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Anita Kirsten ist Chefin der Gewerkschaft der Polizei in Brandenburg.

© Ottmar Winter

Neue GdP-Chefin in Brandenburg: Weg vom Wachtmeister-Krause-Image

Anita Kirsten ist neue Landeschefin der Gewerkschaft der Polizei. Im Verhandeln hat die 41-Jährige viel Erfahrung. 

Potsdam - Verhandeln, überzeugen. Mit Fingerspitzengefühl und nicht mit Lautstärke. Die richtigen Worte finden in angespannten Situationen. Anita Kirsten, die neue Landeschefin der Gewerkschaft der Polizei (GdP), hat das gelernt. Die Polizistin arbeitete als Verhaltens- und Kommunikationstrainerin an der Hochschule der Polizei in Oranienburg. Sie war Mitglied der Verhandlungsgruppe der Polizei, die zum Einsatz kommt bei Entführungen, angekündigten Suiziden, Gefahrenlagen. So wie im Oktober 2019 an der Raststätte Michendorf am südlichen Berliner Autobahnring. 

Ein Mann, Gewehr im Anschlag, erklärte, dass seine Waffe scharf sei, er zudem einen Sprengstoffgürtel umgebunden habe und beabsichtige, viele Menschen zu töten. Die Verhandlungsgruppe nahm Kontakt zu dem Mann auf. Nach mehreren Stunden konnte er überwältigt werden. 

Sie ist die Nachfolgerin von Andreas Schuster 

„Sie kennt die Polizei und verfügt über die notwendige kommunikative und soziale Kompetenz“, sagte Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) anlässlich ihres Amtsantritts im Februar. Beim Landesdelegiertentag in Potsdam war die 41-jährige Hauptkommissarin mit überwältigender Mehrheit gewählt worden. 

Seit drei Monaten ist sie nun neue Chefin der einflussreichen Gewerkschaft. Rund 7500 Polizisten in Brandenburg sind in der GdP organisiert, das sind mehr als 70 Prozent der Belegschaft. Die erste Frau an der Spitze der GdP Brandenburg, wurde nach ihrer Wahl vielfach herausgestellt. Dabei hätte es besser geheißen: Erstmals überhaupt steht jemand anders an der Spitze der Gewerkschaft als Andreas Schuster.  

Andreas Schuster musste sein Amt aus gesundheitlichen Gründen aufgeben.
Andreas Schuster musste sein Amt aus gesundheitlichen Gründen aufgeben.

© promo

31 Jahre lang war Schuster Chef der Polizeigewerkschaft, bestens vernetzt, laut. Aus gesundheitlichen Gründen musste er sein Amt abgeben. Einen „streitbaren und kritischen Kopf mit Ecken und Kanten“ nannte Woidke Schuster. Woidke war selbst von 2010 bis 2013 Innenminister. In diese Zeit fällt auch die viel umstrittene Polizeireform. Sie zielte auf eine Reduzierung des Personalbestandes in der brandenburgischen Polizei von rund 8800 im Jahr 2010 auf 7000 bis Anfang 2020 ab. Auch dank Schuster wurde das abgewendet. Das Stellenziel sind nun 8500 Polizisten. Im Februar, bei Kirstens Amtsantritt, waren 8378 im Dienst. 

Kirsten will den Beruf attraktiver machen 

400 neue Polizeianwärter für den mittleren und gehobenen Dienst will das Land pro Jahr ausbilden. „Das ist im April nicht gelungen, es gab zu wenig Bewerber“, sagt Anita Kirsten. Und rund 20 Prozent der Anfänger brechen die Ausbildung wieder ab, weiß sie von ihrer Zeit an der Polizeihochschule, bei der sie zuletzt Personalrätin war. Seit April ist ihr Arbeitsplatz im Potsdamer Innenministerium. Sie ist hauptamtliche Vizevorsitzende des Hauptpersonalrats. Die Führung der GdP ist ein Ehrenamt. 

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Die Zielzahl 8500 sei vor einigen Jahren ermittelt worden, betont Kirsten. Unterdessen seien weitere Kriminalitätsphänomene hinzugekommen, die sich auch mehr und mehr ins Netz verlagern, wie Cybercrime, Hasskriminalität oder Gewaltdelikte gegenüber Politiker:innen, Polizist:innen und Menschen des öffentlichen Lebens. „Ist die Polizei der Landes Brandenburg sowohl personell als auch technisch gut darauf vorbereitet?“, stellt die Gewerkschaftschefin die entscheidende Frage. Die Kriminalitätsstatistik sei wichtig, könne aber nicht der Schlüssel zur Personalfindung sein. 

Für die 35-Stunden-Woche

Die Anforderungen an die Bewerber herunterzufahren, hält Kirsten für keine Lösung, um mehr Personal zu gewinnen – im Gegenteil. Eine solide Bildung, gute Deutschkenntnisse hält sie für Grundvoraussetzungen für angehende Polizisten. Wie also den Beruf attraktiver machen? „Indem man die Bedingungen verbessert“, sagt Kirsten. Sie meint damit nicht nur eine angemessene Bezahlung, sondern gute Ausstattung mit Technik, eine solide Ausbildung auch bezüglich Sozial- und Social-Media-Kompetenzen – und „eine gesündere Arbeitszeitgestaltung“. 

