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Brandenburg: Neun tote Babys: Anklage fordert lebenslange Haft für die Mutter Staatsanwältin plädiert auf Mord in acht Fällen – Sabine H. hätte Alternativen gehabt

Verteidiger sieht nur Totschlag durch Unterlassen

Von Sandra Dassler

Frankfurt (Oder) - Der vorletzte Verhandlungstag im Prozess um die neun toten Babys beginnt turbulent. Ein Zuschauer – wohl militanter Abtreibungsgegner – beschimpft das Landgericht als „heuchlerisch“: „Wer kümmert sich um die Tausende von Kindern, die jedes Jahr im Mutterleib getötet werden?“ Der kräftige Mann muss von mehreren Beamten aus dem Saal gebracht werden. „Sabine, besorg’ Dir schon mal ’ne Bibel“ ruft er der 40-jährigen Frau auf der Anklagebank zu.

Die nimmt es gelassen. Doch nachdem die Staatsanwältin Anette Bargenda ihr Plädoyer beendet hat, ist ihr der Schock deutlich anzusehen. Ihre Schwester im Zuschauersaal schluchzt fassungslos in ihr Taschentuch, ein früherer Lebensgefährte der Angeklagten sackt regelrecht in sich zusammen. Für viele überraschend fordert die Staatsanwältin eine lebenslange Freiheitsstrafe für Sabine H. – wegen achtfachen Mordes an ihren zwischen 1992 und 1998 geborenen Kindern.

Die Anklagevertreterin sieht es als erwiesen an, dass Sabine H. die Taten beging, um die jeweils vorangegangenen Tötungen von Neugeborenen zu verdecken. Deshalb müsse man auch den Fall von 1988 mit einbeziehen, der eigentlich verjährt ist. Damals hatte Sabine H. nach eigenen Angaben bei der polizeilichen Vernehmung ihr viertes Kind heimlich auf der Toilette zur Welt gebracht. Weil ihr Ehemann nach den drei 1984, 1985 und 1986 geborenen Kindern kein weiteres Baby haben wollte, verschwieg sie ihm die Schwangerschaft. Das Kind sei nach der Geburt offenbar in der Toilette ertrunken, erzählte Sabine H. dem Vernehmungsbeamten. Sie sei in Ohnmacht gefallen und als sie erwachte, habe sie das bereits tote Kind in ein Handtuch gewickelt und es später in einem Pflanzgefäß auf dem Balkon vergraben.

Insgesamt neun Babyleichen waren im vergangenen Sommer auf dem Grundstück der Eltern von Sabine H. in Brieskow-Finkenheerd gefunden worden. Sie lagen in zu Pflanz- und Blumengefäßen umfunktionierten Aquarien, Eimern und in einer Kinderbadewanne. Eines der Babys müsse zwischenzeitlich in einer Tiefkühltruhe aufbewahrt worden sein, folgerte die Staatsanwältin gestern aus den Aussagen von Sachverständigen.

Die Angeklagte, die im gesamten Prozess schwieg, hatte nach anfänglichem Leugnen bei der polizeilichen Vernehmung zugegeben, für den Tod der Babys verantwortlich zu sein. Sie konnte sich aber nur an den verjährten Fall von 1988 und an eine Geburt in Goslar im Jahr 1992 erinnern. Da hatte sie während eines Lehrgangs in einer Pension einen kleinen Jungen zur Welt gebracht. Weil eine Kollegin dazukam, habe sie „reflexartig“ eine Decke über das Kind geworfen, später seinen Tod festgestellt und dann ebenfalls auf dem Balkon vergraben.

Für ihren Verteidiger Matthias Schöneburg ist dies der einzige Fall, für den Sabine H. verurteilt werden kann. Bei den Säuglingen seien weder Todesursache noch Todeszeitpunkt nachzuweisen, sagte er in seinem Plädoyer. Man habe nicht einmal feststellen können, ob die Kinder lebend zur Welt kamen. Deshalb sei Sabine H. in sieben Fällen freizusprechen. Lediglich für das Geschehen in Goslar könne sie wegen Totschlags durch Unterlassen verurteilt werden. Weil sie sich im psychologischen Ausnahmezustand befunden habe und außerdem ihre Aussage über den Goslarer Fall bei der Polizei eine Verurteilung erst ermögliche, forderte er eine Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren. Den Antrag der Staatsanwaltschaft bezeichnete Anwalt Schöneburg als unverständlich. Das Gericht habe schließlich schon eine Anklage wegen Mordes nicht zugelassen und auch bislang nicht durch einen rechtlichen Hinweis erkennen lassen, dass auch eine Verurteilung wegen Mordes in Frage käme.

Für die Staatsanwältin steht aber fest, dass Sabine H. die Babys „routine- ja: serienmäßig“ tötete. Sie habe Angst gehabt, dass ihr Ehemann sie verlassen und die drei älteren Kinder mitnehmen werde. Nach der Tötung des ersten Babys befürchtete sie, ein Arzt könne die vorangegangene Geburt bemerken und nach dem Kind fragen. Deshalb habe sie sich auch keine Verhütungsmittel verschreiben lassen und auch keinen Schwangerschaftsabbruch in Erwägung gezogen. Aber, sagte die Staatsanwältin, Sabine H. hätte trotzdem Alternativen gehabt: beispielsweise die Babys anonym zur Welt bringen und zur Adoption freizugeben: „Dann hätten diese neun Kinder ein Leben gehabt.“

Das Urteil soll morgen verkündet werden.

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