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Nachwende-Skandal: Bodenreform-Affäre: Erbschleicher auf Erbensuche

Derzeit läuft die Aufarbeitung des größten Nachwende-Skandals: Das Land Brandenburg hatte sittenwidrig Zehntausende Bodenreform-Grundstücke gekapert. 3500 angeblich unauffindbare Erben wurden nun doch gefunden.

Potsdam - Die Bodenreform-Affäre um Tausende vom Land Brandenburg sittenwidrig angeeignete Grundstücke lässt die rot-rote Regierung nicht los: Finanzminister Christian Görke (Linke) präsentierte am Dienstag eine neue Zwischenbilanz, wie die Aufarbeitung dieses größten Skandals der Nachwendezeit im Land inzwischen vorankommt, nachdem der Bundesgerichtshof 2007 die staatliche Erbschleicherei Brandenburgs gestoppt hatte. Seit 2010 versucht das Land inzwischen, die rechtmäßigen Erben ausfindig zu machen und ihnen die Grundstücke zurückzugeben.

Nach der aktuellen Verlautbarung des Finanzministeriums konnten inzwischen in 3775 Fällen – es geht um 6700 Hektar – die Flächen an die Eigentümer oder deren Vertreter zurückgegeben werden, da nun doch die Erben der früheren Neubauern ausfindig gemacht wurden. Damit ist etwa ein Drittel der Fälle geklärt. Es sei, so hieß es in der Pressemitteilung, ein „stetiger Anstieg der Rückgaben“ zu verzeichnen. Allein seit 2015 konnten damit rund 1700 Fälle wiedergutgemacht, 2500 Hektar an die rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben werden.

Der Erfolg der Erbensuche kennzeichnet den Skandal

Schon diese Erfolgsmeldung manifestiert im Rückblick den Skandal. Unter Ägide des damaligen Finanzministeriums hatte sich das Land um die Jahrtausendwende kurzerhand selbst zum Eigentümer von 10 000 früheren Bodenreform-Grundstücken gemacht, von denen viele den Erben ehemaliger Neubauern zustanden. Die kannte man nicht, man hatte nicht richtig nach ihnen gesucht. Das Ministerium wies die Kreise sogar an, die Suche auf ein Minimum zu reduzieren. Und danach hatte sich das Land kurzerhand alle Immobilien selbst einverleibt.

Alles flog erst auf, als der Bundesgerichtshof 2007 diese Landnahme als sittenwidrig, eines „Rechtsstaates unwürdig“, an die willkürliche Verwalterpraxis“ der früheren DDR erinnernd geißelte. Es geht immerhin um Grundstücke, deren Wert auf 50 bis 90 Millionen Euro geschätzt wurde, um die das Land so reicher geworden war. Zuvor hätte es kaum jemand für möglich gehalten, dass ausgerechnet im seit 1990 „roten“ Brandenburg die Gewinner der Bodenreform geprellt werden könnten. In Brandenburg hatte man unter dem SPD-Ministerpräsidenten Manfred Stolpe im Zuge der deutschen Einigung stets dafür gestritten, dass niemand die Bodenreform antastete – was man nun selbst tat. Ein Untersuchungsausschuss des Landtages kam 2009 im Abschlussbericht lediglich zu dem Ergebnis, dass angeblich ein „Eigenleben“ des Apparats im Finanzministerium – wie bei einigen Affären vorher auch – schuld war. Die politische Verantwortung dafür übernahm nie jemand.

Im angekündigten Zeitrahmen wird die Suche nach den Erben voraussichtlich nicht abgeschlossen werden können

Doch seit 2010 – unter dem damaligen Finanzminister Helmuth Markov (Linke) – lässt das Land nach den Besitzern suchen, und wird fündig. Man tat das, was um die Jahrtausendwende unterblieben war. Es hat Erbenaufrufe in Regionalzeitungen, im Bundesanzeiger und kommunalen Amtsblättern gegeben. Im Auftrag des Landes sucht seit 2012 auch die privatisierte, frühere Brandenburger Bodengesellschaft (BBG) nach den Eignern. Im Mai 2016 seien die Recherchen intensiviert worden, heißt es in der Görke-Erklärung. Abhängig jeweils vom Einzelfall gebe es etwa Anfragen bei Nachlassgerichten, Einwohnermeldeämtern oder Kirchengemeinden. Allein seit Mai 2016 habe man Recherchen für 2400 Akten aufgenommen, davon 765 Akten bereits schließen können. In 443 Fällen habe man seitdem die Erben ermittelt, die Rückgabe eingeleitet. Allerdings zeigt das bisherige Tempo dennoch, dass das Ziel, bis 2019 fertig zu sein, nicht gehalten werden kann. Es gebe keine Bestrebungen, die Such-Aktivitäten einzustellen oder zu vermindern, heißt es.

Als der Spezialist in der Bodenreform-Affäre, die er in einem Buch penibel rekonstruierte, gilt der Potsdamer Rechtsanwalt Thorsten Purps. Und der sieht die Aufarbeitung nach wie vor kritisch. „Das Bemühen um Wiedergutmachung bleibt unbefriedigend. Es wird immer noch weniger getan als das, was möglich wäre“, sagte Purps den PNN. So müssten endlich, eine Forderung seit Jahren, „professionelle Erbenermittler eingeschaltet werden“. Dies hat das Land bislang abgelehnt, wohl aus Kostengründen. Zwar hatte Görke 2015, wie er damals an Purps schrieb, „überlegt, auch gewerbliche Erbenermittler in die Recherchen einzubeziehen“. Doch dazu kam es nicht. Laut Purps hatte es zwar Gespräche mit Erbenermittlern gegeben, sogar Vertragsentwürfe des Ministeriums. „Doch die Konditionen waren so schlecht, dass es für die Erbenermittlungsinstitute unwirtschaftlich gewesen wäre.“ Er sei sich nach wie vor sicher, dass die Erfolgsquote bei der Suche nach den Neubauernerben „in kurzer Zeit bei 80, 90 Prozent liegen würde“.

Es sieht weiter danach aus, dass die Bodenreform-Affäre das Land noch Jahre beschäftigen wird.

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