Eine 35-Stunden-Woche für Kollegen im Schichtdienst würde für Entlastung sorgen – und allen nutzen. Denn derzeit sei der Krankenstand vor allem im anstrengenden Wach- und Wechseldienst sehr hoch, liege bei weit über 30 Tagen im Jahr.  

Ein Problem sei derzeit auch die Altersstruktur der Brandenburger Polizei. Der Mittelbau, also Kirstens eigene Generation der 40- bis 50-Jährigen mit viel Erfahrung, aber Offenheit für Veränderungen, sei wegen zurückhaltender Einstellungspolitik in früheren Jahren unterrepräsentiert. 

Erste Station Bereitschaftspolizei 

Kirsten selbst ging 2001 zur Polizei, nachdem sie ein Jurastudium an der Berliner Humboldt-Uni nach kurzer Zeit wieder abgebrochen hatte. Es war nicht ganz das Richtige. Für Gerechtigkeit zu arbeiten, das sei ihr Anliegen gewesen. Bei der Polizei habe sie sich dafür an der passenderen Stelle gefühlt. Zwei Jahre war sie bei der Bereitschaftspolizei, dann wechselte sie in den Pressestab des Potsdamer Polizeipräsidiums bevor sie 2010 zur Polizeihochschule kam.  

Der Polizeiberuf sei unglaublich vielseitig, meint Kirsten. An der Außendarstellung müsse man arbeiten, um Bewerber für den Beruf zu begeistern. 

"Großstadtrevier" oder "Polizeiruf"? 

Der frühere Brandenburger „Polizeiruf“ habe, was die uniformierte Polizei angehe, der Sache keinen guten Dienst erwiesen. Polizeihauptmeister Horst Krause prägte das Bild des Brandenburger Bullen. Beleibt, gemütlich, ein bisschen dödelig. Viel besser, realistischer, sei da das Hamburger „Großstadtrevier“ mit dem inzwischen verstorbenen Jan Fedder als Polizist Dirk Matthies gewesen. 

Während eines Praktikums las Kirsten die Drehbücher, checkte deren Realitätsnähe. Die Polizei sei beim „Großstadtrevier“ immer als Berater hinzugezogen worden, als Komparsen wurden echte Polizisten eingesetzt. „Die wissen, wie man in einen Streifenwagen einsteigt, wie man sich bewegt“, sagt Kirsten. 

Im Fernsehen meist nie dargestellt: Die Anfeindungen, denen Polizisten zunehmend ausgesetzt sind, auch in Brandenburg. 2021 wurden pro Tag mehr als drei Fälle gezählt, bei denen Polizisten beleidigt, bespuckt oder angegriffen wurden. In Alltagssituationen, aber auch während Einsätzen bei Corona-Protesten. 

Verfassungstreue-Check und Polizeibeauftragten sieht sie skeptisch 

Auf der anderen Seite gibt es einzelne Fälle, die den Berufsstand in Misskredit bringen. 2021 beispielsweise soll sich ein Brandenburger Polizist mit einem Kollegen aus Mecklenburg-Vorpommern am Telefon über rechtsextreme Inhalte ausgetauscht haben. Gegen den Mann wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet. 

Den von Innenminister Michael Stübgen (CDU) angestrebten Verfassungstreue-Check für Polizisten sieht Kirsten trotzdem sehr kritisch. Durch so eine Überprüfung säe man Misstrauen gegenüber Polizisten, gehe die Wertschätzung verloren. Wenn schon, findet sie, dann müsste es so einen Check für alle Mitarbeiter im öffentlichen Dienst geben, beispielsweise auch für Lehrer. „Ein Lex Polizei darf es nicht geben“, sagt Kirsten. „Es ist unumgänglich für jeden im öffentlichen Dienst, mit beiden Beinen fest auf dem Grundgesetz zu stehen.“ 

Auch den geplanten, im Koalitionsvertrag festgeschrieben Einsatz eines Polizeibeauftragten in Brandenburg, der auch Ansprechpartner für die Bürger sein soll, sieht sie skeptisch. „Warum nicht einen Ansprechpartner für alle Probleme mit Behörden?“ 

Die menschliche Seite der Polizei 

Ihr Profilbild bei Facebook sagt viel darüber aus, wie Anita Kirsten den Beruf des Polizisten verstanden wissen will. Es zeigt sie halb in blauer Uniform und Polizeimütze mit streng zurückgebundenen Haaren, halb in weißer Bluse, die dunklen Haare über die Schulter fallend. „Auch Mensch. Polizei im Spannungsfeld“ steht darunter, auf der Bildseite mit Uniform bedrohlich dreinschauende Hooligans im Hintergrund, auf der privaten Seite ein Kinderspielplatz. 

Was nicht heißt, dass Anita Kirsten ihr Privatleben in die Öffentlichkeit tragen will. Sie ist mit einem Polizisten verheiratet, hat zwei Kinder, wohnt bei Oranienburg. Mehr, findet sie, muss man nicht wissen. Aber immer im Hinterkopf behalten, dass jeder Polizeibeamte, der im Job viel riskiert für die Allgemeinheit, eben auch eine private Seite hat.

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