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Nach 100 Tagen im Amt: Brandenburgs neue Bildungsministerin: Die stille Kraft

Die Hanseatin Britta Ernst (SPD) ist Brandenburgs neue Ministerin für Bildung, Jugend und Sport – und ein ganz anderer Typ als ihr Vorgänger und Parteikollege Günter Baaske. Ein Porträt nach hundert Tagen im Amt.

Vetschau/Potsdam - Nicht alle Schulleiter im Land kennen ihre neue Chefin. Der Rektor des Schulzentrums Dr. Albert-Schweitzer in Vetschau stürmt auf eine Frau im Besucherpulk zu. „Ich begrüße Sie, Frau Ministerin!“ Die überschwänglich Empfangene ist die Leiterin des Schulverwaltungsamtes des Landkreises Oberspreewald-Lausitz. Britta Ernst, im dunkelblauen, schlichten Mantel, steht daneben. Kurz wirkt sie irritiert, dann lacht sie. Eitelkeit gehört nicht zu den Eigenschaften von Brandenburgs neuer Bildungsministerin.

Hundert Tage ist die Nachfolgerin von Günter Baaske (SPD) jetzt im Amt. Aber nicht nur Schulleiter haben bislang kein richtiges Bild von der Neuen. „Und ich habe noch kein fertiges Bild von Brandenburg“, sagt die 56-Jährige, die die erste Zeit bewusst zurückhaltend agiert hat, sich gründlich einarbeiten wollte. Denn das Thema Bildung ist ihr zwar vertraut, nicht aber das märkische Terrain mit seinen 915 Schulen und mehr als 1800 Kitas. 2001 bis 2006 war die gebürtige Hanseatin schulpolitische Sprecherin der SPD-Bürgschaftsfraktion, von 2014 bis zur Wahlniederlage der SPD vergangenen Mai verantwortete sie in Schleswig-Holstein das Bildungsressort. Die Zeit zum Ankommen in Brandenburg wurde ihr von Opposition und Medien gewährt. Vor ihrer 100-Tage-Pressekonferenz am heutigen Freitag, bei der es um Themen wie Inklusion und Unterrichtsausfall gehen dürfte, gab sie keine Interviews zu ihren politischen Vorhaben.

„Land und Leute“: Ministerin auf Bildungsreise durch Brandenburg

Um ihr Wirkungsfeld kennenzulernen, nutzt sie Kreisreisen wie vergangene Woche in den Spreewald. Im Anschluss an die offiziellen Termine lässt sie sich immer ein privates Programm zusammenstellen, das sie „Land und Leute“ nennt. „Potsdam kennt man“, sagt sie. Trotzdem muss sie sich auch ihren neuen Zweitwohnsitz an der Havel erst zur Heimat machen. Denn wenn es der Terminkalender erlaubt, fährt sie am Wochenende nach Altona zu ihrem Mann, Hamburgs Erstem Bürgermeister Olaf Scholz (SPD).

In der Berliner Vorstadt hat sie nach längerer Suche eine Wohnung gefunden, die bald bezugsfertig sein soll. So lange mietet sie im Boardinghouse in der Helene-Lange-Straße ein möbliertes Appartement. Neulich sei sie abends vom Ministerium zu Fuß zu ihrer Übergangswohnung gelaufen, mit Abstecher zum Supermarkt in den Bahnhofspassen. Sie wollte Schwarzbrot kaufen und Kaffee, sehen „wer hier abends so unterwegs ist und wo es was gibt“. Was sie als Reserve immer im Haus habe seien Fischkonserven, erzählt sie im Fond ihres Dienstwagens auf dem Weg Richtung Spreewald. Im Netz des Beifahrersitzes klemmt eine gelbe Plastikdose, die fast so aussieht wie die Bio-Brotboxen, die jeder Bildungsminister zu Schuljahresbeginn in märkischen Klassenzimmern verteilt. „Oft gibt es bei Terminen ja nur Kekse“, kommentiert sie das Stullenpaket in der Limousine.

Ruhige Politik zwischen Jubel und wütenden Briefen  

In Vetschau trägt der Schulleiter das Mittagessen persönlich auf. Die Delegation, zu der auch der Landrat zählt, bekommt Schulspeisungskost serviert: Putengulasch mit Kartoffeln, als Dessert rosa Erdbeerpudding mit bunten Streuseln. Das Lokalfernsehen ist auch vor Ort. Ernst bittet ihren Sprecher dafür zu sorgen, dass während des Essens keine Aufnahmen von ihr gemacht werden. Auch das kann man ihr schlecht als Eitelkeit auslegen, eher als Umsicht. Bilder von kauenden Regierungsmitgliedern, wie sie derzeit auf der Grünen Woche zu bekommen sind, unterstreichen selten die Seriösität des Abgelichteten.

