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NSU-Ausschuss in Potsdam: Märkische Abgründe

NSU-Untersuchungsausschuss im Brandenburger Landtag enthüllt weitere Missstände im Vorgehen gegen Rechtsextremismus: Politik unterdrückte Ermittlungen gegen LKA-Chef, Neonazi „Piatto“ durfte in der JVA alles.

Potsdam - Brandenburger Abwege: Sie sind typisch für den NSU-Untersuchungsausschuss in Landtag. Auch am Freitag wieder bekam dort – wie in jeder Sitzung – der offizielle Mythos einen Riss. Nämlich der, dass im seit 1990 SPD-regierten Brandenburg Politik, Behörden und Justiz Rechtsextremismus konsequent bekämpft haben. Im Gegensatz zu Sachsen, wie es etwa der verstorbene Ex-Generalsekretär Klaus Ness betont hatte. Davon bleibt immer weniger übrig.

Es ging wieder einmal um den kriminellen Neonazi-Kopf Carsten Szczepanski, der ab 1994 unter dem Decknamen „Piatto“ für den Landesverfassungsschutz V-Mann war. Er verbüßte damals in der Justizvollzugsanstalt Brandenburg an der Havel eine Haftstrafe, verurteilt zu acht Jahren, nachdem am 8. Mai 1992 eine Meute junger Neonazis – er war ein Anführer – in Wendisch-Rietz einen nigerianischen Asylbewerber fast ertränkt hatte. Wie berichtet gibt es bereits den begründeten Verdacht, dass Szczepanski da bereits V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz oder eines anderen Nachrichtendienstes war.

"Piatto" durfte om offenen Vollzug ein Praktikum in einem Neonazi-Laden machen, der JVA-Abteilungsleiter wusste von nichts

Szczepanski, 1995 verurteilt, seit 1994 schon „Piatto“, war ab 1998 im offenen Vollzug. Er durfte am Tage raus. Zuständiger JVA-Abteilungsleiter war Gerhard Krüger. Als Zeuge wurde nun der 68-Jährige damit konfrontiert, dass Szczepanski damals ein Praktikum machen durfte – in einem rechten Devotionalienladen in Limbach-Oberfrohna in Sachsen, mindestens drei Autostunden entfernt. Krüger wusste das nach eigener Aussage nicht, konnte es sich nicht erklären, weil es allen Regeln und Vorschriften widerprach. Wem hätte es bekannt sein müssen? „In erster Linie mir“, antwortete er. Die JVA habe eigentlich, ehe Praktika genehmigt wurden, jeden Betrieb besucht.

Szczepanski hatte in der Zelle einen Computer, ein Handy. Und nach Aussagen früherer Mithäftlinge gab es bei ihm nie Kontrollen. Er hatte dort braune Literatur und verbotene Musik-CDs, etwa die „Zillertaler Türkenjäger“. Es sei gang und gäbe gewesen, dass diese Musik über die Flure schallte, so die Zeugen. Bedienstete hätten nie eingegriffen. Auch das konnte sich Krüger nicht erklären. Schon vorher hatte Brandenburgs Justiz seit 1992 diverse Verfahren gegen den Neonazi selbst wegen Delikten wie illegalem Sprengstoffbesitz eingestellt oder ins Leere laufen lassen. Betroffen sind aber nicht nur die Aufbaujahre unter Regierungschef Manfred Stolpe, sondern auch die Regierungszeit von Matthias Platzeck (beide SPD) ab 2002.

Keine Ermittlungen wegen Verrats einer geplanten Razzia? Auch das Platzeck-Kabinett befasste sich damit

Im NSU-Ausschuss wurde ein Fall bekannt: So hat die Justiz im Fall der „Nationalen Bewegung“, die etwa für den Brandanschlag auf die jüdische Trauerhalle in Potsdam 2001 verantwortlich war, Pannen der Sicherheitsbehörden gedeckt. Eine geplante Razzia war von einem Verfassungsschützer an einen V-Mann verraten worden, weshalb die Durchsuchungen vorgezogen werden mussten. Das Landeskriminalamt (LKA) hatte durch Abhörmaßnahmen von dem Verrat aus der Behörde erfahren – blieb aber untätig. Erst 2003 war der Geheimnisverrat aufgeflogen – durch Recherchen des Tagesspiegel.

Und jetzt wurde bekannt, dass eine Staatsanwältin in Potsdam deshalb gegen den damaligen LKA-Chef Axel Lüdders wegen Strafvereitelung ermitteln wollte. Innenminister war damals Jörg Schönbohm (CDU). Der Fall ging bis zu Generalsstaatsanwalt Erardo C. Rautenberg und dem damaligen Justizstaatssekretär Hans-Georg Kluge. Auf Druck von oben wurde die Staatsanwaltschaft gestoppt, es gab sogar eine Weisung an den Leitenden Oberstaatsanwalt Heinrich Junker. In einem Vermerk vom 1. August 2003 heißt es, Rautenberg wolle dafür sorgen, dass es keine offizielle Ermittlungen gibt. Sogar das Platzeck-Kabinett hat sich mit dem brisanten Fall befasst.

In einem als „non-paper“ deklarierten Vermerk für die Kabinettssitzung am 5. August 2003 stand explizit, wie das Verfahren unterdrückt werden sollte. Als „zu erwartendes Ergebnis“ wurde angekündigt: Gegen Lüdders werde gar nicht erst ermittelt. Der Generalstaatsanwalt prüfe zudem die vom Ministerium bereits „in Zweifel gezogene Selbstverständlichkeit“, mit der die Staatsanwaltschaft Potsdam den Tatverdacht angenommen habe. Zudem hieß es im Kabinettsvermerk, für Lüdders laufe der Vorgang in die „allergünstigste Richtung“, obwohl es „gut begründbare, deutlich ungünstigere Wege“ der Abwicklung gebe. Auch der V-Mann-Führer wurde verschont. Wegen Geheimnisverrats wurde allein der Mann verurteilt, zu dem die Razzia durchgestochen worden war: der V-Mann und Neonazi Christian K. 

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