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Womöglich gab es weitaus mehr Todesopfer durch rechte Gewalt als offiziell bekannt.

© dpa

Neue Untersuchungen: Woidke: Mehr Opfer rechter Gewalt als bekannt

Brandenburgs Regierungschef Dietmar Woidke fordert Klarheit. Potsdamer Forscher untersuchen alte Tötungsdelikte auf einen rechtsextremistischen Hintergrund.

Potsdam – Noch lange vor Abschluss eigener Untersuchungen geht Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) davon aus, dass es in Brandenburg seit 1990 mehr Tötungsdelikte mit rechtsextremistischem Hintergrund gab als bislang in der offiziellen Polizeistatistik verzeichnet. „Ich bin fest davon überzeugt, dass wir wahrscheinlich eine deutlich höhere Rate an Opfern rechtsextremistischer Gewalt in Brandenburg haben, als sie heute offiziell bekannt ist“, sagte Woidke am Wochenende dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Nach dem Bekanntwerden der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) in Brandenburg hatte Woidke noch als Innenminister angeordnet, alle Tötungsdelikte seit 1990 auf einen rechtsextremistischen Hintergrund untersuchen zu lassen. Brandenburg war damit eines der ersten Bundesländer, das sich nach dem NSU-Skandal dazu entschieden hatte. Bislang sind in der amtlichen Statistik für die Jahre von 1990 bis 2011 neun Fälle offiziell als rechtsextremistisch motivierte Tötungsdelikte verzeichnet. Dem widersprechen jedoch Recherchen des „Tagesspiegel“, der „Zeit“ und des Vereins Opferperspektive. Demnach könnten es bis zu 33 Fälle sein, vor allem aus den Jahren bis 2000.

Das Innenministerium gab deshalb beim Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrum (MMZ) die Prüfung aller Fälle in Auftrag. Mit einem Ergebnis ist im Frühjahr 2015 zu rechnen, Zwischenergebnisse will das Innenministerium ausdrücklich nicht bekannt geben. Genaues könne zum gegenwärtigen Zeitpunkt aber noch nicht gesagt werden, sagte Woidke selbst. Dafür müsse die aktuelle Untersuchung abgewartet werden. Das im März gestartete Projekt, an dem neben Polizei und Justiz auch Vertreter der Opferperspektive, der Mobilen Beratungsteams sowie die Integrationsbeauftragte des Landes eingebunden sind, ist auf zwei Jahre ausgelegt.

Woidke räumte ein, dass in der Vergangenheit bei der Einordnung von Kriminalfällen rechtsextremistische Hintergründe „teilweise nicht so im Fokus standen, wie sie hätten stehen müssen“. Tatsächlich hatten Bund und Länder im Jahr 2001 die Kriterien für die Erfassung rechtsextremistischer Taten mit neuen Richtlinien geschärft. Erst seit 2001 werden rechtsextreme Taten als politisch motivierte Kriminalität eingestuft, wenn Menschen wegen ihrer politischen Haltung, gesellschaftlichen Stellung oder ihres Aussehens attackiert wurden und die Täter als rechtsextremistisch einzustufen sind. „Wir brauchen aber Klarheit darüber, wie viel menschliches Leid Rechtsextremismus hier in Brandenburg schon angerichtet hat.“ Woidke unterstrich: „Dieses Leid ist deutlich größer als das, was wir momentan offiziell wissen.“

Auch auf Bundesebene werden unter Führung des Bundeskriminalamtes 3 300 bislang ungeklärte versuchte oder vollendete Tötungsdelikte ohne Tatverdächtige aus den Jahren 1990 bis 2011 nochmals untersucht. In 746 Fällen mit 849 Opfern sind Anhaltspunkte für eine mögliche politische rechte Tatmotivation entdeckt worden. In Brandenburg hatte eine Prüfung durch das Landeskriminalamt 2012 ergeben, dass es hier keine ungeklärten versuchten oder vollendeten Tötungsdelikte ohne Tatverdächtige gibt.(mit epd)

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