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Brandenburg: Neue Fabriken am laufenden Band

Die Industrie hat die Logistik als Boom-Branche im Land abgelöst. Selbst in ländlichen Gegenden entstehen neue Werkshallen. Doch der Abstand zum Westen ist noch groß

Von Matthias Matern

Potsdam - Der Abstand zu den großen Wirtschaftsregionen in den alten Bundesländern ist immer noch gewaltig, doch auch Brandenburgs Industrie gewinnt an Fahrt. Im Vergleich der geplanten Investitionen hat das verarbeitende Gewerbe im Land im vergangenen Jahr sogar die bisherige Boom-Branche Logistik überholt. Das zumindest geht aus der aktuellen Jahresbilanz 2014 der brandenburgischen Wirtschaftsförderung, der Zukunftsagentur Brandenburg (ZAB), hervor.

Demnach war jede dritte Ansiedlung, die die ZAB im vergangenen Jahr betreute, ein Industrieprojekt. Jeder zweite Arbeitsplatz, der durch die geplanten Investitionen entsteht oder gesichert wird, entfällt auf das verarbeitenden Gewerbe. „2014 war ein starkes Industriejahr für Brandenburg. Quer durch alle Regionen haben wir Projekte betreut“, sagte der Geschäftsführer der Zukunftsagentur, Steffen Kammradt, am Donnerstag in Potsdam bei der Vorstellung des Jahresergebnisses.

Insgesamt betreute die ZAB den Angaben zufolge im vergangenen Jahr 487 Neuansiedlungen, Innovationsprojekte, Erweiterungsinvestitionen und Existenzgründungen – 71 weniger als im Jahr zuvor. Dafür verdoppelte sich die Summe der mit den Vorhaben verbundenen Investitionen vor allem dank der Industrie von 412 Millionen aus 824 Millionen Euro. Die Zahl der insgesamt damit verbundenen Arbeitsplätze blieb konstant bei 3023 Stellen. 96 Prozent aller Ansiedlungen – darunter auch Erweiterungen bereits ansässiger Unternehmen – seien in einem der acht brandenburgischen Cluster erfolgt, heißt es im ZAB-Jahresbericht. „Der Kurs, sich in der Wirtschaftsförderung auf die starken Branchen, also die Cluster, zu konzentrieren, zahlt sich in Wachstum und Beschäftigung aus. Das Jahresergebnis der ZAB spiegelt diese positive Entwicklung wider“, sagte Brandenburgs Wirtschaftsminister Albrecht Gerber (SPD).

Erstaunlich ist, dass sich erneut die Prignitz als attraktiver Industriestandort beweisen hat. In Wittenberge will der Stahlrohrhersteller MV Pipe Technologies GmbH für knapp 37 Millionen Euro ein Werk errichten. Durch die Investition der hundertprozentigen Tochter des deutschen Feuerlöscherherstellers Viking-Minimax GmbH sollen 66 neue Jobs in der Elbestadt entstehen. Erst im vergangenen Jahr hatte wie berichtet der österreichische Dämmstoff-Spezialist Austrotherm in Wittenberge seine Fabrik in Betrieb genommen. Bereits 2012 hatte das Unternehmen Prignitzer Chemie für rund 25 Millionen Euro sein Werk dort ausgebaut. „Drei Projekte also innerhalb von nur vier Jahren“, fasste Kammradt zusammen. Als weitere Beispiele für neue Industrieprojekte nannte der ZAB-Chef die geplante Erweiterung des Pharmaunternehmens Takeda in Oranienburg (Oberhavel) für knapp 100 Millionen Euro und die geplante Fabrik des Autositze-Produzenten Proseat in Schwarzheide (Oberspreewald-Lausitz). Erst vor wenigen Tagen weihte der Industriekonzern Siemens in Ludwigsfelde (Teltow-Fläming) sein 100 Millionen Euro teures Testzentrum für Gasturbinen ein.

Laut Gerber ist die Industrie sogar der „wesentliche Motor für Beschäftigung und Wachstum“ in Brandenburg. Im vergangenen Jahr konnte das verarbeitende Gewerbe laut Landesstatistikamt seinen Umsatz um 1,4 Prozent auf knapp 23 Milliarden Euro steigern.

Der ZAB zufolge gibt es im Land mehr als 1200 Industriebetriebe. Davon aber haben mehr als 60 Prozent weniger als 50 Mitarbeiter. 2013 betrug der Anteil der Bruttowertschöpfung der Industrie – also der Gesamtwert aller Waren und Dienstleistungen der Branche – am Bruttoinlandsprodukt des Landes gerade einmal knapp 14 Prozent. Im Bundesschnitt sind es 22 Prozent. In Baden-Württemberg sind es rund 35 Prozent und in Nordrhein-Westfalen knapp 30 Prozent. Auch beim Exportanteil hinkt die märkische Industrie nach wie vor weit hinter der des Westens hinterher.

Die Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB) fordern daher in einem Positionspapier, das sie vor der jüngsten Landtagswahl im September 2014 aufgelegt hatten, deutlich mehr Anstrengungen, um die Industrie weiter voranzubringen. Unter anderem müssten die Unternehmen noch mehr bei ihrer Ausrichtung auf internatinale Märkte unterstützt werden. Außerdem sollten im Wettbewerb um gute Fachkräfte die Leistungen der heimischen Industrie noch stärker bekannt und die Innovationskraft noch mehr gefördert werden, fordert der UVB.

Verstärkt widmen will sich Wirtschaftsminister Gerber unter anderem dem Fachkräftemangel, was seinem Eindruck nach das Dringlichste aus Sicht der Unternehmen sei. Wie berichtet suchen die Unternehmen in Brandenburg händeringend gut ausgebildete Mitarbeiter, vor allem in der Logistikbranche. Allein für den Bereich der Arbeitsagentur Potsdam wurden am gestrigen Donnerstag 40 Prozent offene Stellen gemeldet. Einer gemeinsamen Studie der Länder Berlin und Brandenburg zufolge wird für 2020 mit einem ungedeckten Fachkräftebedarf auf insgesamt 362 000 Stellen in der Region gerechnet. Die Landesregierung Brandenburgs will dem unter anderem mit einer verpflichtenden Berufsorientierung an den Schulen im Land begegnen und die Qualität der Schulabgänger durch bessere Bildungsbedingungen, sprich: mehr Lehrer, verbessern.

Vorantreiben will der Wirtschaftsminister aber auch die weitere Digitalisierung der Industrie. „Wir stehen vor einer weitreichenden Umwälzung. Und die heißt Industrie 4.0“, sagte Gerber am Donnerstag. Doch gerade für die überwiegend kleinen- und mittelständischen Unternehmen in Brandenburg ist die sogenannte „intelligente Fabrik“, in der einzelne Maschinen und Roboter dank IT-Technik lernen, miteinander zu kommunizieren und somit ohne Zeitverlust auf Fehler oder besondere Kundenwünsche zu reagieren, noch in weiter Ferne. Zusätzliche Kapazitäten, sich auf solchen Zukunftsfeldern zu engagieren, sind aufgrund der geringen Größe kaum vorhanden. Noch im ersten Halbjahr 2015 soll deshalb an der BTU Cottbus eine entsprechende Beratungsplattform eingerichtet werden.

Ein Vorhaben, das den Unternehmerverbänden gefallen dürfte. Denn „nur mit einer innovativen und wertschöpfungsstarken Industrie kann Brandenburg als Wirtschaftsstandort im Vergleich zu anderen Bundesländern weiter aufholen“, heißt es in ihrem Positionspapier.

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