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Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) verurteilte den Einmarsch Russlands in die Ukraine scharf.

© Ottmar Winter

Nach russischem Angriff auf die Ukraine: „Ich bin tief enttäuscht“ - emotionale Rede von Ministerpräsident Woidke

Mit seltener Einigkeit debattiert der Potsdamer Landtag. Dietmar Woidke ruft den russischen Präsidenten auf: „Stoppen Sie die Aggression!“

Potsdam - Belegte Stimme, Tränen in den Augen – so aufgewühlt hat man Brandenburgs Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (SPD) selten erlebt wie bei dieser Rede, in der er am Donnerstag im Landtag den Angriff Russlands gegen die Ukraine verurteilte: „Herr Präsident Putin, stoppen Sie die Aggression!“ Das Parlament in Potsdam hatte seine Sitzung kurzfristig mit einer Aussprache begonnen: Krieg in Europa. Niemand konnte und wollte zur Tagesordnung übergehen.

Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke (SPD) erinnerte an die alljährlichen Gedenken zum 8. Mai im Land. „Nie wieder Krieg!“, sagte sie. „Das haben wir gelernt, gelebt und geglaubt!“ Nötig seien nun Dialog, Haltung, „keine Waffen.“

In Brandenburg hätten sich viele Menschen, in Städtepartnerschaften, Schulen, in Wirtschafts- und Sportprojekten für ein gutes Verhältnis zu Russland eingesetzt, sagte Woidke. „Viele, die sich da engagiert haben, sind heute tief enttäuscht“, sagte Woidke. „Das betrifft auch mich. Ich bin tief enttäuscht.“

Vielleicht war dieses persönliche Eingeständnis der Moment, in dem am deutlichsten wurde, dass der Angriff gerade für Brandenburgs Politik eine besondere Zäsur darstellt – vielleicht mehr als anderswo. Zwar hatte Woidke nie wie Vorgänger Matthias Platzeck, der Vorsitzende des Deutsch-Russischen Forums, Putins Annexion der Krim relativiert.

Doch legte Brandenburg stets auf ein enges Verhältnis zu Russland Wert – trotz Putin. Als Woidkes Finanzministerin Katrin Lange (SPD) EU-Sanktionen gegen Russland für gescheitert erklärte, hatte das 2020 schon für diplomatische Verwicklungen mit der Ukraine gesorgt.

Platzek: „Ich bin fassungslos und erschüttert“

Ganz zu schweigen von wirtschaftlichen Interessen. Als die Raffinerie in Schwedt komplett in Besitz des russischen Rosneftkonzerns überging (SPD-Altkanzler Gerhard Schröder ist hier Aufsichtsratschef), war das für Woidke eine „gute Nachricht“. Nicht wenige müssen sich eingestehen, sich getäuscht zu haben – besonders in der SPD.

So meldete sich auch der frühere Ministerpräsident Matthias Platzeck mit einer Erklärung zu Wort: „Ich bin fassungslos und erschüttert über den durch nichts und niemanden zu rechtfertigenden Überfall der Russischen Föderation auf die Ukraine“, sagte Platzeck. „Im vergangenen Jahrzehnt habe ich in meinem Ehrenamt als Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums viel Zeit und Kraft aufgewandt, damit genau das, was jetzt passiert, nicht stattfindet.“

Er habe sich immer für Verständnis für russische Sichtweisen und für Freundschaft zwischen den Völkern eingesetzt. „Für das verantwortungslose Vorgehen des russischen Präsidenten gegen den souveränen Staat Ukraine fehlt mir jedwedes Verständnis.“

Seltene Einigkeit im Landtag

Und nun? Der Krieg verändert Brandenburg, wie schon die Debatte im Landtag zeigte – mit einer seltenen Einigkeit, ohne falsche Töne. Und zwar von links über die Freien Wähler bis nach rechtsaußen zur AfD. Auch deren Fraktionschef Christoph Berndt verurteilte den Angriff und sagte: „Hilfe für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine unterstützen wir!“ Sanktionen seien ungeeignet, nötig seien gewaltfreie Lösungen, es gehe um die territoriale Integrität der Ukraine, aber auch um die Wahrung der Sicherheitsinteressen Russlands.

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Dem widersprach die Union. „Es geht bei dem Angriff nicht um Sicherheitsinteressen Russlands“, sagte CDU-Fraktionschef Jan Redmann. „Wir haben stets die Hand ausgestreckt.“ SPD-Fraktionschef Daniel Keller machte deutlich, dass Brandenburg Flüchtlinge aus der Ukraine aufnehmen wird, „wir werden helfen, wo wir helfen können.“

Die Vorbereitungen für die Aufnahme laufen in Brandenburg umgehend an, sagte Grünen-Fraktionschefin Petra Budke, die die EU-Sanktionen und den Stopp von Nordstream 2 begrüßte.

Linke-Fraktionschef Sebastian Walter gestand ein, einen Angriffskrieg Russlands nicht für möglich gehalten zu haben: „Und ja, auch ich hatte Fehleinschätzungen in den letzten Tagen und Wochen“. Walter zitierte ein Gedicht, das ehemaligen DDR-Bürgern aus dem Schulunterricht bekannt sein dürfte: „Meinst du, die Russen wollen Krieg?“ Nun würden auch russische Soldaten sterben, sagte Walter. „Auch sie sind Opfer dieses demagogischen und kriegerischen Putin.“

Abzuwarten bleibt, was der Angriff für Brandenburgs Energiepolitik bedeutet. Grünen-Fraktionschef Benjamin Raschke hatte sich am Vortag für eine schnellere Energiewende ausgesprochen, um unabhängiger von russischem Gas zu werden. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hingegen warf im RBB die Frage auf, ob nun am Kohleausstieg für 2030 noch festgehalten werden könne, also ob dieses Zeitfenster noch realistisch sei.

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