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Die Oderbrücke, illuminiert in den Farben der Doppelstadt, verbindet Frankfurt (Oder) und Slubice.

© Patrick Pleul/dpa

Neues Zukunftszentrum in Ostdeutschland: Frankfurt an der Oder gilt als Favorit

Brandenburg und Berlin unterstützen die Bewerbung von Frankfurt (Oder) für das Zukunftszentrum für Europäische Transformation und Deutsche Einheit. Die Stadt gilt als Favorit – auch wegen des Ukraine-Kriegs.

Potsdam/Frankfurt (Oder) - In der ersten Zeit nach Beginn von Putins Angriffskrieg kamen rund 10.000 Geflüchtete aus der Ukraine in Frankfurt (Oder) an. Tag für Tag. Inzwischen sind es rund 1000 Menschen täglich, die in der Oderstadt Schutz suchen, bleiben, weiterziehen, auf eine Rückkehr in ihre Heimat hoffen. Die Stadt, über die Oderbrücke mit dem polnischen Slubice verbunden, ist erste Anlaufstelle in Deutschland für viele Ukrainer. Genau hier, an Brandenburgs Tor zu Osteuropa, könnte es in sechs Jahren stehen: das Zukunftszentrum für Europäische Transformation und Deutsche Einheit, um das sich Frankfurter mit dem Slogan „Stadt der Brückenbauer“ bewirbt.  

Inzwischen wird die Stadt als Favoritin im Konkurrenzkampf mit ostdeutschen Städten wie Leipzig oder Magdeburg um die Großinvestition des Bundes in Höhe von 200 Millionen Euro gehandelt. Und das hat auch mit Frankfurts Nähe zur Ukraine zu tun. 

Der Blick richtet sich bauch auf Osteuropa 

Denn durch den Krieg in Europa und seine Folgen erhalten die Aufgaben des Zentrums, das nach einem Vorschlag der Einheitskommission unter Vorsitz des früheren brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD) von 2020 in Ostdeutschland gebaut werden soll, einen neuen Fokus. Das Zentrum soll Ort für Begegnung, Kultur und Forschung sein. Es soll die Erfahrungen der Ostdeutschen mit den tiefgreifenden Umbrüchen nach der Wiedervereinigung sichtbar und nutzbar machen. Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider (SPD), betonte, dass auch die Transformation in Mittel- und Osteuropa in den Blick genommen werden soll. „Diese Brücke aus Deutschland nach Mittel- und Osteuropa ist mir persönlich ein wichtiges Anliegen“, sagte Schneider, der die Standortentscheidung einer Kommission für die zweite Jahreshälfte und den Bau bis 2028 erwartet. 

„Der Umbruch im Osten beschränkte sich nicht ausschließlich auf die Montagsdemonstrationen, sondern in Osteuropa bröckelte der Eiserne Vorgang zuerst“, sagt auch Brandenburgs Wissenschaftsministerin Manja Schüle (SPD), die nicht müde wird zu betonen, dass Frankfurt (Oder) das Transformationszentrum bekommen müsse. Es gebe keinen besseren Ort dafür, sagt Schüle, die selbst in Frankfurt geboren und aufgewachsen ist. Der verbrecherische Krieg Russlands gegen die Ukraine zeige, „wie verflochten wir mittlerweile mit den Nachbarn in Mittel- und Osteuropa, wie verbunden wir den Menschen in der Ukraine, in Polen, aber auch den baltischen Staaten sind“, sagt die SPD-Politikerin.  

Ukrainistik-Lehrstuhl an der Viadrina 

Frankfurt lebe diese Verflechtung, menschlich, kulturell, wissenschaftlich. So ist Brandenburg das einzige Bundesland mit Ukrainistik-Lehrstühlen an der Uni Potsdam und an der Frankfurter Europa-Universität Viadrina, die bei der Bewerbung eine Schlüsselrolle spielt. „An unserer Universität beschäftigen sich Forschende schon seit Jahren intensiv mit der Ukraine“, sagt Viadrina-Präsidentin Julia von Blumenthal, die im Oktober zur Berliner Humboldt-Universität wechselt. Das ausgeprägte Forschungsnetzwerk zu osteuropäischen Partnern könnte das neue Zentrum künftig nutzen.  

Frankfurt (Oder) mit seiner Brücke nach Osteuropa habe eine sehr gute Chance gegen Städte wie Leipzig, ist auch Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) überzeugt. „Das Zentrum wird ja vor allem gebraucht, um für die Zukunft Schlussfolgerungen zu ziehen, ob für die klimaneutrale Transformation, die Weiterentwicklung der Europäischen Union oder Gesellschaftsmodelle. Es ist nicht intendiert: Wir machen nur einen Rückblick, zeigen ein paar Bilder von den Montagsdemos und diskutieren darüber“, sagte Woidke dieser Zeitung.  

