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Nach dem tödlichen Messerstich in Neukölln: Jusefs Freunde erteilen Hass-Demo eine Absage

Trotz ihrer Trauer über den Tod des 18-jährigen Jusef El-A. rufen Familie und Freunde zur Besonnenheit auf. Doch es gibt einige religiöse Fundamentalisten, die den Hass schüren

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Auf der Homepage des Quartiersmanagements Weiße Siedlung ist die Welt noch in Ordnung. Da steht Jusef El-A. neben seinen Freunden – jung, lebendig, lebensfroh. Der damals 17-Jährige blickt ein wenig kritisch in die Kamera, die vor gut einem Jahr den neugewählten Jugendbeirat für den Kiez in Nordneukölln aufnahm.

Seit Jusef El-A. vor acht Tagen nach einer Auseinandersetzung auf einem Bolzplatz mit einem Messer tödlich verletzt wurde, versuchen seine Freunde, mit dem Unfassbaren fertigzuwerden. Auch mit der Tatsache, dass derjenige, der das Messer führte, nicht in Untersuchungshaft ist, weil keine Fluchtgefahr besteht und er offenbar in Notwehr gehandelt hat.

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Wie berichtet kochten die Emotionen im Kiez hoch, für den Montag war eine „Hass-Demo“ am Hermannplatz angekündigt – doch die meisten jungen Männer aus dem Kiez werden nicht hingehen. „Alle, die Jusefs Freunde sind, wissen, dass sein Tod nicht mit Gewalt gerächt werden kann“, heißt es in einer Stellungnahme des Jugendbeirats: „Jusefs Vater hat zu uns wie zu seinen eigenen Kindern gesprochen. Sein einziger Wunsch ist, dass die Gewalt aufhört.“

Der Vater des Erstochenen hatte vor der Trauerfeier am vergangenen Freitag darum gebeten, auf Rache zu verzichten. Dennoch hätten einige religiöse Fundamentalisten den Anlass genutzt, um Hass zu schüren und den „Unrechtsstaat“ Deutschland anzuprangern, sagt der Migrationsbeauftragte von Neukölln, Arnold Mengelkoch. Dass auf der mit mehreren tausend Menschen größten muslimischen Trauerfeier, die Berlin je erlebt hat, alles friedlich blieb, hat seiner Ansicht nach vor allem zwei Gründe: Zum einen sei Jusefs Familie sehr um Ausgleich bemüht. Der aus dem Libanon stammende Vater arbeite seit langem daran, seine Familie in Deutschland zu integrieren. Seine Frau sei eine erfolgreiche Stadtteilmutter gewesen, bis sie auf dem ersten Arbeitsmarkt einen Job fand. Zum anderen hätten alle Verantwortlichen versucht, die verständlichen Emotionen zu besänftigen.

Sollte die „Hass-Demo“ am Montag dennoch stattfinden, habe sie nichts mit der Familie und den wahren Freunden von Jusef zu tun, hieß es gestern im Kiez. „Ich habe die Information bekommen, dass jetzt doch keine Demo ist“, sagt ein junger Mann, der Jusef El-A. gut kannte. Ein entsprechender über Facebook verbreiteter Aufruf sei zurückgenommen worden. Bei der Polizei hatte bis gestern Abend niemand eine Kundgebung angemeldet. Sollte es doch spontan dazu kommen, sei man gut vorbereitet, sagte ein Sprecher.

Die Schlichter haben immer wieder darauf hingewiesen, dass es kein Freispruch ist, wenn der Messerstecher nicht in U-Haft muss. „Sozialarbeiter, Quartiersmanager, Lehrer – alle haben versucht, das soziale Gleichgewicht aufrechtzuerhalten“, sagt Arnold Mengelkoch. Und setzt hinzu: „Dieses Mal ist es uns gelungen. Aber die Zahl der arabischstämmigen Migranten ist in Neukölln von 10 000 auf 27 000 gestiegen – und viele haben keinen Job, keine Ausbildung, keine Perspektive. Da wächst der Frust.“

Den kann man allein mit Freizeitaktivitäten nicht bekämpfen, sagt Mengelkoch – im Gegenteil. Sei ein gewisser „Basisfrust“ vorhanden, könne sich dieser beispielsweise beim Fußball noch verstärken. Wie berichtet soll die Auseinandersetzung, die zum Tod von Jusef El-A. führte, beim Fußballspielen auf dem kleinen Bolzplatz am Dammweg ihren Ausgang genommen haben.

So wird derzeit im Kiez auch darüber diskutiert, ob der Fußball eine aufputschende Wirkung hat. „Die Hypothese, nach der Frust und Aggression sich anstauen und dann durch körperliche Aktivität wieder abgebaut werden, gilt als widerlegt“, erklärt Henning Plessner vom Institut für Sportpsychologie der Universität Heidelberg. Unter bestimmten Bedingungen könnten die Aggressionen beim Fußball sogar noch ansteigen – nicht umsonst gebe es Begriffe wie „Frustfoul“.

Für den Sportpsychologen sind sportliche Wettkämpfe „grundsätzlich hervorragende Bedingungen, um Gruppenkonflikte zu schüren“. Um das einzudämmen, gebe es Spielregeln. Entscheidend seien aber die beteiligten Individuen und nicht die Sportart. „Wenn eine Auseinandersetzung auf dem Fußballplatz zu Gewaltexzessen eskaliert, dann liegt das nicht am Fußball. Die hätten sich dann auch beim Schach in die Haare gekriegt.“

Trotzdem sei es gut, gefährdete Jugendliche von der Straße weg in einen Fußballverein zu holen. Problemfälle gibt es freilich immer wieder, unter anderem beim NFC Rot-Weiß an der Pflügerstraße im Reuter-Kiez in Nord-Neukölln, direkt neben dem Rütli-Campus. Auch dort kam es am Sonntag vor einer Woche zu Handgreiflichkeiten nach einer Roten Karte: Zuschauer stürmten aufs Spielfeld, ein Gästespieler wurde von einer Gruppe verfolgt und ergriff die Flucht. Die Ausgangslage war ähnlich wie die, die nur wenige Stunden später nicht weit entfernt zum Tod von Jusef El-A. führte. Doch an der Pflügerstraße beruhigte sich die Lage wieder – hinterher saßen die Spieler beider Mannschaften friedlich beieinander.

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