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Putzig – und stachlig. 50 Igel betreut Simone Hartung in Neuzelle derzeit. Die kräftigsten müssen noch vor dem Winter die Igelstation verlassen.

© Patrick Pleul/dpa

Brandenburg: MY LIFE]Igelschutz oder falsche Tierliebe?

MY LIFE]In der Auffangstation Neuzelle bekommen Igel Hilfe. Naturschützer halten ein Eingreifen oft für unnötig

NeuzelleMY LIFE] - Vorsichtig packt Simone Hartung die beiden stacheligen Kugeln, etwa so groß wie Grapefruits, in zwei vorbereitete Kartons. „Die beiden Igel werden heute wieder ausgewildert“, sagt die Betreiberin einer privaten Igelstation in Neuzelle, die die Jungtiere seit September aufgepäppelt hat. Noch sei für die beiden Zeit, sich in der Natur auf den Winterschlaf vorzubereiten, sagt sie. Normalerweise hätte Hartung die Tiere erst nach der kalten Jahreszeit wieder aus ihrer Obhut entlassen. Doch die Station der 57-Jährigen platzt in diesem Herbst aus allen Nähten.

50 Igel betreut sie derzeit, 24 in Einzelboxen im Haus, die anderen in Freigehegen auf dem weitläufigen Grundstück der Hartungs. Sobald es draußen frostig wird, müsste sie alle ihre Schützlinge ins Warme bringen. Aus Platzmangel sollen die kräftigsten Exemplare deshalb noch vor dem Winter wieder in die Natur zurück, erklärt die frühere Schulsekretärin. Sie beherbergt auch zehn Dauer-Patienten, die blind oder verstümmelt sind, chronischen Schnupfen haben und in freier Wildbahn nicht lebensfähig wären.

„Ich weiß nicht, was in diesem Jahr los ist“, sagt Hartung etwas ratlos ob des aktuellen Igel-Ansturms. Bereits seit September würden ihr von Gartenbesitzern oder Spaziergängern Baby-Igel und verletzte Tiere gebracht - deutlich mehr, als in den Jahren zuvor.

Hartung ist überzeugt davon, dass es in den meisten Fällen richtig ist, dass der Mensch sich um die Igel kümmert. „Die Tiere sind entweder zu klein und schwach, krank oder komplett verwurmt“, erzählt die Ostbrandenburgerin, die ihr Herz für die nachtaktiven Insektenfresser vor sieben Jahren entdeckte, als einer ihrer Hunde einen Igel verletzt hatte. Hartung pflegte das Tier wieder gesund.

Nicht jeder Igel, der im Herbst tagsüber entdeckt wird, sollte eingesammelt werden, sagt Christiane Schröder, Brandenburger Landesgeschäftsführerin des Naturschutzbundes (Nabu). „Es sei denn, das Tier ist augenscheinlich verletzt oder wiegt weniger als 300 Gramm und würde so den Winter nicht überstehen.“ Dass Igel viele Parasiten hätten, sei normal. „Nimmt der Mensch die Tiere in Obhut und entwurmt sie, verlernt das Immunsystem des Igels, damit klarzukommen“, macht die Biologin deutlich. Die nachtaktiven Tiere sind ihren Angaben nach um diese Jahreszeit gezwungen, auch tagsüber auf Nahrungssuche zu gehen. „Die Nächte werden kälter, Insekten sind nach Sonnenuntergang kaum noch unterwegs. Um sich Fettreserven vor dem Winterschlaf anzufressen, müssen Igel ebenso wie Fledermäuse momentan auch am Tage jagen“, sagt Schröder. Wer sich für den Igelschutz engagieren wolle, der solle seinen Garten natürlich halten: mit einheimischen Sträuchern, naturnahen Hecken und Laub, das nicht sofort entfernt wird.

Dass die Igel-Population in der Mark zurückgeht, darin stimmen Hartung und Schröder überein, ohne jedoch genaue Zahlen parat zu haben. „Im Gegensatz zu anderen Tierarten gibt es für Igel kein Monitoring“, sagt die Nabu-Chefin. Ihr Verband hat die Brandenburger dazu aufgefordert, Igelsichtungen zu melden. Natürliche Lebensräume würden verschwinden, der Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft verringere das Nahrungsangebot, immer mehr Straßen entwickelten sich zur Todesfalle für Igel. Auch die wachsende Zahl von Waschbären werde zur Bedrohung, da die rund 6000 Igel-Stacheln kein Hindernis für die invasiven tierischen Einwanderer bildeten. „Igelpflegestationen oder selbst ernannte Igelretter bieten angesichts dieser Entwicklung keinen nachhaltigen Schutz“, sagt Schröder.

Simone Hartung will sich trotzdem weiter um Igel kümmern. „Ich bekomme viele Tiere, die von Gartengeräten verletzt oder von Kindern als Fußball missbraucht wurden.“ Ohne ihre Hilfe würden diese Exemplare sterben, ist die 57-Jährige überzeugt. Bei ihrer größtenteils ehrenamtlichen Arbeit kooperiert sie mit dem Berliner Arbeitskreis Igelschutz. Sie könne da nicht aus ihrer Haut, müsse einfach helfen, sagt sie. „Die Herbstzeit ist für mich immer Hochsaison. Ab Mitte November wird es dann wieder ruhiger“, beschreibt Hartung ihr nahezu rastloses Tun - vom Boxensäubern über das Füttern, Wiegen und die Entwurmung bis hin zum „Auftauen“ unterkühlter Tiere mittels Wärmflasche. Auch Beratungen am Telefon und Tierarztbesuche mit stark verletzten Igeln übernimmt sie.

Hartung rät auch anderen dazu, vor dem Winter Futterstellen für Igel einzurichten. „Das sind Fleischfresser. Katzen- oder Hundenassfutter vertragen sie gut, jedoch keine Äpfel oder gar Milch“, erklärt sie Theresa Schneider aus Eisenhüttenstadt, die die beiden reisefertigen Igel abholt und zu einer Freundin mit Garten im ruhigen, abseits großer Straßen gelegenen Ortsteil Fürstenberg bringt. (dpa)

MY LIFE]Von Jeanette Bederke

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