Zwei Bundesländer unterstützen die Bewerbung 

Weiteres Alleinstellungsmerkmal von Frankfurt: Die Bewerbung wird von zwei Bundesländern unterstützt. Bei einer gemeinsamen Kabinettssitzung von Brandenburg und Berlin Ende März in der Oderstadt haben sich die Nachbarn dazu bekannt. „Anderswo gibt es drei Städte und ein Land, das sich nicht traut, sich für eine Bewerbung auszusprechen“, so Woidke. 

Ihre Geburtsstadt Frankfurt (Oder) sei ein optimaler Standort für das Zentrum, betont auch Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) auf der Unterstützerseite im Internet. Damit könne „ ein starkes Zeichen für die gesamte Region Berlin-Brandenburg gesetzt werden“. Kultursenator und Bürgermeister Klaus Lederer (Linke) schreibt: „Ich habe einen Großteil meiner Kindheit und Jugend in Frankfurt (Oder) verbracht, kannte als Junge jeden Baum und jeden Strauch.“ Die Stadt habe in den letzten 30 Jahren viele Brüche erlebt und sei heute weltoffene Stadt zwischen Ost- und Westeuropa. 

Auch Umweltsenatorin und Bürgermeisterin Bettina Jarasch (Grüne) bekennt sich auf der Webseite zu Frankfurt – wie die Oberbürgermeister der drei weiteren kreisfreien Städte Potsdam, Cottbus und Brandenburg/Havel und mehrere Landräte, über Parteigrenzen hinweg. 

Schauspieler trommeln für die Bewerbung 

Nicht nur die Politik trommelt für Frankfurt. Slubice, der polnische Part der Doppelstadt, steht ohnehin fest an der Seite der Brandenburger Schwester. Die Bürgerschaft auf beiden Seiten der Oder, durch grenzübergreifende Veranstaltungen einbezogen, trägt die Bewerbung mit. Wissenschafts- und Wirtschaftseinrichtungen in Brandenburg und Berlin sowie Vertreter aus Sport, Gesellschaft und Kultur stärken die Stadt. Die Reihe der Unterstützer reicht vom Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Christian Stäblein, bis zu den Schauspielern Matthieu Carrière und Boris Aljinovic, dem früheren Berliner „Tatort“-Kommissar, oder der Travestiekünstlerin Lilo Wanders. 

Das wird wahrgenommen in anderen Bundesländern. „Plauen will sich im Duo mit Leipzig um den Sitz der neuen Institution bewerben. Doch eine andere Stadt im Osten wird bereits als Favorit gehandelt“, schreibt die Freie Presse in Sachsen. In Thüringen gehen Jena und Eisenach ins Rennen. „Als Favorit gilt Frankfurt an der Oder“, schätzt die Thüringer Allgemeine ein. „Frankfurt (Oder) gilt als der härteste Konkurrent“, heißt es in der Mitteldeutschen Zeitung aus Halle (Saale). 

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Direkt an der Stadtbrücke könnte das Zentrum gebaut werden 

Der Mann, der die Brücken zu den Partnern baut, ist Frankfurts Oberbürgermeister René Wilke. Vergangene Woche stellte der Linken-Politiker im Kulturausschuss des Landtags in Potsdam die Bewerbung vor. Für seine Stadt, die nach der Wende Flops wie die Chipfabrik-Pleite und den Wegzug vieler Einwohner verkraften musste, wäre der Zuschlag ein echter Coup. Jährlich eine Million internationale Besucher soll das Zentrum anlocken. 200 Arbeitsplätze sollen entstehen – positive Auswirkungen auf Hotellerie und Gastronomie nicht mitgezählt. 

Dennoch betont der frühere Landtagsabgeordnete selbstbewusst: „Frankfurt bewirbt sich nicht auf dieses Zentrum, weil wir es so dringend nötig haben.“ Die Stadt mit rund 58.000 Einwohnern sei seit Jahren auf einem guten Weg in die Zukunft. Der Schuldenberg, bei seinem Amtsantritt 2018 noch bei 120 Millionen Euro, sei mittlerweile auf 39 Millionen geschrumpft. Einen Standort für das Zentrum hat der 37-jährige Stadtchef bereits im Blick: direkt an der Brücke nach Slubice. Früher standen dort eine Kaufhalle, Wohnhäuser und die Grenzanlagen des Kalten Krieges. Heute ist dort eine Brache. „Es ist der europäischste Ort, den man in diesem Land bieten kann“, sagt Wilke. 

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