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Im Einsatz. Beamte am Dienstag im uckermärkischen Gerswalde.

© Paul Zinken/dpa

Nach Festnahme in der Uckermark: Syrer nach Terrorverdacht bald wieder frei - kein Verdacht auf Straftat

Der Terrorverdacht gegen einen 17-jährigen Syrer aus der Uckermark fällt in sich zusammen. Nidal A. kommt wieder auf freien Fuß. Für einen Haftbefehl fehlt ein dringender Tatverdacht. Ermittelt wird trotzdem.

Potsdam - Bei den Ermittlungen um einen angeblich geplanten islamistischen Selbstmordanschlag eines in Brandenburg untergebrachten Flüchtlings lässt sich der anfängliche Verdacht nicht erhärten. Die einzige zentrale Erkenntnis der Polizei lautet bisher: Der 17-Jährige Syrer hat sich in den vergangenen Monaten radikalisiert. Nun soll er wieder auf freien Fuß gesetzt werden.

Die Brandenburger Polizei hat aber gegen Nidal A. vorsorglich ein Verfahren wegen des Anfangsverdachts auf eine schwere staatsgefährdende Gewalttat eröffnet. Auch am Mittwoch fanden die Ermittler der Anti-Terror-Einheit des Landeskriminalamtes (LKA) nach stundenlangen Befragungen des 17-Jährigen und anderer Bewohner der Unterkunft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aber keine Hinweise auf konkrete Anschlagspläne.

Reichen die bisherigen Erkenntnisse für ein Ermittlungsverfahren?

Die Staatsanwaltschaft Potsdam, die in Brandenburg zentral für derartige Staatsschutzfälle zuständig ist, entschied am Nachmittag, dass die bisherige Erkenntnisse nicht für einen Haftbefehl ausreichen. Dafür wäre ein dringender Tatverdacht nötig - doch den fanden die Ermittler nicht. Offiziell hat die Staatsanwaltschaft aber ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, weil zumindest ein Anfangsverdacht vorliegt. 

Auslöser der Ermittlungen war eine Whatsapp-Nachricht des 17-Jährigen, der in einer Unterkunft im uckermärkischen Gerswalde lebt, an seine Mutter, die sich derzeit im Libanon aufhält. Die wiederum nahm zu Verwandte in Berlin und Hessen Kontakt auf, die dann ihrerseits die jeweiligen Polizeibehörden informierten. In der Nachricht soll sich Nidal A. verabschiedet und erklärt haben, dass er in den Dschihad ziehe. Zudem kam von den Verwandten der Hinweis, dass der Jugendliche offenbar einen Selbstmordanschlag in Berlin plane. 

Die Ermittler beauftragten Sprachexperten damit, die Nachricht erneut zu prüfen. Sie kamen zu dem Schluss, dass der Text mehrdeutig zu verstehen sei, ein eindeutiger Hinweis auf den Eintritt in den gewaltsamen dschihadistischen Kampf eines Islamisten fehle.  Nach bisherigen Informationen der Ermittler war der 17-Jährige im Herbst 2015 „unerlaubt nach Deutschland eingereist“ und ist mittlerweile in Brandenburg als Asylbewerber registriert. Bislang war er der Polizei nicht aufgefallen.

Hat Innenminister Schröter unnötig Terrorangst verbreitet? 

In der Nacht zu Dienstag wurde die Anti-Terror-Einheit des LKA Brandenburg über den Terrorverdacht informiert. Dort wurde sofort der gesamte Ermittlungsapparat hochgefahren, das „große Besteck“ sei in die Hand genommen worden, hieß es. 130 Beamte waren im Dienstag im Einsatz. Am Dienstagmorgen rückte das Spezialeinsatzkommando in Gerswalde an und nahm Nidal A. zur Gefahrenabwehr vorläufig in Gewahrsam. Das ist aber nur für 24 Stunden möglich, eine längere Festnahme und Untersuchungshaft sind nur bei dringendem Verdacht möglich. Spezialisten des LKA untersuchen auch ein Tablet und ein Mobiltelefon, die im Zimmer des 17-Jährigen gefunden wurden. Sie fanden aber nichts Verdächtiges. Zwei weitere Handys sind defekt und konnten nicht mehr überprüft werden.

Angesichts der Umstände gerät nun auch das Verhalten von Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) in Erklärungsnot. Er hatte am Dienstag bei einem Pressestatement zur Kabinettssitzung die Öffentlichkeit über den Fall informiert. Der Wirkung muss er sich jedenfalls bewusst gewesen sein. Über den Ticker der Nachrichtenagentur dpa lief als Eilmeldung: „Die brandenburgische Polizei hat in der Uckermark einen 17 Jahre alten syrischen Terrorverdächtigen festgenommen, der einen Selbstmordanschlag in Berlin geplant haben soll. Dies teilte Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) am Dienstag in Potsdam mit.“

Die AfD nahm Schröters Aussage dankbar auf

Nach PNN-Recherchen bezog sich Schröter dabei auf die Erstinformationen aus der Nacht. Nach dem üblichen Prozedere müsste ihm auch die Pressemitteilung des Polizeipräsidiums vorgelegen haben, die einige Minuten nach seinem Statement versendet wurde. Darin hieß es: „Anhaltspunkte für die Planung konkreter Taten konnten im Rahmen der polizeilichen Maßnahmen bislang nicht erlangt werden.“ Fast wortgleich stand es in einer weiteren Erklärung von Dienstagabend. Und obendrein erklärte das Bundesinnenministerium, es habe keine unmittelbare Anschlagsgefahr“durch Nidal A. gegeben. Hinweise, „dass ein Anschlag unmittelbar bevorstand“, gebe es nicht. Die Meldungen nach Schröters ersten Aussagen mussten relativiert werden.

Doch die AfD im Landtag nahm den Ball von Schröter dankbar auf und spielte in weiter. „Der junge Mann plante offenbar einen Selbstmordanschlag in Berlin“, erklärte die AfD. Brandenburg diene islamistischen Gefährdern als Rückzugsraum. Durch „Merkels verantwortungslose Politik der offenen Grenzen“ seien auch Kriminelle und islamistische Terroristen in unbekannter Zahl ins Land gekommen. „Diesmal konnte die Polizei rechtzeitig zuschlagen, beim nächsten Terrorverdächtigen kommt sie vielleicht zu spät.“ Es ist ein AfD-Spiel der Angst.

Nach Ansicht des Innenexperten der CDU-Landtagsfraktion, Björn Lakenmacher, hätte Schröter vorsichtiger vorgehen müssen. Mit seinen Äußerungen habe der Innenminister riskiert, dass die Bevölkerung aus Sorge vor einem Terroranschlag verunsichert wird, obwohl dies nach der bisherigen Faktenlage nicht gedeckt sei. „Der Minister war ein bisschen drüber“, sagte Lakenmacher. 

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Dünn besiedelt und touristisch attraktiv: In der Uckermark deutet eigentlich nichts auf Terror hin. Eine Reportage aus Gerswalde.

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