Nach dem Erdbeerpudding geht es ans Eingemachte: den Kampf um Schulstandorte und Schüler jenseits des Berliner Umlands. In Kolkwitz, unweit von Vetschau, wollte der Kreis Spree-Neiße eine Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe einrichten. Die Vetschauer Oberschule fürchtete einen Aderlass. Das Ministerium lehnte den Antrag ab. Britta Ernst, die vorher in einem Bundesland mit klassischem Zwei-Säulen-Modell von Gymnasien und Gemeinschaftsschulen wirkte, hat den Fall sofort parat. Briefe wütender Kolkwitzer Eltern landeten auf ihrem Schreibtisch. Dass sie sich davon nicht beeindrucken ließ, sondern der Gesamtschule eine sachliche Absage erteilte, lässt die Vetschauer jubeln.

Introvertiert, kontrolliert: Ernst ist anders als ihr Vorgänger

Auch beim Besuch des TSG Lübbenau im Spreewaldstadion stehen der Ministerin alle Türen offen. Sie gewähren Blick auf Umkleideräume im Ostcharme, die dringend saniert werden müssten. Der Bürgermeister prangert an, dass Potsdam zu wenig Geld gebe für Sportstätten. Die aufgeregte Art des Stadtchefs, der sich immer wieder aufpumpt, um der Neuen aus der Landeshauptstadt die Leviten zu lesen, scheint Ernst zu nerven, wie ihre leicht nach oben gezogenen Augenbrauen verraten. „Das kann ich so nicht stehen lassen“, pariert sie dann ruhig, aber resolut, und zählt Programme auf, über die Zuschüsse möglich sind.

Ernst ist anders als ihr hemdsärmeliger Vorgänger Günter Baaske. Introvertiert, kontrolliert. Was nicht verwechselt werden darf mit Distanziertheit, Kühle, gar Schwäche. Sie ist eine stille Kraft. Sehr umgänglich, sagen zumindest Parteifreunde. Als Baaske, der für seine Familie kürzertreten wollte, anklopfte, habe sie gerne ja gesagt. Auch über Staatskanzleichef Thomas Kralinski, den sie aus ihrer Zeit als Fraktionsgeschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion kennt, hatte sie bereits einen Draht nach Potsdam. Nach drei Monaten politischem Leerlauf, dem Verlust des Ministeramtes in Kiel, habe sie sich auf die neue Aufgabe, zumal im ihr unbekannten Osten, gefreut.

Facebook-Fan von ostdeutscher Autorin

„Ich bin viel zu Fuß gegangen in den drei Monaten“, sagt Britta Ernst, sie habe die Entschleunigung genossen, zumindest für gewisse Zeit. „Kurz habe ich sogar überlegt, wieder Gitarrenunterricht zu nehmen.“ Viel gelesen habe sie auch, sogar das 1264 Seiten dicke Amerika-Epos „4321“ von Paul Auster. Die georgische Autorin Nino Haratischwili mag sie sehr, auch Kazuo Ishiguro und Robert Menasse. Doch besonders gefällt ihr die ostdeutsche Autorin Jana Hensel. „Ich folge ihr auf Facebook“, sagt Ernst. Nach der Lektüre von „Keinland“ habe sie lange darüber nachgedacht, was Identität bedeutet.

„Ich bin das klassische westdeutsche Arbeiterkind“, sagt die Ministerin. Die Mutter Schneiderin, der Vater Zimmermann. 1980 macht sie Abitur, in einer reinen Mädchenklasse, Leistungskurse Mathe und Chemie. Es folgen eine Ausbildung zur Kauffrau der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft, Diplome als Volkswirtin und Sozialökonomin. Schon 1978 tritt sie in die SPD ein. Bei den Jusos lernt sie Olaf Scholz kennen. Dass der ja nun vielleicht bald nach Berlin komme, als Minister einer Großen Koalition, das hört sie öfter. „Ja, so stellen sich manche das vor. Die Frau geht schon mal als Vorhut nach Potsdam. Aber so läuft das nicht im politischen Geschäft.“ Mehr will sie dazu nicht sagen. Muss sie auch nicht. Britta Ernst ist nicht „die Frau von ...“, sondern eine Politikerin, die für sich steht. Der Schulleiter von Vetschau jedenfalls wird sie nicht mehr übersehen.

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