommen werden kann“.

Für seine harte Haltung musste das Innenministerium sich harte Kritik anhören. Opferanwälte sprachen von einem „Akt der Sabotage“. Die Linke in Brandenburg, die kurz vor Abschluss des Koalitionsvertrages mit der SPD steht, mahnte, Brandenburg stehe in der Verantwortung, die Aufklärung der Mordserie des Neonazi-Terrortrios NSU uneingeschränkt zu unterstützen. Die Grünen nannten den Sperrvermerk des Ministeriums unverhältnismäßig. Zudem wurde der Verdacht geäußert, dass Ministerium wolle die Rolle der Behörden in Brandenburg im NSU-Komplex und Versäumnisse beim vielfach kritisierten Umgang mit „Piatto“ vertuschen.

„Piatto“ hatte Brandenburgs Verfassungsschutz im Spätsommer 1998 einen der wenigen Hinweise bundesweit über das im Januar 1998 untergetauchte Terrortrio gegeben, und dass die Neonazis sich Waffen besorgen wollten. Die Hinweise waren aber versickert. Zudem mauerte der Verfassungsschutz bei ihrer Verwertung in Sachsen und Thüringen. Platziert war „Piatto“ bei einem Neonazi-Versand in Sachsen im direkten Umfeld des NSU-Terrortrios, als dieses 1998 im Raum Chemnitz untertauchte – also vor der Mordserie. Nicht geklärt ist, welche Rolle er bei der Waffenbeschaffung für den NSU gespielt hat. Auch die Umstände seiner Anwerbung im Knast 1994 und seiner vorzeitigen Entlassung aus der Haft wegen Mordversuchs an einem Nigerianer sind dubios. Der Verdacht besteht, dass der Verfassungsschutz die Justiz täuschte.

Immerhin sah sich Innenminister Holzschuher genötigt, sich selbst zu Wort zu melden. Er wies den Verdacht zurück, dass eine Aussage des Ex-V-Mannes verhindert werden sollte. „Es ging von Anfang an darum, die Aussage des Zeugen vor Gericht zu ermöglichen, und nicht darum, sie zu verhindern“, sagte er. „Anderslautende Unterstellungen aus dem politischen Raum“ nannte er „vollkommen haltlos“. Brandenburg wirke „aktiv an der Aufklärung mit und habe nichts zu verschweigen“OLG MÜNCHEN]. Doch daran haben Kritiker Zweifel, auch der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages hatte deutliche Kritik geäußert. Alexander Fröhlich

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